US Open der Männer:Das dramatische Dutzend

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Beste Kumpels, nun Gegner: Nick Kyrgios (rechts) und Thanasi Kokkinakis gewannen im Januar den Doppel-Titel bei den Australian Open. Bei den US Open treffen sie in Runde eins aufeinander. (Foto: Dave Hunt/AAP/Imago)

Wie einst in den Neunzigerjahren: Es gibt bei den US Open diesmal bei den Männern gut ein Dutzend Favoriten. Das führt bereits in der ersten Runde zu spektakulären Duellen.

Von Jürgen Schmieder, New York

Serena Williams und Nick Kyrgios, das sind die beiden Headliner für den ersten Abend dieses Tennis-Festivals in New York (in der Nacht zu Dienstag ab 1 Uhr). Man kann den Veranstaltern der US Open wirklich keinen Vorwurf machen, sie geben dem Volk das Versprochene. "Spectacular Awaits" lautet schließlich das Motto des Turniers: zuerst Williams auf Abschiedstournee, die je nach Resultat Barbara-Streisand-artige Ausmaße annehmen könnte, denn sie hat sich mit Schwester Venus auch eine Wildcard fürs Doppel geben lassen. Zur US- Primetime erst einmal Eröffnungsfeier mit Queen Latifah und Tony Bennett und Serena, danach der australische Punk-Rocker Kyrgios gegen seinen Kumpel Thanasi Kokkinakis, mit dem er Ende Januar das Australian-Open-Doppel gewonnen hatte.

Moment mal, sollte nicht dem Titelverteidiger, dem Weltranglistenersten, dem Topgesetzten die Ehre des Abendspiels zuteilwerden? Daniil Medwedew ist aber schon um 12 Uhr mittags dran, als wäre er die unbekannte Vorband, die sich erstmal beweisen muss. Oder das Duell von 2020-Sieger Dominic Thiem gegen Pablo Carreño Busta, der in Montréal reüssiert hat: Wäre das nicht ein sportlicher Leckerbissen? Ist Court 17 nicht, als hätte man Falco und Enrique Iglesias auf eine Festival-Nebenbühne geschickt?

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Wer sich in den Katakomben im Arthur Ashe Stadium mal zu den Spielplan-Erstellern vorgekämpft hat, der weiß: Sie scheren sich herzlich wenig um sportliche Leckerbissen; es geht einzig darum, wie man weltweit die meisten Zuschauer kriegt. Also: Williams und Kyrgios werden die größte Tennisarena der Welt am Abend mit mehr als 22 000 Menschen füllen. Medwedew spielt zur besten Sendezeit im russischen TV, Thiem und Carreño Busta zu einer für Europäer annehmbaren Zeit (gegen 21 Uhr) - wie auch die deutsche Wimbledon-Halbfinalistin Tatjana Maria gegen Vorjahres-Semifinalistin Maria Sakkari (17 Uhr) auf dem Grand Stand.

Die Frage ist doch eher, um beim Vergleich mit einem Musik-Festival zu bleiben: Wie müsste das Plakat bei den Männern aussehen? In den vergangenen 20 Jahren war das ja recht einfach: Die großen Drei, Roger Federer, Rafael Nadal, Novak Djokovic. Hin und wieder noch Andy Murray und Stan Wawrinka - und fertig. Fertig?

Murray und Wawrinka traut man zu, noch immer ein packendes Konzert zu geben

In Wahrheit sind die US Open, das liegt am eher langsameren Hartplatz-Belag, offener als die anderen Grand-Slam-Turniere. Die großen Drei haben hier zwar jeweils mindestens drei Mal gewonnen; aber hinzu kommen nicht nur Murray und Wawrinka, sondern auch: Juan Martín del Potro, Marin Cilic, Thiem und Medwedew. Neun verschiedene Sieger seit 2003, so viele gab es bei keinem anderen der großen Turniere ( siehe Grafik).

