Münchner Gesellschaft:Wie das Leben so ist

Münchner Gesellschaft: "Rossini oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief": Szene aus Helmut Dietls legendärem Film von 1997.

"Rossini oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief": Szene aus Helmut Dietls legendärem Film von 1997.

(Foto: imago)

Gewandelt hat sich nicht nur, was und wer in der Gesellschaft einen Stellenwert hat. Auch das Gewicht der Berichterstattung hat sich geändert.

Von Ulrike Heidenreich

Schaut man 77 Jahre zurück, was wirklich wichtig war in der Gesellschaft der Schönen, Reichen, Berühmten, Betuchten und knapp Bekleideten, kommt man schnell zum Wesentlichen. Es sind nicht unbedingt immer Champagnerkelche oder die Kanapeés vom Michi, dem Feinkost Käfer. Klar, der rote Teppich war schon immer wichtig - egal ob man nun in Louboutins (Model Claudia Schiffer bei der Filmpremiere von "1001 Dalmatiner") oder mit glitzernden Badelatschen (Regisseurin Doris Dörrie bei vielen Premieren) drüberläuft. Ein paar Zentimeter größer ob ihrer Wichtigkeit fühlen sich da die meisten. Ganz deutlich aber haben sich die Statussymbole geändert. Ganz früher zum Beispiel konnte der Pelzmantel nicht teuer genug sein. Oder die Gänsestopfleber, die man auch sehr gerne vor laufenden Kameras verspeiste. Weil man's konnte. Und weil's noch keine Shitstorms gab. Irgendwann kamen dann die sogenannten Nobelkarossen, die Designergarderoben der Modezaren, die Protzuhren unter den Hugo-Boss-Ärmeln. Und jetzt sind es die Likes und Followerzahlen von Influencern, nachhaltige Vintage-Roben oder Instagram-Storys über extrem wichtige Besuche bei veganen Drei-Sterne-Köchen.

Gewandelt hat sich nicht nur, was in der Gesellschaft einen Stellenwert hat, sondern auch, welchen Stellenwert die Gesellschaft in der Berichterstattung der Süddeutsche Zeitung im Lauf der Jahrzehnte hatte. Worüber berichtet wurde und worüber nicht berichtet wurde. Eine kleine Zeitreise.

In den Nachkriegsjahren hatte man andere Probleme; Gästelisten und rauschende Abendgalas gab es da vermutlich nicht so, und die Filmpremieren mit Heinz Rühmann verliefen eher unglamourös. Champagner aus High Heels trank da noch niemand. Und dass Klatsch der Klebstoff für die Gesellschaft ist, wussten die damaligen Mitglieder der SZ-Redaktion wohl eher aus wissenschaftlichen Büchern. Trotzdem versuchte man, einem vermuteten Bedürfnis der Leserinnen und Leser nach anderer, leichterer Lektüre nachzukommen. Mit deutlicher Distanz, mit einigem Widerwillen, der einem aus vielen Zeilen im Archiv entgegenspringt. Eine Ambivalenz, die immer wieder in den SZ-Gesellschaftskolumnen durchdringt - und die die Autorinnen und Autoren mal mehr, mal weniger zum Beispiel durch Ironie zu bewältigen versuchen.

Klatsch? Nun gut, aber nur mit Ironie

Im Juni 1951 erscheint im Lokalteil der SZ die Rubrik "Es trafen ein ..." mit einem ziemlich grantigen Blick, was die Kollegen nebenan in der Sendlinger Straße so treiben: "Täglich kann man in der Abendzeitung lesen, wer in München eintraf. Gemeint sind damit die prominenten Gäste, die von Baltimore, Johannesburg, Rom und Athen hierher kamen. Der Geißenhofer Florian, der wegen seiner offenen Füße von Lohhof nach München gereist ist, hat natürlich wenig Chancen, in dieser Rubrik erwähnt zu werden." Spaß ist etwas anderes, Political Correctness ebenfalls, auch beim Weiterlesen: "Eigentlich ist es eine hübsche Einrichtung, daß die Münchner kontrollieren können, welche Bewohner von welchem Breitengrad in ihre Stadt einrücken: Auf diese Weise kann nicht irgend ein Scheich verdruckt und hintenherum in München sein arabisches Unwesen treiben oder mit vervielfältigten Haremsdamen an der Isar sein Liebesleben entfalten, ohne daß das ehrsame Publikum davon erfährt."

