Energiewende:Es eilt

RWE-Kohlekraftwerk Niederaußem

Bald sind diese Wolken nur noch Erinnerung: Blick auf das RWE-Kohlekraftwerk Niederaußem.

(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

RWE will im Rheinland nun schon bis 2030 aus der Braunkohle aussteigen. Gut so - aber dieser Schritt bleibt pure Symbolik, wenn jetzt nicht schnell noch etwas anderes geschieht.

Kommentar von Michael Bauchmüller

Ziemlich genau vier Jahre ist es her, da machte der Essener RWE-Konzern noch Jagd auf Baumhäuser. Die Demonstranten darin standen dem Fortschritt im Wege - dem Fortschritt des Tagebaus Hambach. Auf Biegen und Brechen wollte der Stromkonzern den benachbarten Wald roden, am Ende unterlag er auf ganzer Linie: juristisch, politisch, öffentlich. Der Ruf war erst einmal ruiniert. An die Kohle unter dem Wald kam der Konzern auch nicht ran. Zum Glück.

Und jetzt? Vier Jahre später will derselbe Konzern sein Ausstiegstempo verdoppeln. Nicht in 16 Jahren will er die Braunkohle hinter sich lassen, sondern schon in acht. 2030 - und nicht erst 2038 - sollen sich die Schaufelradbagger zum letzten Mal drehen. Von dann an sollen die Wolken über dem Rheinland nur noch vom Wetter kommen und nicht mehr aus Kühltürmen. Für den größten Stromproduzenten im Land ist das ein gigantischer Schritt, er kappt damit die Wurzel seines einstigen Erfolgs: die Erzeugung von Strom in Großkraftwerken. Für das Klima wird die Entscheidung ebenfalls Folgen haben, denn RWE ist der größte Emittent von Kohlendioxid Europas. Und auch die Finanzmärkte spenden Applaus. Der RWE-Kurs fällt nicht, er steigt. Der Schritt war überfällig.

So weit ist es gekommen - in einem Land, das Braunkohle verfeuert wie kein anderes auf der Welt, allen Klimabekenntnissen zum Trotz. So weit haben es die jungen Leute gebracht, auf den Straßen und in den Baumhäusern, auch wenn sie nun das Dörfchen Lützerath aufgeben müssen. Und alle gemeinsam, Staat, Klimaschützer und Konzerne, stehen nun vor einer Herausforderung, die größer ist als der größte Tagebau: der Vorbereitung auf das Danach.

Denn Öko-Energien werden die Lücke nur auf dem Papier füllen können. Mag es auch klappen, bis 2030 mindestens 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen zu beziehen - das Problem ist damit nicht gelöst. Es wird viele Stunden geben, in denen es mehr als genug Elektrizität gibt - und andere, in denen sie fehlt. Wind und Sonne werden darüber entscheiden, ob gerade 200 Prozent Ökostrom verfügbar wären oder nur 20. Es braucht also Speicher, um Überschüsse für flaue Stunden aufzuheben. Sie sind der Schlüssel.

Mit Batterien lässt sich hier ein bisschen was machen, mit intelligenteren Stromnetzen auch. Aber ohne eine Technologie wird es nicht gelingen, das starke Rad zu drehen: Wasserstoff. Er lässt sich aus Strom gewinnen, vorzugsweise aus grünem. Er kann Koks in Stahlwerken ersetzen oder als Basis für Flugzeug-Kraftstoffe dienen. Er lässt sich in Brennstoffzellen wieder in Strom wandeln - und er kann in Gaskraftwerken das Gas ersetzen. Auch RWE will dereinst solche Kraftwerke im großen Stil betreiben.

Mehr denn je macht die Energiekrise den Wasserstoff zur Wunderwaffe, nicht nur im Kampf gegen die Erderhitzung. Denn wer die Welt mit Energie versorgt, darüber entscheidet dann nicht mehr der Reichtum an fossilen Ressourcen, sondern an Windrädern und Solarparks. Es wäre das Ende fossiler Abhängigkeiten. Nur: Wäre das alles einfach, wäre es längst geschehen.

Massive Investitionen in die neuen Infrastrukturen werden fällig

Was hier passiert, im Rheinland und anderswo, ist beispiellos: ein Wechsel des Brennstoffs bei laufendem Rennen. Das kann nur gelingen, wenn sich das alte und das neue System überlappen. Konkret heißt das: Der Wasserstoff muss schon da sein, noch ehe das letzte Stück Braunkohle in den Kessel wandert. Dafür aber muss sich die neue Technologie erst durchsetzen: Bisher gibt es kaum Anlagen zur Herstellung von Wasserstoff und nur wenige Leitungen, die den flüchtigen Stoff transportieren können. Massive Investitionen in die neuen Infrastrukturen werden fällig. Gelingen kann das nur mit staatlicher Hilfe, mit Klarheit im Kurs und einem unmissverständlichen CO₂-Preis für die fossile Konkurrenz. Und natürlich mit viel mehr Windrädern und Solarzellen, nicht nur in Deutschland.

Die Sache eilt, und zugleich war die Gelegenheit nie so günstig. Wladimir Putin hat einen Sprengsatz auch an das Geschäftsmodell Russlands gelegt; Energie-Unabhängigkeit ist ein Wert an sich geworden. Teures Gas macht den Wasserstoff zunehmend wirtschaftlich. Aber damit sein Preis weiter fällt, braucht es mehr Produktionsanlagen und die passende Infrastruktur, und damit sich beides rentiert, braucht es mehr Nachfrage nach Wasserstoff - also Industrieanlagen und Kraftwerke, die damit arbeiten. Ein klassisches Henne-Ei-Problem, das sich nur politisch lösen lässt.

Hier kommen auch diejenigen wieder ins Spiel, die diese Wende erst möglich gemacht haben; Demonstranten und Baumhausbewohnerinnen, die gestern gegen die Braunkohle gekämpft haben, müssen heute - zusammen mit vielen anderen - mit gleicher Entschlossenheit für ein neues Energiesystem streiten, damit es morgen auch wirklich entsteht. Denn die Beschlüsse zum Ausstieg waren die leichtere Übung. Sie bleiben pure Symbolik, wenn der Einstieg in eine saubere Energiewelt misslingt.

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