Saisoneröffnung in Bochum:Kamerad Schnürschuh, hilf!

Saisoneröffnung in Bochum: Das königliche Paar vor dem gestrandeten Todesdienstwagen: Anne Rietmeijer und Steven Scharf.

Das königliche Paar vor dem gestrandeten Todesdienstwagen: Anne Rietmeijer und Steven Scharf.

(Foto: Birgit Hupfeld)

Vom Epidauros Festival ans Bochumer Schauspielhaus: Johan Simons' Inszenierung von Euripides' "Alkestis".

Von Alexander Menden

Der Abschied in den Hades ist ein Tanz: Eine Art Freestyle-Charleston legt Anne Rietmeijers Alkestis zu Vicky Leandros' "Ich liebe das Leben" hin, während ihr präventiv trauernder Gatte Admetos darauf wartet, dass sie sich selbst final vergruftet. "Dein Koffer wartet schon im Flur", singt Leandros; hinten auf der Bühne des Bochumer Schauspielhauses wartet derweil Gevatter Tod mit dem Sarg. In den wird Alkestis gleich klettern. Abtransportieren wird der maskierte Sensenmann sie allerdings nicht, weil sein Leichenwagen anscheinend einen schwer zu behebenden Motorschaden hat.

Kein Zweifel, Euripides' "Alkestis" ist ein seltsames Stück: König Admetos, von Artemis wegen der Vorenthaltung von Opfergaben zum Tode verurteilt, bekommt von deren Bruder Apollo die Erlaubnis, jemand anderen für sich sterben zu lassen. Nur seine Frau Alkestis ist dazu bereit. Der Szene, in der Admetos vor sich hinleidet ("Dein Wort ist Schmerz. Ich flehe dich an, verlass mich nicht!"), mag man keine tragische Tiefe zuerkennen, weil man immer denkt: Dann geh doch selbst, statt deine Frau vorzuschicken. Dieser dramatischen Sollbruchstelle ist sich jeder Regisseur bewusst, wenn er sich mit dem Stoff befasst.

Wäscheaufhängen als Übersprungshandlung

Der Bochumer Schauspiel-Chef Johan Simons hat sich schon einmal damit befasst, 2016 in einer Inszenierung von Christoph Willibald Glucks Oper "Aleceste". Als Überhang dieser Bearbeitung sind vier Sängerinnen geblieben, die, begleitet von einer Orgel, einen barock-antiken Theater-Chorus bilden und das Stück kommentierend begleiten. Diese gleichsam marmorne Einrahmung lässt die Dauercamper-Ästhetik der übrigen Stück-Einrichtung noch willkürlicher erscheinen: Admetos wohnt mit Alkestis in einem Wohnwägelchen, Wäscheaufhängen als Übersprungshandlung spielt - wie im richtigen Leben, wenn auch nicht unbedingt im antiken Drama - eine zentrale Rolle.

Dass Rietmeijer und Steven Scharfs langmähniger Admetos sich nochmal ordentlich (wenn auch bekleidet) übereinander wälzen, bevor's in die Unterwelt geht, versteht man irgendwie noch - der drohende Tod kann ja auch ein Aphrodisiakum sein. Auch das nervöse, zwischen selbstdarstellerischer Rührung und sich selbst rechtfertigender Gereiztheit schwankende Auftreten dieses Königs, der das eigene sichere Ableben feige weitergereicht hat, ist durchaus nachvollziehbar. Doch warum ihm seine Eigensucht kaum jemand um die Ohren haut, weder die stolz trauernde Amme Elsie de Brauw noch der Hausgast Herakles, das bleibt unerklärt und unerklärlich. Allein sein Vater Pheres, den Stefan Hunstein als kariert gekleideten Geck mit Sonnenblumenstrauß spielt, spricht aus, was jeder denken sollte: Sein Sohn ist ein Versager.

Herakles - bei Pierre Bokma ein freundlich bemühter Kamerad Schnürschuh mit Rucksack und Outback-Hütchen - wird das Problem schließlich als klassischer Deus ex Machina lösen und Alkestis aus dem Hades, beziehungsweise auf dem gestrandeten Todes-Dienstwagen, zurückholen. Niemand weiß so recht, wie er damit umgehen soll, Admetos schon gar nicht. Was soll das alles? Warum ist er nicht einfach selbst gestorben? Man hätte sich das Theater erspart.

Vielleicht hätte man dabei sein müssen, als diese Inszenierung im Amphitheater von Epidauros gespielt wurde. Dort hatte sie im Juli als Teil des "Athens Epidaurus Festivals" Premiere. Vielleicht hätten die warmen argolischen Lüfte und die Aura des Jahrtausende alten Aufführungsortes die Ungereimtheiten weniger erheblich erscheinen lassen, womöglich wäre der Kontrast sogar reizvoll gewesen. In der Fünfzigerjahre-Atmosphäre des Bochumer Schauspielhauses jedenfalls verläppert diese Saisoneröffnung an einem Abend, der nicht recht tragisch sein will und dem es zur wirklichen Komik an Witz fehlt.

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