Regierungsumbau in Bern:"Die Lust, noch etwas anderes zu machen"

Regierungsumbau in Bern: Ueli Maurer, Finanzminister der Schweiz, bei einem Treffen in Rom 2021.

Ueli Maurer, Finanzminister der Schweiz, bei einem Treffen in Rom 2021.

(Foto: Alessandra Tarantino/AP)

Der Schweizer Finanzminister Ueli Maurer tritt zurück. Der 71-jährige Politiker der rechtskonservativen SVP wird zum Ende des Jahres aus der siebenköpfigen Regierung ausscheiden. Was dieser Schritt für die Schweiz bedeutet.

Von Isabel Pfaff, Bern

Schon seit einigen Jahren gibt es Rücktrittsgerüchte um das dienstälteste Schweizer Regierungsmitglied, jetzt ist es raus: Ueli Maurer, 71 Jahre alt, Politiker der rechtskonservativen SVP und seit 2009 Mitglied des siebenköpfigen Bundesrats, tritt zum 31. Dezember 2022 zurück. Die Schweiz wird also zum 1. Januar 2023 einen neuen Finanzminister, eine neue Finanzministerin suchen müssen.

Maurers Schritt ist nur bedingt vergleichbar mit Ministerrücktritten in anderen Ländern, wo dem Rücktritt ja häufig Skandale oder Fehltritte vorausgehen. In der Schweiz sind Regierungsmitglieder im Grunde auf unbestimmte Zeit gewählt; eine Abwahl kommt äußerst selten vor. Und so sind es üblicherweise die Minister selbst, die entscheiden, wann Schluss sein soll. Genau das hat Ueli Maurer an diesem Freitag getan. "Die Lust, noch etwas anderes zu machen, ist größer geworden", sagte der 71-jährige am Freitag. Nun hat er sich nach 13 Jahren im Amt gewissermaßen selbst in den Ruhestand versetzt.

Diese spezielle Form der Kabinettsumbildung hängt mit dem Regierungssystem der Schweiz zusammen. Der Bundesrat, wie die Schweizer Regierung heißt, ist eine Art All-Parteien-Regierung: Alle relevanten politischen Kräfte sollen in der Exekutive vertreten sein. Den Gegensatz aus Regierung und Opposition gibt es in diesem System nicht. Dafür eine Zauberformel: Nach diesem Schlüssel, der sich an der Stärke der Parteien im Parlament orientiert, setzt sich der Bundesrat zusammen. Konkret hält die SVP zur Zeit zwei Sitze in dem Gremium, die liberale FDP und die Sozialdemokraten ebenfalls, die Christdemokraten einen. Die Formel ist nicht in Stein gemeißelt, sie ändert sich, wenn sich die Wählerstärken von Parteien ändern - allerdings nicht automatisch, sondern erst, wenn sich ein Trend verstetigt.

Für den Fall Maurer heißt das: Weil die SVP nach wie vor unumstritten die stärkste Partei in der Schweiz ist, wird ihr niemand den zweiten Sitz im Bundesrat streitig machen, anders etwa als bei der seit Jahren schwächelnden FDP. Und so gilt es als sicher, dass das Parlament bei der Wahl von Ueli Maurers Nachfolger - sie soll am 7. Dezember stattfinden - wieder einen Politiker oder eine Politikerin aus der SVP wählen wird. So lauten die ungeschriebenen Regeln im Berner Bundeshaus. Überraschende Umstürze? In diesem System eher unwahrscheinlich.

Maurer gilt eher als Hardliner

Trotzdem ist Maurers Rücktritt eine bedeutende Nachricht. In einer Exekutive mit nur sieben Sitzen, die außerdem auf Kontinuität angelegt ist und sich nicht nach jeder Parlamentswahl neu zusammensetzt, ist es nicht unwichtig, wer den zweiten SVP-Sitz übernimmt. Die Bundesräte und -rätinnen können durchaus eigene Akzente setzen.

Maurer beispielsweise, der zuerst das Verteidigungsministerium und seit 2016 das Finanzministerium unter sich hatte, gilt eher als Hardliner unter den SVP-Schwergewichten. Der Bauernsohn und gelernte Buchhalter aus dem Kanton Zürich war Parteipräsident zwischen 1996 und 2008, in einer Zeit also, in der die SVP in ganz Europa mit ausländerfeindlichen Positionen und Plakaten von sich reden machte. Politisch betrachteten ihn viele als Ziehsohn des etwa zehn Jahre älteren Christoph Blocher, jenes SVP-Übervaters, der der Partei in den Neunzigern den scharfen Rechtskurs verpasste und noch heute großen Einfluss hat.

Doch im Gegensatz zu Blocher, der auch mal Bundesrat war, aber wegen seiner kompromisslosen Art als einer der wenigen 2007 aus dem Amt gewählt wurde, fügte Maurer sich als Bundesrat meist den Regeln dieses auf Ausgleich bedachten Gremiums. Zwar unterliefen ihm regelmäßig Patzer und Peinlichkeiten: mal ein sexistischer Hausfrauen-Witz, als er für neue Kampfflugzeuge warb, mal ein ins Mikro gemotztes "kä Luscht", als ein Reporter ihn nach seiner Wiederwahl als Bundesrat interviewen wollte.

Fast schon legendär ist ein Live-Interview während eines USA-Besuchs auf CNN, bei dem Maurer nicht nur mit helvetischem Englisch glänzte, sondern auch mit einem Berater, der ihm für alle hörbar Tipps ins Ohr flüsterte. Trotz solcher Auftritte attestierten ihm die meisten Beobachter eine solide Regierungsarbeit, insbesondere als Finanzminister. Mit den Jahren erzielte er immer bessere Ergebnisse, wenn er im Parlament zur Wiederwahl stand - ein Hinweis darauf, dass ihm Politiker aus dem gesamten Parteienspektrum Respekt zollten.

Ob er bei den Wahlen 2023 wieder glänzend im Amt bestätigt worden wäre, ist fraglich. Denn insbesondere zuletzt, während der Corona-Pandemie, fiel Maurer einige Male damit auf, dass er offen Position gegen den Bundesrat bezog. Vor einem Jahr etwa ließ er sich in der Kluft der "Freiheitstrychler" fotografieren, einer Gruppe radikaler Maßnahmenkritiker - ein Unding in der Schweiz, wo Meinungsunterschiede innerhalb der Regierung bewusst geheim gehalten werden und man nach außen geschlossen auftritt.

Womöglich ein Rücktritt zur rechten Zeit. Das legen auch die freundlichen Reaktionen der anderen Parteien nahe: Die FDP bedankte sich für Maurers "großen Einsatz für die Schweiz", die Mitte-Partei für sein "langjähriges Wirken".

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