Michail Gorbatschow:Der Sowjet-Präsident und die Luxus-Reisetasche

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Ein Mann und seine Reisetasche: Kampagne von Annie Leibovitz mit Michail Gorbatschow (Foto: Ludovic Maisant/ddp/hemis.fr)

Michail Gorbatschow war eine Ikone, nicht nur in politischer Hinsicht. Der Wegbereiter der Wiedervereinigung war auch als Markenbotschafter begehrt.

Von Violetta Simon

Man stelle sich vor, in der Zeit vor 1989 wäre ein Blick in die Zukunft möglich gewesen. Ein Blick auf dieses Louis-Vuitton-Plakat aus dem Jahr 2007 zum Beispiel: Michail Gorbatschow, der Werbung macht für eine Luxustasche. Hier der letzte Staatspräsident der kommunistischen Sowjetunion. Und daneben ein Symbol-Accessoire des westlichen Kapitalismus. Mehr Widerspruch geht doch eigentlich gar nicht. Oder?

Michail Gorbatschow war nicht nur eine Ikone der Wiedervereinigung, es gibt noch eine andere Seite dieses Mannes, über die in den Nachrufen nach seinem Tod eher weniger zu lesen ist. Seinen Durchbruch als Model, wenn man so will, hatte der Mann mit dem charakteristischen Feuermal mit 76 Jahren: Da unterzeichnete er jenen Werbevertrag mit dem französischen Luxuslabel Louis Vuitton, das das Image seiner Taschen mit dem Image legendärer Persönlichkeiten zusammenbringen wollte.

Die Werbekampagne der Starfotografin Annie Leibovitz zeigte Gorbatschow nicht einfach nur mitten in Berlin. Sie inszenierte den Wegbereiter der Wiedervereinigung im Fond einer Nobelkarosse, während er an Resten der Berliner Mauer entlangfährt. Sein Blick verrät: Hier zieht ein ganze Epoche an einem vorbei. Ein Bild von solcher Symbolkraft, dass auf die edle Reisetasche daneben auch noch ein paar Strahlen abfallen, das war die Marketingidee. Und Gorbatschow konnte sich gleichzeitig auch ein bisschen selbst inszenieren, als die Figur, als die er gerne wahrgenommen worden wäre.

Hauptrolle im Pizza-Hut-Werbespot

"Gorbatschow gefiel die Idee, dass man sich an ihn als den größten Akteur des Mauerfalls erinnert", sagte damals ein Pressesprecher von Louis Vuitton. Das allein war aber nicht der Grund dafür, dass er mit dem Werbevertrag Scarlett Johansson den Job wegschnappte und prominenten Personen wie Catherine Deneuve oder Al Gore nachfolgte. Der Friedensnobelpreisträger brauchte das Geld - das er aber nicht für sich beanspruchte: Sämtliche Einnahmen flossen in die zwei von ihm gegründeten Organisationen, die Gorbatschow-Stiftung und das Internationale Grüne Kreuz, die gegen Armut sowie gegen Umweltverschmutzung eintreten.

Schon zehn Jahre zuvor hatte Gorbatschow in seinem postpolitischen Dasein als Testimonial westlicher Konsumgüter auf sich aufmerksam gemacht. Die Rede ist von einem Spot für die US-amerikanische Fastfoodkette Pizza Hut, deren Expansion nach Russland in den 1990er-Jahren Gorbatschows politisches Handeln erst ermöglicht hatte. 1998 übernahm er die Hauptrolle in einem Werbespot des Unternehmens, der seit dem Tod des Politikers auf Twitter viral geht.

Darin betritt der Wegbereiter der deutschen Einheit in Begleitung eines jungen Mädchens, gespielt von seiner Enkelin, eine Filiale und teilt sich mit ihr eine Pizza. Als eine Familie am Nebentisch den Politiker erkennt, beginnt unter den Generationen eine kontroverse Debatte über die Verdienste des Politikers. Die Argumente fliegen hin und her: "Wirtschaftskrise!" - "Freiheit!" - "Politische Instabilität!" - "Perspektive!" Am Ende verweist die Großmutter darauf, dass es seinetwegen Dinge wie Pizza Hut gäbe. Darauf, immerhin, können sich alle einigen.

Der Spot wurde in Moskau gedreht, in Russland aber nie ausgestrahlt. Er brachte dem ehemaligen Staatsmann im eigenen Land viel Kritik ein - laut Foreign Policy aber auch eine der höchsten Gagen in der Geschichte der Werbung.

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