Kolumne: Ladies & Gentlemen:Schau! Mich! An!

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(Foto: Charles Sykes)

Bei den Video Music Awards gab es wieder viel Ausgeflipptes zu sehen - manches bleibt besonders in Erinnerung, wie diese Looks von Lizzo und Billy Eichner.

Von Max Scharnigg und Julia Werner

Für sie: Spitzenbusen

Mit Witzen über dicke Menschen ist es so: Wenn es um keinen bestimmten geht, können sie lustig sein. Wenn die Zielscheibe eine konkrete Person ist, sieht die Sache anders aus, dann ist es Bodyshaming. Der US-Komiker Aries Spears verglich das Aussehen der Sängerin Lizzo kürzlich mit dem eines Kackehäuflein-Emojis. Was ihn dabei geritten hat, wäre zwar aus psychologischer Sicht interessant, aber unwichtig, denn die so übel Beleidigte gab jetzt bei den Video Music Awards die modische Antwort. Erst tauchte sie auf dem roten Teppich in einer riesigen Stoffwolke von Jean Paul Gaultier auf, nur noch ihr Gesicht war zu sehen, ja, wie ein Häufchen-Emoji mit verdammt guter Laune sah sie darin aus. Auf der Bühne später holte sie sich ihren Award dann in einem anderen Kleid vom gleichen Label ab, nämlich in dieser schwarzen Haute-Couture-Kreation inklusive Cone Bra, ein Modezitat. Dieser Spitzbusenlook machte Madonna auf einer ihrer Tourneen in den 90er-Jahren zur Fashion- und ja, irgendwie auch Feminismus-Ikone. Natürlich hat das am Körper der durchtrainierten Madonna damals anders ausgesehen: Auf und ab bewegt haben sich die Dinger bei ihr damals nicht. Bei Lizzo hingegen war alles in schönster Bewegung, und wie sie da so selbstbewusst stand, keine Sekunde darüber nachdenkend, was ihr Körper mit dem Kleid machte, das sie trug, dachte man, dass Dickenwitze generell eigentlich doch nur für sehr unbewegliche Gehirne lustig sind - also die, die sich Tag für Tag vor dem eigenen Spiegel schämen.

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(Foto: Dia Dipasupil)

Für ihn: Brustalarm!

Man erinnere sich: Bei Loriot wird in der Herrenboutique eine "kurzärmlige Hausjacke mit Zopfmuster" verlangt. Der komödiantisch angehauchte Schauspieler Billy Eichner trug bei den Video Music Awards nun eine Art kurzärmlige Hausjacke, allerdings aus durchscheinendem Organza. Wäre es eine Gardine, müsste man dazuschreiben: "nicht blickdicht". Natürlich ist das ein Kleidungsstück, das anlässlich eines dezent ausgeflippten Show-Abends ganz gut passt und Eichners sonst völlig schlichten Look aufwürzt. Bei strahlendem Tageslicht an der Straßenbahnhaltestelle würde derlei hingegen zweifellos seltsam und sexuell konnotiert wirken. Aber warum eigentlich? Gerade der erneut dauerheiße Sommer hat doch wieder die Frage nach neuen, luftigen und leichten Männerlooks aufgeworfen. Gleichzeitig waren gefühlt noch nie so viele Männer gleich ganz mit bloßem Oberkörper in der Stadt unterwegs, ob aus sportlichen Gründen, als Sonnenanbeter oder einfach nur hitzewirr. Wäre ein durchscheinender Torso in einem halbwegs geschmackvollen Outfit in diesem Sinne nicht eine denkbare Alternative - und eine Form der Gleichberechtigung, angesichts all der Taft-, Netz-, Spitzen- und Tüllvariationen und diverser Körperteil-Offenbarungen bei den Damen? Schon, aber es fehlt dem durchscheinenden Herrenbody eben immer noch etwas, das man vielleicht mit voyeuristischer Finesse umschreiben könnte. Anders gesagt: Gerade weil der Männeroberkörper in unseren Sehgewohnheiten bagatellisiert wurde, wirkt seine geheimnisvolle Verhüllung in Organza obszöner als die Summe der einzelnen Teile.

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