Nachruf:"Sei wachsam und voller Entschlossenheit"

Nachruf: Wegen der Corona-Pandemie konnte Dee Eberhart voriges Jahr nicht zum Jahrestag der Befreiung des Dachauer Konzentrationslagers kommen. Er schickte eine Videobotschaft.

Wegen der Corona-Pandemie konnte Dee Eberhart voriges Jahr nicht zum Jahrestag der Befreiung des Dachauer Konzentrationslagers kommen. Er schickte eine Videobotschaft.

(Foto: KZ-Gedenkstätte Dachau/oh)

Dee Eberhart war einer der letzten noch lebenden US-Veteranen, die am 29. April 1945 das Konzentrationslager in Dachau befreiten. Er starb im Alter von 97 Jahren im US-Bundesstaat Washington.

Von Ayça Balcı, Dachau

Noch einmal zog er im Mai 2021 seine Schiffchenmütze auf, noch einmal legte er die Westernkrawatte mit dem Emblem des Regenbogens an, dem Zeichen der "Rainbow Division" der US-Armee, der er als junger Mann angehörte und mit der er am 29. April 1945 das Konzentrationslager Dachau befreite. Wegen der Corona-Pandemie konnte er zum 76. Jahrestag der Befreiung nicht persönlich nach Dachau kommen, also sprach er seine Botschaft aus seinem Haus im US-Bundesstaat Washington ein. Ein weiteres Mal nach Deutschland zu reisen, sollte ihm nicht mehr möglich sein. Wie erst jetzt bekannt wurde, starb Dee Eberhart am 23. Mai mit 97 Jahren. Er war einer der letzten amerikanischen Veteranen, die aktiv an der Befreiung des KZ Dachau beteiligt waren.

Geboren wurde Eberhart 1924 in Los Angeles. Als er in den 40er-Jahren sein 18. Lebensjahr erreichte, wurde der Kriegsdienst unausweichlich. Nur zehn Tage nach seinem Schulabschluss war er Soldat - erst bei der Luftwaffe und später bei der Infanterie, wo der Bedarf an Soldaten besonders groß war. In seinem Einsatz als Späher in der 42. Division der 7. US-Armee war er an der Offensive im Rheinland beteiligt und rückte mit den Truppen nach Bayern vor. Am 29. April 1945 erreichte seine Einheit das Konzentrationslager in Dachau.

In seiner Videobotschaft zur Befreiungsfeier erinnerte er sich: "Irgendwo, als wir uns näherten, konnte ich deutlich den Schornstein sehen und dachte, es sei eine Industriestadt." Das, was er am Stacheldrahtzaun zu sehen bekam, beschreibt er als ein "komplett schlimmes, heilloses Durcheinander." Er und seine Kameraden seien Zeugen der Auswirkungen der Hungersnot, von Fleckfieber und der Misshandlungen der Gefangenen durch die SS geworden. "Einige von ihnen stürzten auf uns zu, umarmten uns, und wir sollten ihnen versichern, dass sie frei seien, was wir ihnen gerne bestätigten", erzählt der Veteran.

Das Grauen in Dachau konnte er sein Leben lang nicht vergessen

Das Grauen, das er dort sah, konnte er sein Leben lang nicht vergessen. Um das Erlebte in Worte zu fassen, schrieb er Gedichte und veröffentlichte sie im Jahr 2004 unter dem Titel "Illusions - World War II Poems". Nach der Rückkehr aus dem Krieg schlug der damals 22-Jährige einen akademischen Weg ein. Er studierte Geografie und Wirtschaft, promovierte und lehrte bis 1986 an verschiedenen Hochschulen, unter anderem an der Central Washington University. Während des Kalten Krieges arbeitete er für die CIA, den Auslandsgeheimdienst der Vereinigten Staaten. Als Ehrenamtlicher im Holocaust Center in Seattle teilte er später seine Kriegserfahrungen und Erinnerungen an die Gräueltaten der Nationalsozialisten mit Schülern und Studenten. Für seinen Einsatz als Zeitzeuge verlieh ihm das Comité International de Dachau, ein Zusammenschluss ehemaliger KZ-Häftlinge, im Jahr 2020 den General-André-Delpech-Preis.

Bei seinem letzten Besuch in der KZ-Gedenkstätte trug er eine Passage aus seinen Gedichten vor: "Sei wachsam und voller Entschlossenheit, sodass nie wieder irgendwo irgendjemand noch einmal gezwungen wird, nach Dachau zurückzukehren."

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