Europäische Union:Ursula von der Leyens verpasste Chance

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Die Präsidentin der EU-Kommission geht in ihrer Rede zur Lage der EU nicht auf die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ein. Ein schweres Versäumnis.

Kommentar von Hubert Wetzel

Ursula von der Leyen wurde vor gut zehn Jahren bekannt als die deutsche Ministerin, die sich darum kümmern wollte, dass jedes Kind ein Mittagessen in der Schule bekommt. Und zwar nicht irgendeins, sondern ein "warmes Mittagessen". Heute ist von der Leyen die Präsidentin der EU-Kommission. Und die Menschen, für die sie mitverantwortlich ist - die Europäer -, haben ebenfalls ein Problem mit der Wärme. Dieses Mal geht es um die Frage, ob oder zu welchem Preis es in diesem Winter möglich sein wird, die Wohnung zu heizen. Sicher ist: Angesichts der extrem gestiegenen Strom- und Gaspreise werden sehr viele Bürger der EU in absehbarer Zeit existenzielle Probleme haben.

Nur ein halber Satz über alleinerziehende Eltern - das war's

Am Mittwoch hätte Ursula von der Leyen in ihrer jährlichen "Rede zur Lage der Europäischen Union" die Gelegenheit gehabt, diesen Menschen etwas Mut einzuflößen. Sie hätte ihnen sagen können, dass die EU alles tun wird, um ihren Bürgern zu helfen, so wie in der Finanzkrise und der Pandemie. Sie hätte, um ihre alte Redewendung aufzugreifen, den Europäern warme Wohnungen versprechen können. Aber diese Chance wollte sie offenbar nicht nutzen. Ein kurzer Verweis auf Glashersteller, die sich das Gas für ihre Öfen nicht mehr leisten können, ein halber Satz über alleinerziehende Eltern, die sich vor der Stromrechnung fürchten, ein Exkurs über die Preisbildung am Strommarkt - das war's. Stattdessen viel ukrainisches Heldenpathos.

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Das wird dem Problem, vor dem Europa steht, längst nicht gerecht. Es sind eben nicht nur einige Nischenfirmen und Niedrigverdiener, denen brutale Monate bevorstehen, sondern Hunderttausende Unternehmen in der EU und zig Millionen Menschen. Die Angst, mit der sie in die Zukunft schauen, ist der Stoff, aus dem rechte und linke Populisten ihre Kraft ziehen, die Feinde der EU. Was immer in Brüssel jetzt an Maßnahmen geplant wird, um die Energiekrise zu meistern und die Preise wieder auf ein erträgliches Niveau zu drücken - es kommt spät und es wird zu schlecht kommuniziert, um Vertrauen zu schaffen. Man hatte nach von der Leyens Rede jedenfalls nicht den Eindruck, dass sie verstanden hat, was Europa und Europas Bürgern noch blüht. Oder dass es sie kümmert.

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Ursula von der Leyen versucht dem Eindruck entgegenzutreten, die EU-Kommission habe die Nöte der Menschen in der Union aus den Augen verloren. Sie probiert es mit viel Pathos, bleibt in zu vielem aber vage.

Von Josef Kelnberger

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