Djokovic und Federer fehlen diesmal bekanntlich, und wer Nadal beim Training beobachtet hat vor seinem ersten Match (Dienstag, Abendmatch, Arthur Ashe), der dürfte die Schonhaltung beim Aufschlag bemerkt haben. "Wir trainieren intensiver", sagt Nadal, der aufs Wimbledon-Halbfinale gegen Kyrgios wegen eines Bauchmuskel-Risses hatte verzichten müssen: "Beim Aufschlag lassen wir es noch lockerer angehen; diese Bewegung ist gefährlich."

Wem traut man also zu, in diesem Jahr gewinnen zu können - ohne verrückten Außenseiter-Tipp wie etwa das Frauen-Finale 2021 (die ungesetzte Emma Raducanu besiegte die ungesetzte Leylah Fernandez), sondern Akteure, die man mit dem Zusatz Favorit auf ein Plakat packen würde? Das sind mindestens zehn Leute, weil nun drei Generationen aufeinander treffen - in Nadal als einzigem Vertreter der alten Garde. Murray und Wawrinka traut man zu, noch immer ein packendes Konzert zu geben; Headliner eines Zwei-Wochen-Festivals mit schlauchenden Best-of-5-Partien sind sie aber nicht mehr - obwohl Murray auf dem offiziellen Plakat mit drauf ist.

Die Next Generation ist nun erwachsen, sie hat ihre Flagge kräftig in den Boden gerammt. Medwedew, 26 Jahre alt, ist der Titelverteidiger, Stefanos Tsitsipas, 24, hat 2022 drei Masters-Endspiele erreicht und eines gewonnen, Carreño Busta, 31, und Borna Coric, 25, haben gerade bei den Turnieren in Nordamerika ihre ersten Masters-Titel geholt; Kyrgios, 27, hat im Juli in Wimbledon gezeigt, dass er in der Lage ist, ein großes Turnier zu gewinnen. Rechnet man den derzeit verletzten Alexander Zverev, 25, hinzu, sind das sechs Akteure, die man auch bei Grand Slams auf der Rechnung haben sollte.

Hinzu kommen die Akteure der Next Next Generation, viel schneller erfolgreich, als es den Next-Gen-Leuten lieb sein dürfte: Taylor Fritz, 24, und Carlos Alcaraz, 19, gewannen in diesem Jahr ihre ersten Masters-Titel, Casper Ruud, 23, erreichte sein erstes Finale; auf dem Belag in New York traut man auch Félix Auger-Aliassime, 22, und Jannik Sinner, 21, etwas zu. Und wer würde es wagen, über Andrej Rublew und Matteo Berrettini zu sagen: Nein, die ganz sicher nicht!

Ist es nicht spektakulär, wenn ein Grand-Slam-Turnier nicht immer auf diese Mega-Duelle ab dem Halbfinale abzielt?

Es fühlt sich an wie Mitte der Neunzigerjahre, als es bei Grand-Slam-Turnieren gut ein Dutzend Favoriten gab. Bei aller Dankbarkeit über die einzigartige Ära der Big Three: Ist es nicht spektakulär, wenn ein Grand-Slam-Turnier nicht immer auf diese Mega-Duelle ab dem Halbfinale abzielt, sondern bereits das Erreichen des Achtelfinals als Erfolg gewertet werden darf und es schon in der ersten Runde zu Duellen großer Namen und Favoriten kommt, wie Thiem gegen Carreño Busta?

Das führt zurück zu Kyrgios, der nun augenscheinlich endlich herausfinden will, ob er wirklich über einen längeren Zeitraum so grandios spielen kann, wie er und viele andere das für möglich halten. Die Basketballliga NBA hat Sommerpause, es gibt also keine Ausrede für eine Niederlage - Kyrgios sagte in New York, dass er Partien manchmal auch aus Frust über Niederlagen seines Lieblingsvereins (Boston Celtics) am Vorabend verloren hatte.

Kyrgios ist natürlich auch drauf auf dem offiziellen Festival-Poster, zwischen Nadal und Serena Williams. Insgesamt sind neun Männer und neun Frauen abgebildet, dennoch könnte man nach den Finals in zwei Wochen sagen müssen: Das waren immer noch nicht genug.

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