Später, nachdem ganz andere Harems und Kommunen in München-Schwabing lustig unterwegs gewesen waren, schafften es die Berühmtheiten aber irgendwann sogar auf die Seite eins des SZ-Lokalteils. Etwa im März 1980, als "Ihre Majestät Sirikit Kitiyakara", die Königin von Thailand, im Hotel Vier Jahreszeiten eintraf. Da geht es dann wirklich ins Detail: "Freundlich plaudernd und lächelnd geht sie die paar Schritte vom Auto in das Foyer des Hotels, wo sie sich gelassen und geduldig für einige Augenblicke den Blitzlichtern ,stellt'. Eingepackt in einen knöchellangen Pelzmantel, ein elegantes weißseidenes Etwas von Turbanhütchen auf dem Kopf, lächelt sie am Fahrstuhl noch einmal, jetzt zusätzlich verdeckt von einem Ungetüm von Blumengebinde, das sie in beiden Händen hält. Die Fahrstuhltür schließt sich ... vorbei der mandeläugige Zauber."

In den 1980er-Jahren gab es aber auch Kolumnen im München-Teil, die versuchten, den damaligen Glanz der Großstadt widerzuspiegeln und ein wenig den Tratsch zu zelebrieren. "Pop Corner" etwa, dort kommen die "immer jungen The Who" zu Besuch, die sich als "Band der Mods" präsentieren, "jener modisch gekleideten Jugendlichen aus den sechziger Jahren, die ihr Pendant heute in den Poppern haben". Und dann gibt es auch noch die Kolumne "Dreh-Spiegel", in der es im weitesten Sinne um das TV- und Filmbusiness in München mit allerlei prominenten Darstellern geht. Zu den Vorbereitungen eines Spezials des Bayerischen Rundfunks über die anstehenden Modewochen heißt es wörtlich: "Am Chinesischen Turm soll der Modereigen dann weiter getanzt, gehüpft und geschwebt werden. Die fesche Carolin Reiber wird bei einem Spaziergang im Englischen Garten in nicht weniger als 16 verschiedenen Modellen zu begutachten sein." Der Ton hat sich geändert, das mag man, das muss man gut finden.

Champagner aus dem Stöckelschuh

Es gab dann auch noch die Kolumne "Menschen in München", das war plus minus 1984, die sich aber dem "Eremit vom Oberwiesenfeld" widmete oder Salesianerpatern, die ihr "Leben für die Ärmsten von Rio" widmeten. Es sollte ja nicht zu seicht und oberflächlich werden. Beim "Stadtgeflüster" war das auch so. Das war ein Titel, der viel versprach, aber seriöserweise zum Beispiel diese Themen behandelte, Zitat: "In der Stadtverwaltung ,brodelt' es. Schuld an diesem Riesenkrach soll Münchens dritter Bürgermeister Klaus Hahnzog sein." Ein bisschen bunter ging es im "Stadtleben" zu, einer Kolumne, die regelmäßig im Lokalteil von Mitte der 1980er-Jahre bis 1996 erschien. Neben allen Faschingsprinzessinnenpaaren gab es hier Raum für Rudolph Moshammer, Modezar, Nina Hagen, ausgeflippt, Alice und Ellen Kessler, Zwillinge, oder Steve Martin, Hollywoodstar, von Autogrammjägern bestürmt. Freilich nur ein schmaler Raum, mal eine Spalte, mal zwei, wenig Fotos. Das musste genügen.

Anfang 1997 dann bekam die Gesellschaftsberichterstattung einen üppigeren Platz. Die Kolumne "SZenario" wurde gegründet, anfangs künstlerisch gestaltet mit wunderbaren Schwarz-Weiß-Fotos, die schon durch die Aufnahmetechnik Distanz ausdrückten. Die Texte, ironisch, natürlich ebenso. Zum Starttermin im Januar 1997, heute nennt man es Launch, kam ein Geschenk des Himmels: Die Verleihung der Bayerischen Filmpreise, der Deutsche Filmball im Bayerischen Hof - und die Premiere des Films "Rossini - oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief". Von Regisseur Helmut Dietl. Alles fast gleichzeitig. Schöner hätte man sich das nicht ausdenken können.

Ende der 1990er-Jahre war die Zeit, als noch reichlich Geld für üppige Premierenpartys da war, Medienunternehmer Leo Kirch mal eben die Leningrad Cowboys einfliegen ließ, um sie bei einem Firmenfest kurz im Hinterhof spielen zu lassen - und, ja, Hannelore Elsner beim Filmball Champagner aus dem Stöckelschuh nippte. Das gesellschaftliche Leben in München haben seitdem einige Kolleginnen und Kollegen in der SZ mal mit Wohlwollen, mal mit Skepsis, mit Witz, mit Erstaunen, mit der ganzen Palette menschlichen und professionellen Empfindens journalistisch begleitet. Es gab die mageren Jahre mit nicht so üppigen Buffets vom Michi, es gab dann wieder opulentere Partys, es gab spannende, kluge, interessante Protagonisten, aber auch ziemlich doofe und langweilige. Wie das Leben so ist und das Gesellschaftsleben auch. Die Kolumne SZenario gibt es jedenfalls weiterhin im München-Teil der SZ. Der Stoff geht nie aus.

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