Tennis:Sie zieht es durch

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Luftsprung von 25 000 Zuschauern: Vor großer Kulisse schlägt die Französin Caroline Garcia in New York die US-Spielerin Coco Gauff. (Foto: Frank Franklin II/dpa)

Wer nur auf Besserwisser hört, verliert irgendwann sich selbst. Caroline Garcia hat das auf schmerzhafte Weise gelernt. Die Französin steht nun im Halbfinale der US Open, weil sie macht, was sie für richtig hält.

Von Jürgen Schmieder, New York

Wer mal in New York City gewesen ist, der kennt den schönsten Moment in dieser Stadt; und der wird umso schöner, wenn ihn eine bestgelaunte Französin beschreibt. Caroline Garcia gestikuliert wild, als sie den Wahnsinn in dieser Stadt und auf der Tennisanlage draußen in Flushing Meadows beschreibt. Das ameisenhaufenartige Gewusel; das Gehupe, Getröte und Geschrei, weil einem dauernd einer was andrehen will. "Und dann bist du in deinem Hotelzimmer", sagt Garcia. Der schönste Moment in New York City ist nämlich: wenn einen diese Stadt mal ganz kurz in Ruhe lässt.

Ein paar Stunden vor ihrem Viertelfinale gegen Cori "Coco" Gauff (USA) ging sie auf den Platz im Arthur Ashe Stadium - nur ganz kurz, bevor Ons Jabeur und Ajla Tomljanovic zu ihrer Partie (6:4, 7:6) hinaustraten. Garcia wollte erleben, wie das so ist in der größten Tennisarena der Welt, wenn knapp 25 000 Leute bei geschlossenem Dach johlen, wie der Regen prasselt, die Musik knallt. Dann ging sie zurück in die Katakomben, in die Ruhe.

Es ist bemerkenswert, wie sehr die Einlassungen von Garcia zu New York als Symbol für ihre bisherige Laufbahn dienen können. Sie hat ihr eigenes Viertelfinalmatch dann 6:3, 6:4 gewonnen gegen die formidable Coco Gauff, gegen 25 000 Zuschauer, gegen all die Zweifler. Und sie hat die Frage beantwortet, die davor auf der offiziellen Website des Turniers gestellt worden war: "Ist Caroline Garcia das größte Spektakel dieser US Open?" Ja, ist sie.

Andy Murrays Weissagung und die Folgen

Garcia ist angekommen in der Weltspitze, und sie fühlt sich im Alter von 28 Jahren zum ersten Mal wohl dort - weil es ihr gelingt, auch mal ein bisschen Ruhe zu finden inmitten des Rummels, den erfolgreiche Tennisprofis aushalten müssen. Genau das hat ihr bislang gefehlt.

Man muss zurück ins Jahr 2011. Der schottische Tennisprofi Andy Murray lümmelte in seinem Hotelzimmer in Paris (auch das muss man sich als einen schönen Moment vorstellen), guckte ein French-Open-Match und setzte bei Twitter einen scheinbar harmlosen Eintrag ab: "Ihr habt es hier zuerst gehört: Caroline Garcia, die junge Frau, gegen die Scharapowa gerade spielt, wird mal die Nummer eins der Welt." Plötzlich schauten alle auf diese 17-Jährige, und es war wie New York: Die ständige Unruhe kann einen erdrücken. "Da kam aus dem Nichts plötzlich Druck, dafür war ich nicht bereit, spielerisch wie mental", sagt sie jetzt darüber.

Es sagten ihr nun alle, was sie zu tun habe, damit das auch klappt mit dem Aufstieg; auf dem Platz und abseits davon. Garcia gönnte sich keinen Moment der Ruhe mehr; sie hörte sich das alles an, und wie jemand, der beim Spaziergang durch New York City jedes Geräusch beachtet, war Garcia irgendwann völlig verwirrt. Wann immer sie erfolgreich war (sie stieg 2018 bis auf Platz vier der Welt auf), wurde der Rummel größer, die Stimmen um sie herum lauter. Nur: Wer immer nur auf andere hört, vor allem auf Zweifler, verliert sich irgendwann.

