Lange Nacht der Demokratie:Eine Gesellschaft braucht Beteiligung

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"Kochen für Weltbürger": Auch das war ein Angebot der "Langen Nacht der Demokratie". (Foto: Johannes Simon)

Einen ganzen Abend lang können sich Interessierte bei der "Langen Nacht der Demokratie" darüber informieren, welche Möglichkeiten der politischen Mitwirkung es gibt. Bei einer Podiumsdiskussion wird kontrovers über das Thema Pflichtdienst für junge Menschen diskutiert.

Von Marus Oberberger, Freising

"Gemeinsam aktiv werden, Demokratie gestalten und Demokratie erleben!" So beschrieb Damian Knöpfle, Leiter des KJR Dachau, der die Lange Nacht der Demokratie am Sonntag in Freising koordinierte, den Zweck der Veranstaltungen. In Moosburg hatte die VHS am Nachmittag bereits ein vielfältiges Programm angeboten, in Freising gab es etwa ein Dutzend Veranstaltungen. Ein großer Teil davon fand im Lindenkeller statt.

Landrat Helmut Petz nannte in seinem Grußwort Demokratie in ihrer heutigen Ausgestaltung die "mit Abstand beste Staatsform". Aber lediglich alle vier Jahre zu wählen, reiche nicht, "jeder von uns muss dranbleiben" und sich beteiligen. Er sehe es als Problem, dass 20.000 Menschen ohne EU-Staatsbürgerschaft im Landkreis Freising rechtlich keine Möglichkeiten zur politischen Mitwirkung haben. Um die Interessen dieser Menschen zu artikulieren, habe sich der Integrationsbeirat des Landkreises am 30. September konstituiert.

20.000 Menschen im Landkreis haben keine EU-Staatsbürgerschaft und damit kein Wahlrecht

Auf dem "Markt der Möglichkeiten" konnten Interessierte mit dem Integrationsbeirat und verschiedenen zivilgesellschaftlichen Initiativen ins Gespräch kommen. Der Migrationsbeirat, Teil der Agenda 21 und seit 2006 bei der Stadt Freising verankert, informierte über seine interkulturellen Veranstaltungen und Ziele: Die dort Engagierten bemühen sich, Menschen ohne Wahlrecht eine Stimme zu geben. Denn "Demokratie ist Teilhabe", wie Mesut Ünal, einer der beiden Sprecher des Migrationsbeirats betonte. Bei der Freisinger Ortsgruppe von Amnesty International konnte man ein Schlangen-und-Leitern-Spiel mit Fragen zu Menschenrechten spielen und Postkarten an für Menschenrechtsverletzungen politisch Verantwortliche schreiben.

Philipp Potthast bot Poetry Slam und Texte zur Demokratie. (Foto: Johannes Simon)
Auf dem Markt der Möglichkeiten stellten sich verschiedene Initiativen vor und luden zum Mitmachen ein. (Foto: Johannes Simon)
In der Christi-Himmelfahrtskirche las Navid Kermani (li.). Sein Motto: "Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen." (Foto: Johannes Simon)

Einige Poetry-Slam-Texten von Philipp Potthast setzten den Abend fort. Er erinnerte an die aus heutiger Sicht massiven Defizite der Demokratie im antiken Athen und den frühen USA. Und genauso wie wir heute frühere Demokratien für mangelbehaftet halten, sollten wir heute auch den Verbesserungsbedarf an der eigenen Demokratie reflektieren, so Potthast.

Dienstpflicht für junge Menschen: Auf Zwang oder Eigenverantwortung setzen?

Anschließend diskutierten die Landtagsabgeordneten Benno Zierer (FW) und Johannes Becher (Grüne), moderiert vom AK Jugendpolitik des KJR, über den Vorschlag für ein verpflichtendes Dienstjahr für junge Menschen. Zierer hat selbst eine Behinderteneinrichtung geleitet, in der Zivildienstleistende beschäftigt waren. "Ich finde, dass das eine große Bereicherung gewesen ist", für die Einrichtung, aber auch für die jungen Menschen, argumentierte er. Außerdem solle ein Pflichtdienst die Jugendlichen auf die Gesellschaft vorbereiten und den Pflege- sowie Sozialarbeitssektor entlasten.

