Interview zu den 23. Dachauer Theatertagen:"Die Qualität steht bei uns ganz oben"

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Mit akrobatischem Theater begeistern Nicole & Martin ihre Fans in ganz Europa. (Foto: Montalbetti/oh)

Die Dachauer Theatertage sind heuer wieder sehr vielfältig und auch ein bisschen politisch. Ein Gespräch mit Programmmacher Frank Striegler über die Magie des Theaters, den Wert der Demokratie und warum Kinderstücke ab drei Jahren auch Erwachsene begeistern können.

Interview von Gregor Schiegl, Dachau

2008, 2012 und 2017 haben ihre Aufführungen die Zuschauer in Dachau und ganz Europa begeistert: Nicole & Martin sind wieder bei den Dachauer Theatertagen zu Gast. Freuen kann man sich auch auf die Bremer Stadtmusikanten, Rodolfo aus der Insektenwerkstatt, Quasimodo, den geizigen Mr. Scrooge, einen Tiger, der gerne mal wild wäre, und viele weitere fantastische Figuren. Die Theatertage für Kinder, Jugendliche und Erwachsene finden vom 12. bis 22. Oktober und vom 6. bis 15. November im Thoma-Haus, in der Friedenskirche und im Theaterzelt an der Postschulwiese statt.

Seit mehr als 20 Jahren stellt Frank Striegler das Programm für die Dachauer Theatertage zusammen. (Foto: Toni Heigl)

SZ: Herr Striegler, die vergangenen zwei Jahre waren für die Dachauer Theatertage nicht leicht, einmal musste das Festival wegen der Corona-Pandemie sogar abgebrochen werden. Mit welchen Erwartungen starten Sie in die 23. Dachauer Theatertage?

Frank Striegler: Im Mai haben wir entschieden, dass wir positiv denken. Wir machen jetzt ein Programm, das fast so ist wie früher. Bei den Schulen und Kindergärten hatten wir zu normalen Zeiten etwa 4000 Anmeldungen, in diesem Jahr sind es schon um die 5000. Wir haben jetzt vier Vorstellungen auf die Beine gestellt, die vorher gar nicht im Programm standen.

Das heißt, die geschlossenen Vorstellungen sind schon komplett ausverkauft?

Zu 98 Prozent. Wir haben noch ein Jugendstück zur Geschichte unseres Landes, "Mitternacht an der Grenze", da sind noch Plätze frei. Für mich ist es ein ganz besonderes Stück.

Weil?

Ich muss vorausschicken, dass ich Familie in Leipzig habe. Zu DDR-Zeiten, als Kind und auch als Jugendlicher sind wir manchmal über die Grenze gefahren. Mein Papa hat jedes Mal Schiss gehabt. Wir haben ja nichts Verbotenes getan, trotzdem war es sehr beklemmend. Ich habe das Stück live gesehen, es waren einige Jugendliche dabei, 16-, 17-Jährige, die haben die DDR ja nicht mehr miterlebt, diesen Horror, diese Beklemmung. Durch das Stück haben sie verstanden, wie das damals war und was so eine Grenze mit den Menschen und ihren Beziehungen macht.

Historische, gesellschaftliche und politische Themen - ganz schön anspruchsvoll für Kinder- und Jugendtheater.

Ja, das ist mir aber auch wichtig. Das Leben ist schön, aber das ist es eben auch nicht immer, es gehört alles dazu, gerade jetzt wo der Ukraine-Krieg tobt und sich Autokratien wie Russland und China zusammenschließen. Da ist es doppelt wichtig, zu zeigen, wie wertvoll es ist, in einer Demokratie zu leben.

Darum geht es auch im Stück "Ich will das so".

Eine Familie zieht in ein Haus, der Papa sagt: Du kriegst dieses Zimmer, du das. Und da sagen die Kinder: Nein, so nicht! Weil sie die Mehrheit haben, entscheiden sie, dass die Oma ganz nach oben zieht. Das geht aber nicht, weil die Oma ein kaputtes Knie hat. Also muss man miteinander reden. Das ist ein Stück, in dem es wirklich um das Thema Demokratie geht, dass man daran arbeiten muss. Dass es ein Schatz ist, dass wir keinen Putin haben. Wir haben einen Herrn Söder, eine Frau Baerbock, einen Herrn Lindner, die müssen auch miteinander kämpfen und sich austauschen, um Entscheidungen zu treffen und gemeinsam Lösungen finden, auch wenn es zwickt und zwackt.

Nicole & Martin sollten schon vor zwei Jahren bei den Theatertagen auftreten, jetzt ist es endlich wieder so weit. Die beiden gelten als das große Highlight dieser Theatertage. Erzählen Sie uns, warum.

