Eltern mit psychischen Erkrankungen:Warum ist Papa den ganzen Tag traurig?

Eltern mit psychischen Erkrankungen: Sozialpädagogin Claudia Mattuschat von der Diakonie Hasenbergl koordiniert das Projekt "Kidstime".

Sozialpädagogin Claudia Mattuschat von der Diakonie Hasenbergl koordiniert das Projekt "Kidstime".

(Foto: Stephan Rumpf)

Claudia Mattuschat vom Projekt "Kidstime" hilft Eltern die merken: Ich bin psychisch belastet - und das macht was mit meinen Kindern.

Von Melanie Strobl

Psychische Erkrankungen und Belastungen enttabuisieren - so lautet das Ziel von "Kidstime". Dabei handelt es sich um ein neues, kostenloses Projekt der Diakonie Hasenbergl, das sich seit Anfang 2022 an Kinder und ihre Eltern wendet, die eine psychische Belastung oder Erkrankung haben. Die Sozialpädagogin Claudia Mattuschat ist Koordinatorin des Projekts und schätzt, dass in München etwa 79 000 Kinder pro Jahr die psychische Erkrankung eines Elternteils erleben. Im Austausch mit Kollegen, Kinderärzten und Therapeuten habe die Diakonie Hasenbergl gemerkt, wie wichtig ein Angebot ist, bei dem sich Familien über psychische Erkrankungen austauschen können. Und vor allem: kindgerechte Worte dafür finden.

SZ: Frau Mattuschat, wieso bieten Sie "Kidstime" speziell im Hasenbergl an?

Claudia Mattuschat: Wir stellen fest, dass dort viele Menschen, die zu uns zur Beratung kommen, auch psychisch belastet sind: durch die anhaltende Pandemie, durch den Ukraine-Krieg und die Unsicherheiten, die damit verbunden sind. Das ist nicht nur in unserem Sozialraum so - ich würde behaupten, dass auch andere Beratungsstellen das wahrnehmen. Wir bieten "Kidstime" an, weil wir gemerkt haben, dass die Kommunikation in der Familie über psychische Belastungen und Erkrankungen gestärkt werden muss.

Das heißt, an ihren Workshops können sowohl Eltern als auch Kinder teilnehmen?

Genau. Unser Angebot wendet sich an Familien mit Kindern aus dem Stadtbezirk Feldmoching-Hasenbergl, bei denen ein Elternteil eine psychische Belastung oder Erkrankung hat. Altersgrenzen gibt es bei uns nicht - es können sowohl Familien mit kleinen Kindern als auch welche mit Jugendlichen teilnehmen. Die Eltern müssen uns bei der Anmeldung auch keine Diagnose vorweisen. Es reicht, wenn eine Mutter oder ein Vater feststellt: "Ich bin psychisch belastet, und das macht was mit meinen Kindern."

Was verstehen Sie unter psychisch belastet und psychisch erkrankt?

Da gibt es ganz unterschiedliche Phänomene. In Deutschland treten Depressionen und Angststörungen als psychische Erkrankung am häufigsten auf. Das spiegelt sich auch bei unseren Klientinnen und Klienten wider. Eltern können aber auch aufgrund einer Arbeitssituation psychisch belastet sein. Schwierig wird es, wenn eine Familie sehr stark krisenhaft ist und gar nicht in das Gruppengefüge passt. Zum Beispiel wenn jemand psychotische Schübe hat - das kann bei uns ein Ausschlusskriterium sein, ist bis jetzt aber noch nicht vorgekommen.

Wie kann man sich den Ablauf vorstellen?

Wir treffen uns jeden ersten Freitag im Monat im Pfarrer-Steiner-Zentrum im Hasenbergl. Aktuell haben wir um die neun Familien, die an unserem Angebot teilnehmen. Die Workshops leite ich gemeinsam mit drei Kolleginnen von der Ambulanten Erziehungshilfe und dem Sozialpsychiatrischen Dienst der Diakonie Hasenbergl. Wir starten gegen 16 Uhr mit Gruppenspielen, um die Atmosphäre aufzulockern. Danach dreht sich alles um das Thema psychische Belastungen und Erkrankungen. Wir merken, dass das Thema oft mit Scham- und Schuldgefühlen behaftet ist. Über körperliche Erkrankungen spricht man, über psychische aber nicht - das wollen wir ändern. Meine Kolleginnen und ich versuchen, das Thema so aufzubereiten, dass es auch Kinder gut verstehen können.

Wie schaffen Sie das?

