Spanische Nationalmannschaft:Unpräzise wie noch nie

Spanische Nationalmannschaft: Pablo Sarabia nach der Niederlage gegen die Schweiz.

Pablo Sarabia nach der Niederlage gegen die Schweiz.

(Foto: Xavier Bonilla/NurPhoto/Imago)

Auch Deutschlands WM-Gegner kämpft vor dem Turnier mit Problemen. Bei der 1:2-Niederlage gegen die Schweiz sieht Nationaltrainer Luis Enrique gravierende Mängel - und muss sich ebenfalls einer Stürmer-Diskussion stellen.

Von Javier Cáceres

Die Nations-League-Partie zwischen Spanien und der Schweiz in Saragossa brachte am Samstagabend eine Reihe interessanter Erkenntnisse. Doch keine war so frappierend wie die Überraschung darüber, wie vorzüglich der Schweizer Tormann Yann Sommer Spanisch spricht.

Das spanischsprachige Publikum wurde sich dessen gewahr, weil Sommer nach der Partie vor den Mikrofonen der spanischen Radioreporter stehen blieb und etwa dem eigens entsandten Mitarbeiter des Senders Cadena SER erklärte, wie wichtig der 2:1-Triumph für die Schweiz war, sie siegte damit erstmals überhaupt auf spanischem Boden. Verdient übrigens: "Wir haben gut, kompakt und konzentriert verteidigt", sagte er, "wir wussten ja vorher, dass wir den Ball nicht so oft haben würden." Bei einer Frage erklärte sich Sommer aber elegant für nicht zuständig: "Spanien? Nicht mein Thema."

Für die spanischen Zeitungen selbstredend schon. "Ein Bad in Pessimismus", notierte La Vanguardia in Barcelona; das Sportblatt Marca zählte nach: "60 Tage, um aufzuwachen", erst dann treffen die Spanier in der WM-Vorrunde in Katar auf Costa Rica, Deutschland und schließlich auf Japan. Spaniens Trainer Luis Enrique war auch angefasst. "¡Ostras!", entfuhr es ihm, was ja, wie Yann Sommer vielleicht auch weiß, die Verballhornung eines Fluches namens "¡Hostia!" ist, der wiederum auf die Einspeisung von frommen Begriffen aus dem Katholizismus ("Hostie") in die Vulgärsprache zurückgeht. "¡Ostras!", rief also Luis Enrique, "technisch so unpräzise wie in der ersten Halbzeit war noch nie eine Mannschaft in meiner ganzen Amtszeit." Und diese Amtszeit umfasst mittlerweile fast 40 Spiele.

Überraschend waren die technischen Unfertigkeiten seiner Mannschaft vor allem deshalb, weil der spanische Nationaltrainer erstmals Busquets, Gavi und Pedri gemeinsam in die Startelf stellte - allesamt feinfüßige Mittelfeldspieler des FC Barcelona. Und das, nachdem der Trainer am Vorabend von der besten Trainingswoche geschwärmt hatte.

Apropos Trainingswoche: Bei Außenstehenden hatte sie Aufsehen erregt, weil Luis Enrique sein Team per Walkie-Talkie hin- und hergeschoben hatte. Er stand auf einem Baugerüst und säuselte seine Kommandos in ein Funkgerät; ausgewählten Spielern war ein Lautsprecher in diese modernen Brustgurte montiert worden, mit denen die Leistungsdaten der Spieler elektronisch erfasst werden. Die von der Zeitung El Mundo Deportivo verbreitete Geschichte, der Weltverband Fifa prüfe die Zulassung des Coachings per Funkgerät für Wettkampfspiele, entpuppte sich allerdings als Ente. Das war aber nicht der Grund dafür, dass Luis Enrique gegen die Schweiz überaus sparsam coachte, sich oft auf der Trainerbank versteckte. Vielmehr wirkte es, als habe ihn das Spiel und die vielen guten Chancen der Schweizer verärgert.

Vor allem, weil die Schweizer aus Eckbällen Profit schlugen, unter Beteiligung früherer Borussen. Erst traf der Ex-Dortmunder Manuel Akanji (Manchester City) per Kopfballaufsetzer; dann traf der vormalige Mönchengladbacher Breel Embolo (59.) nach einem "Corner", wie man in der Schweiz und in Spanien zu den Ecken sagt. Der schönste Treffer des Tages war aber das Tor von Jordi Alba zum zwischenzeitlichen Ausgleich (55.). Wegen seines Schusses unter die Querlatte und die Vorbereitung durch Real-Madrid-Profi Marco Asensio. Sein Solo über den halben Platz war eines "Weltklassespielers" würdig, lobte Luis Enrique. Die Rolle Asensios wurde dennoch hinterfragt. Weil er als sogenannte "falsche" oder, wie Luis Enrique bemerkte, "andere Neun" auflief.

"Mein Glaube an diese Mannschaft ist total", sagt Trainer Luis Enrique

In Erwartung der defensiven Ausrichtung der Schweizer habe er mit Asensio dem Spiel eine größere Kontinuität verleihen und durch dessen Abschlussstärke aus der Distanz jede Gelegenheit zum Torschuss nutzen wollen, hielt Luis Enrique den Skeptikern der falschen Neun entgegen.

Spanische Nationalmannschaft: Marco Asensio trägt zwar die Nummer zehn für Spanien, läuft gegen die Schweiz aber als "falsche Neun" auf.

Marco Asensio trägt zwar die Nummer zehn für Spanien, läuft gegen die Schweiz aber als "falsche Neun" auf.

(Foto: Xavier Bonilla/NurPhoto/Imago)

Allerdings entwickelte Spanien erst nach der Pause Wucht - als Asensio vom Platz ging und durch einen "echten", klassischen Mittelstürmer ersetzt wurde: Borja Iglesias (Betis Sevilla). Er sei mit Asensio und dem Experiment nicht unzufrieden gewesen, beteuerte Luis Enrique, die Auswechslung sei nur eine Frage der Belastung gewesen: "Wir verlangen von unseren Stürmern offensiv und defensiv derart viel - es wird kaum je vorkommen, dass einer durchspielt", erklärte der Coach.

Ansonsten schien sich seine Unzufriedenheit in Grenzen zu halten. Ob er Zweifel habe, wurde er gefragt, und da war er wieder der Alte. "Keinen. Absolut keinen. Mein Glaube an diese Mannschaft ist total." Aber: Natürlich würde man lieber mit einem Sieg im Rücken zur WM fahren; am Dienstag wolle man auch deshalb in Braga gegen Portugal gewinnen, ein Dreier wäre zudem gleichbedeutend mit der neuerlichen Qualifikation fürs Endturnier der Nations League. Ansonsten könne man sich doch daran festhalten, dass es auf dem Weg zum WM-Titel 2010 auch eine Pleite gegen die Schweiz gegeben habe, damals allerdings im ersten Vorrundenspiel, schlug ein Journalist vor. Das sei doch ein gutes Omen? "Ojalá", sagte Luis Enrique. Oder wie Sommer übersetzen würde: "Hoffentlich."

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