Oktoberfest:Mit dem "Wiesn-Koks" betreibt der Münchner Völkerverständigung

Oktoberfest: Ganz so professionell wie hier bei der Schnupfweltmeisterschaft in Berg im Gau geht es auf dem Oktoberfest nicht zu (Symbolbild).

Ganz so professionell wie hier bei der Schnupfweltmeisterschaft in Berg im Gau geht es auf dem Oktoberfest nicht zu (Symbolbild).

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Klar, Bier hilft beim Flirten auf dem Oktoberfest. Aber die Bedeutung des Schnupftabaks ist nicht zu unterschätzen.

Von Thomas Hummel

Es ist einer der schönsten Momente in einem Bierzelt auf dem Oktoberfest: Ein geselliger Münchner, also ein Gastgeber, geht hinüber zum Nachbartisch und bietet einer Gruppe Asiaten eine Prise Schnupftabak an. Es sind Momente der Mimik und Gestik, denn zwischen Bairisch und Japanisch liegt bekanntlich eine halbe Welt.

Nach herzlicher Begrüßung und Bekanntmachung führt der Münchner die Schnupf-Prozedur vor: Per leichtem Klopfen streut er sich zwei Häuflein auf den Handrücken, blickt kurz freudig in die Runde, führt die Nase zu den Häuflein und lässt sie wie ein Staubsauger darin verschwinden. Anschließend preist er das Erlebte als himmlischen Akt. Die Gäste Lächeln unentwegt und machen große Augen, ein Schimmer von Angst liegt in den Blicken.

Weil man offenbar als Asiate einem Gastgeber nichts abschlägt, sondern höflich auch jeden Schmarrn mitmacht, geht die Dose von Hand zu Hand. Die Gäste schnupfen das braune Pulver Richtung Hirn. Wonach allerdings so manchem das Lächeln vergeht, und das will was heißen. Es beginnt das große Niesen, der Münchener lacht und klopft seinen Opfern kameradschaftlich auf den Rücken. Spätestens wenn der gesammelte Naseninhalt farbenfroh im Taschentuch landet, ist die Völkerverständigung auf ihrem Höhepunkt.

Gastgeber und Gäste freuen sich über das gemeinsame Erlebnis der Sinne und in Japan, Korea und China werden sie noch in Jahrzehnten von den gruseligen Bräuchen an diesem wunderlichen Ort erzählen. Was will man mehr?

Vom Schnupftabak wird erzählt, dass er einst in Süd- und Mittelamerika auftauchte. Dass er in Frankreich "poudre de la reine" - das Pulver der Königin - hieß, weil ihn die Königin Katharina von Medici im 16. Jahrhundert gegen die Migräne nahm. Der mongolische Staatschef bietet ihn bisweilen zur Begrüßung an, weil das in Ulaanbaatar die gesellige Sitte sei.

Einst verurteilte ein Gericht in der nordfinnischen Provinz Kemi-Tornio einen 27-Jährigen zu drei Jahren Haft, weil dieser zwei Tonnen Schnupftabak ins Land geschmuggelt hatte.

Niemand kann also sagen, das Schnupfen sei eine allein bayerische Angelegenheit. Und doch gibt es heutzutage keinen anderen Landstrich auf der Welt, wo so gerne und ausführlich geschnupft wird. Die Menschen hier bilden sich ein, das Einsaugen von pulvrigem Tabak gehöre zur Tradition und zum Kern ihres Wesens. Auf den hiesigen Volksfesten und demnach auch auf der Münchner Wiesn muss deshalb niemand verschmachten, der Schnupftabak geht da so schnell nicht aus. Verkäufer gehen durch die Reihen der Bierzelte und bieten eine umfangreiche Auswahl an Dosen an. Man könnte meinen, die Schnupftabak-Industrie wartet nur auf diese 18 Tage, um ihre Bilanzen in Ordnung zu bringen.

Vom Marktführer, der Firma Pöschl im niederbayerischen Landshut, wird dies allerdings dementiert. Die Absatzzahlen seien übers Jahr konstant, sagt ein Sprecher. Mit einer Ausnahme: Der weiße Schnupftabak (bestehend aus Traubenzucker und Aromastoffen wie Menthol) verzeichnet während der zwei Wochen einen Zuwachs von vier- bis fünfhundert Prozent. Den Grund dafür kann man aus einer Polizeimeldung aus dem Jahr 2015 herauslesen: "Zwei Touristen beschweren sich auf der Wiesnwache über zahlreiche koksende Wiesn-Besucher." Weißes Pulver eben. Der Pöschl-Sprecher sagt, durch die Verwechslung sei eine Art von Kult entstanden, den die Schnupftabak-Industrie keineswegs befeuert habe. Und er weist darauf hin, dass die Produkte seiner Firma allesamt legal seien.

Trotzdem schicken nun Spanier, Italiener, Australier und Amerikaner Bilder nach Hause, auf denen sie weißes Pulver in aller Öffentlichkeit in die Nase ziehen. Crazy Bavaria!

Doch ein Hinweis sei hier erlaubt: Wer glaubt, er erlebe gerade die wildesten Schnupfzeiten Bayerns, der kennt die wilden Hundlinge nicht, die hier einst gehaust haben. Zum Beispiel den Steyrer Hans, genannt der bayerische Herkules. Als der 1887 zum ersten Mal ein Bierzelt auf der Wiesn betreiben durfte, fuhr er mit geschmückten Wagen samt Musikkapelle aus Giesing zur Theresienwiese. Auch wenn ihn damals die Polizei wegen "groben Unfugs" eine Geldstrafe aufbrummte, begründete er damit den festlichen Einzug der Wiesnwirte.

Vom Steyrer Hans ist bekannt, dass er tagein tagaus riesige Mengen Schmaltzler in sich hinein schnupfte. Und weil er ein echtes bayerisches Mannsbild war, trug er der damaligen Mode gemäß einen monströsen Schnurrbart. So monströs, dass er gefragt wurde, wie er das zustande bringe. Er soll geantwortet haben: weil er einmal ein "Oachkatzl g'schnupft" habe (für Nicht-Bayern: ein Eichhörnchen). Es hat damals niemanden gegeben, der diese Erklärung in Zweifel gezogen hätte. Diese Geschichte sollte man heutzutage mal den Gästen aus Asien erzählen.

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