Was es brauchte: Ausblenden der Besserwisser. Ein Team, das ihr hilft, sie selbst zu sein - und keine Leute, die ihr sagen, wo es langgehen muss. Ihr Vater Louis-Paul ist nicht mehr ihr Trainer, er kümmert sich nur noch ums Drumherum. Garcia hat einen kleinen Betreuerstab um Trainer Bertrand Perret und Physiotherapeutin Laura Legoupil; und die schaffen diese Ruheoasen ganz bewusst: Pause nach Miami im Frühling zum Beispiel, um eine Verletzung am Knöchel ordentlich auszukurieren.

"Mir schwirrt der Kopf. Es ist schon beeindruckend: das Dach, die Leute, der Lärm."

"Jetzt spiele ich, wie ich das immer wollte - und ich ziehe es durch, auch wenn ich es mal nicht wirklich fühle", sagt sie. Also: über-aggressiv, immer risikofreudig und auf der Suche nach schnellem Ende von Ballwechseln. Dafür braucht es flinke Beine - wer Aufnahmen von 2018 mit denen von 2022 vergleicht, glaubt, zwei verschiedenen Personen zuzusehen. Vor allem braucht es das Selbstbewusstsein, in Kauf zu nehmen, dass man auch mal Bälle verbolzt, dass die Gegnerin einen auskontert und man ziemlich bedröppelt dasteht. Man muss das durchziehen, auch wenn einen die Zweifler mit ihren vermeintlich gut gemeinten Ratschlägen zu mehr Langeweile raten.

Garcia zog es durch, und sie erlebte im Juni in Bad Homburg den Schlüsselmoment, als sie in der ersten Runde den ersten Satz gegen Alexandra Sasnowitsch verlor, alles verbolzte und ziemlich blöd aussah. Es war der Moment, in dem Garcia sagte: Nein, heute spiele ich nicht vorsichtig, heute mache ich weiter, wie ich will.

Sie gewann gegen Sasnowitsch und später das Turnier, sie siegte in Warschau und Cincinnati und besiegte Iga Swiatek (die Nummer eins der Welt), Maria Sakkari (die Nummer drei), Jessica Pegula (acht), Arina Sabalenka (sechs) - ihre Bilanz gegen Top-Ten-Leute von 2018 bis 2021 lautete zuvor: 1:10. Innerhalb von drei Monaten kletterte sie in der Rangliste von Platz 74 auf 17; damit war sie bei den US Open gesetzt.

Weniger Laufen, höhere Gewinnschlagquote: Das Geheimnis von Caroline Garcias jüngster Dominanz auf dem Tenniscourt. (Foto: Corey Sipkin/AFP)

Sie kam ins Viertelfinale mit der höchsten Gewinnschlagquote aller Spielerinnen (26 Prozent); zum Vergleich: Gauffs Quote lag bei 18 Prozent. Sie erreichte auch nur nur 60 Prozent der Laufleistung von Gauff (4919:8190 Meter). Konkret sah beispielsweise beim Ballwechsel, der zum 3:0 im ersten Satz führte, so aus: Sie prügelte den Ball in die Ecken, Gauff lief und lief und lief, sie erreichte sogar den gefühlvollen Halbvolleystopp und trieb Garcia zurück an die Grundlinie. Die prügelte einfach weiter in die Ecken, bis Gauff nicht mehr konnte. Gewinnschlag und Selbstbewusstseinszuwachs für Garcia, gewaltiger Energie- und Moralverlust bei Gauff.

Es war eine spektakuläre Vorstellung, in einer spektakulären Arena. "Mir schwirrt der Kopf. Es ist schon beeindruckend: das Dach, die Leute, der Lärm." Am Donnerstag spielt sie im Halbfinale gegen Ons Jabeur. Die kennt Garcia aus Jugendzeiten und Duellen während der Schwächephase - aber nicht diese völlig neue Spielerin. Der Rummel dürfte gewaltig werden, deshalb fuhr Garcia am Dienstagabend möglichst schnell heim, ins ruhige Hotelzimmer.

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