Sehr gut bewährt hat sich ein Modell, bei dem sich die Kinder einen Filter vorstellen sollen, der zwischen Körper und Gehirn sitzt. Wir zeichnen es auf und schauen: Was passiert, wenn dieser Filter kaputt ist und er Gefühle nicht mehr richtig aussortieren kann? Mit solchen Bildern versuchen wir zu erklären, was im Kopf und Körper passiert und warum beispielsweise ein depressiver Vater müde und traurig ist, sodass er sich nicht mehr richtig um sein Kind kümmern kann.

Geht es danach noch weiter?

Danach haben die Eltern die Möglichkeit, über ihren Umgang mit psychischen Belastungen oder Erkrankungen zu sprechen - meine Kolleginnen moderieren das Ganze. Parallel dazu haben wir die Kindergruppe, die ebenfalls dazu eingeladen ist, über ihre aktuelle Situation zu sprechen. Auf Basis des Erzählten, drehen wir mit einem Tablet in jeder Sitzung einen Kurzfilm - dieser wird nach einem gemeinsamen Pizzaessen vorgeführt. Abschließend gehen wir in die gemeinsame Diskussion und laden Eltern zum Erzählen ein, wie sie ihre Kinder im Film erlebt haben und was das mit ihrem Familienleben zu tun hat.

Worum geht es in den Filmen?

Das ist jedes Mal unterschiedlich. Vor Kurzem hatten wir beispielsweise einen Film, der sich mit dem Thema Depressionen auseinandergesetzt hat. Ein Kind wollte etwas über Asterix und Obelix machen. Dann haben wir überlegt, was das mit unserer Gruppe zu tun hat. Ein Junge meinte: Der Obelix könnte doch Depressionen haben! Es ging dann so weiter, dass Miraculix mit seinem Zaubertrank der Psychotherapeut war und Asterix seinen Freund dorthin begleitete. Aus solchen Ideen entspinnt sich eine Geschichte, die die Kinder entwickeln. Und auch wenn dabei nur Fiktives aufgegriffen wird, können wir oft Parallelen zu dem erkennen, was die Kinder in ihrem Leben durchmachen.

Wird das für die Kinder auf Dauer nicht langweilig, wenn jedes Mal ein Film gedreht wird?

Kinder haben Lust auf kreativen Ausdruck und betätigen sich gerne als gemeinsame Drehbuchschreiber. Die Filme haben bis jetzt immer Spaß gemacht und auch eine Vielfalt der Möglichkeiten gezeigt. Ich glaube nicht, dass wir Gefahr laufen, in nächster Zeit in Langeweile zu verfallen. Das zeigen auch die "Kidstime"-Workshops, die vor allem im Raum Bremen schon viele Jahre laufen.

Welche Herausforderungen gibt es aktuell?

Die größte Herausforderung liegt darin, dass sich Eltern und Kinder auf "Kidstime" einlassen müssen. Wir hatten zum Beispiel mal eine Familie, in der es dem Kind noch gar nicht klar war, dass eine Erkrankung vorliegt. Als das Elternteil darüber gesprochen hat, war es für das Kind komisch, weil es noch nie thematisiert worden war. Das heißt: Eltern sollten schon im Vorfeld mit ihren Kindern über ihre Situation reden, damit sie den Sinn der Teilnahme verstehen. Zum Beispiel könnte man zu seinem Kind sagen: Du, ich hab' eine Gruppe entdeckt und ich glaube, das tut uns gut. Denn du weißt ja, dass es mir ab und an nicht so gut geht.

Sie treffen sich mit den Familien einmal im Monat - reicht das aus?

Nein, eine Familie, in der ein Elternteil psychisch belastet oder erkrankt ist, sollte sich immer auch in eine weiterführende Behandlung begeben. Unser Ziel lautet: Familien sollen eine gute Zeit haben, in der sie auch mal miteinander lachen können und die Möglichkeit haben, offen zu reden. "Kidstime" kann Erklärungshilfen geben, aber auch nicht alles leisten.

Wie sieht die Zukunft des Projekts aus?

Als Präventionsangebot werden wir zu gleichen Teilen vom Sozialreferat und vom Gesundheitsreferat gefördert. Im Herbst findet bei uns in der Diakonie Hasenbergl wieder das jährliche Haushaltsplanungsgespräch statt. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir die Förderung noch länger bekommen. Das ist wichtig, denn wir stellen fest: Psychische Erkrankungen und Belastungen nehmen nicht ab, sondern eher zu. Die Notwendigkeit von "Kidstime" wird also weiterhin bestehen.

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