Ausstellung:Wo Form voll endet

Ausstellung: Als Pippa Garner ihren "Kar-Mann" vorstellte, wurde sie ihrer Fakultät verwiesen. Sie blieb trotzdem Rebellin.

Als Pippa Garner ihren "Kar-Mann" vorstellte, wurde sie ihrer Fakultät verwiesen. Sie blieb trotzdem Rebellin.

(Foto: Pippa Garner/Stars Gallery)

Der Kunstverein zeigt erstmals in Europa das umfassende Werk der Konzeptkünstlerin Pippa Garner - spannende Arbeiten zwischen Punk und Vision.

Von Sofia Pavlu

Sie als Punk-Visionärin zu bezeichnen, käme wohl einer adäquaten Bezeichnung ihres Wesens nahe. Die 1942 in Chicago geborene Künstlerin Pippa Garner wuchs in einer Zeit auf, in der es vor Innovationen sprudelte, vor Neuerfindungen, die viel Geld einbrachten und die Menschen in die sichere Abhängigkeit einer unersättlichen Konsumgesellschaft trieben. Garners teils absurden Erfindungen parodieren bewusst Systeme des Marketings und der Verschwendung. In ihrer fünf Jahrzehnte langen Karriere kostet sie ein weites künstlerische Spektrum aus - von Zeichnung, Fotografie, Performance bis hin zu Skulptur und Installation. Der Kunstverein München zeigt nun unter dem Titel "Act Like You Know Me" die erste Einzelausstellung der Künstlerin Pippa Garner in Europa.

Gleich beim Eintreten in die minimalistischen Räumlichkeiten der Ausstellung, wartet auf der rechten Seite ein kleines Fernsehgerät. Zu sehen ist der Auftritt Garners, damals noch unter dem Namen Philip Garner bekannt, in der "Tonight Show" von 1982 mit Johnny Carson. Schon damals spielte Garner mit Gender-Klischees und erschien in ihrem berühmten "Half-Suit", ein bauchfreier Business-Anzug, der in Kombination mit ihrem großen, athletischen Körper zu dieser Zeit höchst unkonventionell schien. Zwei Jahre später versorgte sie sich bereits mit Östrogenen, um nicht mehr von einem "Geschlecht belastet zu werden", wie sie später in Interviews erzählte. Denn Geschlecht war für Garner das Fundament des Konsumismus, der die Produkte unterteilte in: für Frauen und für Männer.

Viele ihrer Werke sind verschollen, erhalten geblieben sind Fotos

Angefangen hat Garners Historie 1966 als Combat Artist der US-Armee im Vietnamkrieg, den sie in Form von Skizzen, Illustrationen und Malereien dokumentierte. Nach ihrer Rückkehr plante sie zunächst Automobildesignerin zu werden und nahm ihr Studium am Art Center an der Fakultät für Transportation Design wieder auf. Dort gerierte sie sich vermehrt als Künstlerin mit experimenteller Haltung und wurde bei Vorstellung ihres Werkes "Kar-Mann" schließlich der Fakultät verwiesen. Das zu der Zeit progressive Werk zeigt die vordere Karosserie eines silbernen Autos, das mit der unteren Hälfte eines nackten Mannes samt Penis und Skrotum verschmilzt. Dessen zur Seite gestrecktes Bein erinnert an einen urinierenden Hund.

"Kar-Mann" ist wie so viele ihrer Kunstobjekte verschollen, erhalten geblieben sind Fotos, die von Garner inszeniert und abgelichtet wurden. Diese sind nun als Teil der Ausstellung einzusehen, zusammen mit modischen Inszenierungen Garners wie einem Rock aus Krawatten, Tagebucheinträgen oder ihre als Kunstwerk erhobene ironischen Sex-Annoncen in Zeitungen. Ihre Arbeiten wurden bereits in Zeitschriften wie Esquire, Rolling Stone, Vogue oder Playboy veröffentlicht. Zudem sind in der Ausstellung Eindrücke der zahlreichen T-Shirts zu finden, die Garner mit kontroversen Slogans verzierte. Auch hier übte sie mit ironischen Sprüchen wie "Senior Slut" oder "I've Lost the Will to Die" Kritik an der Logomanie der frühen 2000er-Jahren. Um der zyklischen Überproduktion der materiellen Welt entgegenzuwirken "nutzt sie recycelte und gefundene Materialien, seien es alte Fahrradteile oder gebrauchte T-Shirts", sagt die Kuratorin der Ausstellung Fiona Alison Duncan. Seit 2018 kenne sie Pippa Garner nun und habe beschlossen, eine Biografie über sie zu schreiben. So entdeckte sie das überaus große Fotoarchiv der Künstlerin. "Eines von Pippas aktuellen T-Shirts mit der Aufschrift ,Stolz, ein Esoteric Enigma zu sein' ist wohl die beste Art, sie zu beschreiben", sagt Duncan.

"Act Like You Know Me", bis 13. November, Kunstverein, Galeriestraße 4

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