Weil es etwas ganz Eigenes ist, was sie machen, das es sonst kaum gibt. Nicole & Martin kommen von der "scuola teatro dimitri", diese Schule lehrt eine Mischung aus Theater, Akrobatik, Musik und Clownerei. Mit ihrem Zelt ziehen die beiden quer durch Europa, sie haben überall Fans. Das letzte Mal, als sie hier waren, kamen die Leute aus ganz Bayern, eine Familie ist sogar extra mit dem Flugzeug aus Mailand angereist. Klar, ganz so akrobatisch wie am Anfang sind Nicole & Martin jetzt nicht mehr, die beiden sind jetzt gerade 50 geworden, aber sie steht immer noch auf seinem Kopf, und er macht Saltos, das ist eine ganze eigene Art von Theater, und sie spielen auf eine ganz herzliche, liebevolle Art. Interessanterweise kommen fast immer genauso viele Erwachsene wie Kinder.

Bemerkenswert finde ich, dass es einige Stücke für Kinder ab sechs oder auch schon ab drei Jahren im Programm gibt, die sich aber ebenso an Erwachsene richten. Wie geht das, Stücke zu spielen, die kleine Kinder nicht überfordern und Erwachsene nicht langweilen?

Wenn man sieht, wie glücklich die Kinder sind, zieht das oft auch die Erwachsenen mit. Manche Künstler ergänzen ihre Stücke auch um eine Ebene, in denen die Erwachsenen sich selbst wiedererkennen. Und die Märchen tragen ja oft Wahrheiten fürs Leben in sich. Und meist sind die Stücke so gut verpackt und so spannend gemacht, dass sie auch die Erwachsenen mitnehmen. Viele Künstler arbeiten mit einem professionellen Stab wie an einem großen Theater, das kostet natürlich einiges, aber man merkt es dem Ergebnis an. Wichtig ist immer die Qualität, die steht bei uns ganz oben. Und dass man sieht, was für einen Reichtum an Ausdrucksformen es im Theater gibt.

Das Stück "Bis Mitternacht an die Grenze" erzählt die Geschichte einer heimlichen Liebe in Zeiten der deutschen Teilung. (Foto: Veranstalter/Theatertage Dachau)
Bei der Verteilung der Zimmer im neuen Haus der Familie König soll es demokratisch zugehen. Ein Mitmachstück des Erfreulichen Theaters Erfurt. (Foto: Veranstalter/Theatertage Dachau)
Das Figurentheater Ambrella zeigt das märchenhafte Stück "Prinz Eselsohr". (Foto: Veranstalter/Theatertage Dachau)
Am Tag schläft der Mond, aber was macht er in der Nacht? Ein Stück nach der Kinderbuchvorlage von Anne Herbaut. (Foto: Veranstalter/Theatertage Dachau)

Manche Veranstalter beklagen, dass das Publikum nach Corona nicht in dem Umfang zurückgekehrt ist, wie es zu erwarten gewesen wäre. Haben Sie als Kulturveranstalter, der ja auch beim Leierkasten aktiv ist, in Dachau ähnliche Erfahrungen machen müssen?

Es ist leider auch bei uns so: Das Publikum ist definitiv verhaltener. In den vergangenen Jahren hatten wir für die freien Vorstellungen immer so um die 2000 Plätze und mit dieser Kapazität rechnen wir in diesem Jahr auch. Wir sind gewohnt, dass wir immer so zu 95 bis 98 Prozent ausgebucht sind. Das wird uns heuer aber wohl nicht gelingen.

Ist die Theaterlandschaft nach zwei Jahren Pandemie denn immer noch genauso reich und vielfältig wie davor? Einige Künstler mussten ja umsatteln und sich mit einem anderen Job über Wasser halten.

Die Kinderkünstler, mit denen wir arbeiten, sind dieselben wie vorher auch; von denen hat keiner die Segel gestrichen. Es ist sogar eher so, dass es jetzt ein Überangebot gibt. Anfangs hat es der Staat verpennt, den Künstlern zu helfen, aber über den "Neustart Kultur" haben ganz viele Produktionszuschüsse bekommen. Dadurch gibt es gerade wahnsinnig viele neue Stücke.

Karten für die Nachmittags- und Abendveranstaltungen gibt es am Freitag, 30. September, im Ludwig-Thoma-Haus mit persönlicher Beratung vom Theater-Tage-Team von 15.30 bis 19.30 Uhr. Restkarten gibt es ab Sonntag, 2. Oktober, nur noch per E-Mail an kontakt@theatertage-dachau.de . Ausschließlich für Nicole & Martin gibt es von Sonntag, 2. Oktober, an Karten auch auf www.ticketino.com . Wer sich diese nicht leisten kann: Es werden immer einige Karten kostenlos über die Kulturloge Dachau vergeben. Um das Zelt auf der Postschulwiese aufzubauen, werden für Dienstag, 11. Oktober, im Zeitraum von circa 8.30 bis 14 Uhr außerdem noch starke Hände gesucht. Alle Informationen zum Programm finden Interessierte auf der Seite www.theatertage-dachau.de .

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