Trainerentlassungen im Fußball:Wer wartet, verliert

Trainerentlassungen im Fußball: Was, jetzt schon? Dass Thomas Tuchel bei Chelsea gehen muss, sorgt nicht nur beim geschassten Trainer für Unverständnis.

Was, jetzt schon? Dass Thomas Tuchel bei Chelsea gehen muss, sorgt nicht nur beim geschassten Trainer für Unverständnis.

(Foto: Denis Lovrovic/AFP)

Trennungen wie jene von Thomas Tuchel zeigen: Die von Investoren geführten Vereine orientieren sich an anderen Dingen - sie sehen ein Produkt, das nicht an Wert verlieren darf.

Kommentar von Felix Haselsteiner

Am deutlichsten drückte Rio Ferdinand seine Überraschung aus. Die Entlassung von Thomas Tuchel habe ihn "komplett" schockiert, sagte der ehemalige englische Innenverteidiger jüngst im Fernsehkanal BT Sport: "Ich fühle mit Thomas Tuchel. Ich glaube, was er in kurzer Zeit erreicht hat, verdient etwas Würde."

Ferdinand, 43, hat zwar erst vor sieben Jahren seine Karriere beendet, aber bei der Geschwindigkeit, in der sich der Fußball weiterentwickelt, kann man durchaus sagen, dass er einer anderen Generation entspringt. 432 Spiele hat er unter Trainer Sir Alex Ferguson absolviert, und hat damit in seiner Karriere eines der eindrücklichsten Beispiele von Konstanz und Anerkennung in der Branche hinterlegt - Tugenden, die mit dem modernen Fußball nur schwer zu verbinden sind.

Der FC Chelsea hat in dieser Woche den amtierenden Welttrainer entlassen: einen 49-jährigen, inhaltlich sicher streitbaren Trainer, allerdings mit klarem spielerischem Konzept ausgestattet, von den Menschen an der Stamford Bridge als "Tommy Tuchel" gefeiert, seit er 2021 die Champions League gewonnen hatte. Und der auch nicht die Flucht ergriff, als vor einigen Monaten unklar war, ob der FC Chelsea in seiner derzeitigen Form überhaupt weiterbestehen würde.

Entlassen wurde Tuchel laut offizieller Mitteilung, weil er das neue Management unter dem US-Amerikaner Todd Boehly in 100 Tagen nach dessen Antritt nicht überzeugt habe. Man kann diese Mitteilung durchaus würdelos nennen. Ob es weitere Hintergründe für das Unverständnis zwischen Eigentümer und Trainer gibt, darüber debattiert die britische Boulevardpresse seit Tagen. An einem entscheidenden Punkt lassen sich so oder so Erkenntnisse aus der Entlassung ziehen.

Der Champions-League-Pokal? Nett, aber bloß eine Draufgabe

Eine davon lautet, dass große Fußballklubs längst wie Konzerne geführt werden. Kein Wunder, denn wo Geld regiert, kommen die Technokraten ins Spiel und verdrängen diejenigen, die einst die Verantwortung trugen: die Manager, die nach dem Beispiel von Uli Hoeneß aus der Karriere heraus im Verein eingebunden wurden. Eine Trainerentlassung war selbst für Hoeneß eine menschlich schwierige Entscheidung, mittlerweile ist es eine notwendige Umstrukturierung. Genauso übrigens wie ein Champions-League-Sieg vor allem deshalb so großartig ist, weil er den Wert des Vereins erhöht; vergleichbar mit dem Wert aller Aktien, die ein börsennotiertes Unternehmen auf den Markt bringt. Der Pokal ist Draufgabe.

Bisher konnte man zumindest davon ausgehen, dass nur jene Klubs mit einschlägigen politischen Hintergründen auch bereit dazu sind, sich dabei von den ehrwürdigen Prinzipien der Generation Ferguson/Ferdinand zu verabschieden: Manchester City, Paris Saint-Germain oder Newcastle United arbeiten im Auftrag der Regimes aus Abu Dhabi, Katar und Saudi-Arabien; Entscheidungen werden dementsprechend rücksichtslos getroffen. Standorte wie Chelsea und Leipzig - wo in Oliver Mintzlaff ein gelernter Betriebswirt die Entscheidungen im Ressort Sport trifft - stellen nun mit ihren Entlassungen genauso unter Beweis, dass beim Streben nach Erfolg jeder Tag zählt; das Produkt darf bloß nicht an Wert verlieren.

Es gibt freilich Gegenbeispiele, auch außerhalb der Bundesliga-Kleinode wie Freiburg. Beim FC Liverpool wurde Jürgen Klopp in dieser Woche gefragt, ob er sich Sorgen um seinen Job mache. Er hätte wohl allen Grund dazu, wäre Todd Boehly sein Chef: Die vergangenen 100 Tage unter Klopp waren geprägt von durchwachsenen Transfers, einem schwachen Start in der Premier League und einer heftigen Niederlage in der Champions League. Klopp allerdings ist unbesorgt: "Der Unterschied sind die Eigentümer", sagte er. Tom Werner und die Fenway Group würden die Ruhe bewahren: "Sie erwarten von mir, dass ich mich kümmere und nicht denke, dass das jemand anderer machen wird."

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