Jazz:Der Souverän

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Mit acht Jahren stand er bereits mit Carlos Santana auf der Bühne: Jazzgitarrist Julian Lage. (Foto: Noah Torralba)

Minimalismus als Gestus des heimlichen Größenwahns: Der Jazzgitarrist Julian Lage arbeitet die amerikanische Musikgeschichte auf, ohne dass es zum Frontalunterricht wird.

Von Andrian Kreye

Es gibt kein Instrument, das im 20. Jahrhundert mit so viel Symbolballast, Klangspielereien und Machismo aufgeladen wurde, wie die Gitarre. Wenn man das alles wegstreicht und nur über die Musik in die Tiefen der Popgeschichte vom Folk über den Blues, Jazz bis zur kurzen, aber heftigen Geschichte der Rockgenres einsteigen will, landet man bei Julian Lage. Der ist strenggenommen ein Jazzvirtuose, und in jener Welt wird er auch als der neue Superstar seines Instruments gehandelt. Schon länger eigentlich. 1996 war er acht Jahre alt und in der Bay Area von San Francisco ein Wunderkind, das mit Leuten wie Carlos Santana spielte. Es gab sogar einen Dokumentarfilm über ihn, "Jules at Eight".

Wenn man jetzt mal kurz die Wunderkindjahre und die zwangsläufige A-Liga-Namedropping-Bio überspringt, landet man in einer Gegenwart, in der Lage die amerikanische Musikgeschichte auf den Minimalismus eines Jazztrios verdichtet. Dabei klingt sein Instrument immer so roh und unverfälscht, als hätte er es gerade eben in einer Bar in den Verstärker gestöpselt. Und das ist, wie immer im Minimalismus, ein Gestus des heimlichen Größenwahns, der die Zuhörer zwingt, sich ganz auf die Feinheiten der Musik zu konzentrieren. Oder die Souveränität des Virtuosen, der schon alles bewiesen hat. Und weil er in das spartanische Klangbild und sein Spiel so viel hineinpackt, lohnt sich das genaue Hinhören.

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Für sein neues Album "View with a Room" (Blue Note) hat er sich mit Bill Frisell einen zweiten Gitarristen geholt, der diese ewige Suche nach der Essenz der amerikanischen Musik teilt. Sie ergänzen sich auch gut, weil Frisell mit seinem weichen, oft barocken Klang dem spröden Lage einen Raum eröffnet, der in dieser Minimalbesetzung fast schon orchestral wirkt. Ganz einfach runtergehört ist das ein perfektes zeitgenössisches Jazzgitarrenalbum. Mit jedem Anhören entdeckt man dann aber immer auch noch neue Ebenen. Modalen Jazz sowieso, aber auch Bebop, Surf, Reggae, Western Swing, sehr frühen Pop.

Und weil die beiden Gitarristen über den subtilen Rhythmusteppichen des Schlagzeugers Dave King und des Kontrabassisten Jorge Roeder nichts zitieren, sondern lediglich ihr Vokabular der Formensprachen erweitern, bleibt der Tieftauchgang in die amerikanische Musikgeschichte ein Subtext. Den kann man sich erschließen. Aber man kann es auch sein lassen und trotzdem ein grandioses Album entdecken.

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