Der Dienst solle mit Rentenpunkten, besserer Bezahlung und möglicher Anrechnung im Studium belohnt werden. Becher warb dafür, die bestehende Freiwilligendienste besser zu bewerben und mit einem höheren Taschengeld sowie kostenlosen ÖPNV-Fahrten attraktiver zu gestalten. Er halte das Vorschreiben eines Dienstes aber für unverhältnismäßig und glaube nicht, dass Pflichtdienstleistende Personalmängel in Pflege und anderen Einrichtungen lösen könnten.

"Der Pflichtdienst macht etwas mit einem"

Im zweiten Teil der Podiumsdiskussion kamen etwa ein Dutzend Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf die Bühne und äußerten ihre Meinungen, die meisten davon junge Menschen. Das Publikum war in der Frage gespalten: Eine Person berichtete, dass Freiwilligendienstleistende aus ihrer Erfahrung Hauptamtliche teils ersetzen würden. Ein Pflichtdienst könne somit Personaldefizite noch verschärfen. Alle Diskutierenden waren sich einig, dass ein Dienst Persönlichkeit entwickle, Orientierung gebe und Perspektiven öffne. So trat ein jugendlicher Teilnehmer dafür ein, dass der Staat den jungen Menschen die Entscheidung abnehmen und ein Pflichtjahr einführen solle.

Es gebe auch andere Pflichten, deshalb sei eine Dienstpflicht auch nicht weiter schlimm, argumentierte eine ältere Diskutantin. Andererseits: Der Pflichtdienst "macht etwas mit einem", wie ein ehemaliger Zivildienstleistender berichtete, er habe dies als ungerecht empfunden, auch wenn es ihm etwas gebracht habe. Eine andere Teilnehmerin bemerkte, dass ihre Söhne gleich nach der Schule ihre Ausbildung begonnen hätten, und ein Jahr Pflichtdienst sie auf ihrem eingeschlagenen Weg nur aufgehalten hätte.

Der Staat soll junge Menschen zum Entscheiden befähigen

Zierer gab zu bedenken, dass die Motivation für soziale Aufgaben teils erst aus der Bekanntschaft mit den entsprechenden Bereichen komme. Er finde "Zwang teilweise auch notwendig, um den Menschen was zu zeigen". Außerdem motiviere ein Dienstjahr die Menschen, politisch zu partizipieren. Becher hingegen betonte, dass der Staat die jungen Menschen zum Entscheiden befähigen und nicht vorschreiben solle. Er wies darauf hin, dass junge Menschen im politischen Prozess unterrepräsentiert seien und er eine Dienstpflicht für ein "verkehrtes Zeichen" halte.

Ein "Recht auf einen sozialen Dienst" würde aber auch er unterstützen. Zierer hält einen breiten politischen Konsens für die Einführung eines verpflichtenden Gesellschaftsdienstes für zentral und möchte dabei auch die betroffenen jungen Menschen einbinden. Becher schlug deshalb vor, ein Recht auf Jugendbeteiligung auf kommunaler Ebene einzuführen und einen institutionell verankerten Jugendbeirat auf Landesebene einzuführen.

Die Aufrufe zur politischen Teilhabe zogen sich durch den gesamten Abend. Damian Knöpfle und Martha Suda vom KJR luden junge Menschen dazu ein, beim AK Jugendpolitik mitzuwirken und wollen weiter Projekte der Demokratiebildung voranbringen. Die Lange Nacht der Demokratie klang am Sonntagabend ab 22 Uhr mit weiteren Poetry-Slams aus. Die Einladungen, sich einzumischen und Demokratie mitzugestalten, stehen damit aber nicht am Ende.

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