Münchner Beratungsstelle Before:Wenn Kinder zur Zielscheibe von Rassismus werden

Münchner Beratungsstelle Before: Was Rassismus ist, steht in Münchner Schulen auf dem Lehrplan (Archivfoto) - für viele Schüler gehört er aber auch zum Alltag. Die Beratungsstelle "Before" betreute vergangenes Jahr insgesamt 435 von Diskriminierung und rechter Gewalt betroffene Menschen, unter ihnen viele Kinder und Jugendliche .

Was Rassismus ist, steht in Münchner Schulen auf dem Lehrplan (Archivfoto) - für viele Schüler gehört er aber auch zum Alltag. Die Beratungsstelle "Before" betreute vergangenes Jahr insgesamt 435 von Diskriminierung und rechter Gewalt betroffene Menschen, unter ihnen viele Kinder und Jugendliche .

(Foto: Florian Peljak)

Diskriminierung und menschenfeindliche Übergriffe beginnen schon in Kindergarten und Schule. Wer sich beschwert, wird schnell zum Störenfried. Was die Beraterinnen aus München erzählen, ist erschreckend - doch was tun?

Von Martin Bernstein

Als das kleine Mädchen und seine Eltern aufgeben, zermürbt und krank von rassistischer Diskriminierung und Mobbing, kommentieren Verantwortliche der Schule, an der all das passiert ist: "Wir sind froh, dass das Kind geht. Die Klasse kann jetzt aufatmen." Das Opfer geht, die Täter bleiben. Und das für kurze Zeit sichtbare Thema Diskriminierung kann wieder unsichtbar gemacht werden.

Lea Tesfaye, die den Fall der Sechsjährigen schildert, und ihre Kolleginnen und Kollegen von der Münchner Antidiskriminierungsberatung "Before" haben im vergangenen Jahr 220 Ratsuchende betreut. Unter ihnen waren 16 Jugendliche und 30 Kinder. Münchens Schulen sind nach den am Dienstag vorgelegten Zahlen diejenigen Orte, an denen am zweithäufigsten Fälle von Diskriminierung bekannt werden. In den allermeisten Fällen geht es um Rassismus.

Was die Beraterinnen erzählen, ist erschreckend: Einzelfälle, die aber Muster erkennen lassen, wie Siegfried Benker sagt, der geschäftsführende Vorstand des Vereins: "Before fungiert als Seismograf." Das Beben beginnt bei den Allerkleinsten. Schon Kleinkinder berichten ihren Eltern von beleidigenden, abwertenden Bemerkungen im Kindergarten. Zuhause fragen sie dann: "Warum sagen die anderen Kinder, ich bin hässlich und schmutzig? Warum sagen sie, meine Haut ist eklig?"

Neue städtische Anlaufstelle

Schulen waren auch 2021 ein Schwerpunkt in der Beratungsarbeit bei Before. "Lieber nicht drüber reden", sei noch immer viel zu oft die Devise. "Mittelfristig können wir Diskriminierungen in bayerischen Schulen nur mit einem Landesantidiskriminierungsgesetz, einer Anpassung des Schulgesetzes und einer flächendeckenden unabhängigen Beratungslandschaft wirkungsvoll begegnen", sagt Beraterin Tesfaye. "Im Moment werden Diskriminierungen nicht als Problem erkannt und Betroffene haben kaum Möglichkeiten, sich zu wehren." Zumindest die Stadt München will jetzt gegensteuern und hat eine eigene Anlaufstelle geschaffen. 15 Fälle wurden dort seit Februar schon gemeldet - kein einziger jedoch von einem betroffenen Kind oder Jugendlichen.

Gestiegen ist laut Before auch die Zahl der Fälle, in denen ein nicht-weißer oder nicht-deutscher und ein weißer oder deutscher Elternteil um Sorge- oder Umgangsrecht streiten. Das Verhalten der verantwortlichen Behörden, aber auch der Familiengerichte ist nach Einschätzung der Before-Experten in diesen Konstellationen immer wieder von rassistischen Annahmen geprägt. Beraterin Léa Rei: "Bei Diskriminierung kommt es nicht auf die Absicht an - die Wirkung ist entscheidend." Auffallend oft unterstützten die zuständigen Stellen von vornherein die Anliegen der weißen, deutschen Partner. "Ihrer Perspektive wird mehr Glauben geschenkt, ihre Kenntnisse werden anerkannt und ihre Interessen werden häufiger vertreten."

Rechte Gewalt im Wohnumfeld

Wenn Rassismus und Diskriminierung schon im Alltag gedeihen - "in vitalen Lebensbereichen wie Arbeitsplatz, Schule, Behörden und Wohnumfeld", wie Before-Sprecher Damian Groten sagt -, dann ist es oft nur noch ein kleiner Schritt zur rechten, gruppenbezogen menschenfeindlichen Gewalt. Die Zahl der Beratungsfälle nach rassistischen Bedrohungen im Hausflur und Übergriffen bis hinein in die Wohnung der Betroffenen ist auf 38 gestiegen. 215 Betroffene rechter Gewalt hat die Beratungsstelle insgesamt betreut, fast ein Viertel davon Kinder oder Jugendliche.

"Diese Angriffe sind für die Betroffenen eine Attacke auf ihren intimsten Lebensbereich und Rückzugsraum - mit entsprechend heftigen Folgen", sagt Berater Matthias Schmidt-Sembdner. Verstärkt werde das, wenn die Polizei nicht als Anlaufstelle, sondern als Teil des Problems gesehen werde. "Wir hören immer wieder, dass Betroffenen von rechter Gewalt die Anzeigenstellung erschwert wird", so der Experte. Da sagen Polizisten und Polizistinnen Opfern rechter Gewalt schon mal, dass ihre Anzeige ohnehin keine Aussicht auf Erfolg habe, oder erkennen nicht, dass eine Tat rassistisch motiviert war. "Die Betroffenen müssen sich dann rechtfertigen und werden zusätzlich unter Druck gesetzt."

Der alltägliche Hass

Wie man das ändern kann - daran arbeitet auch das Polizeipräsidium München. Dort führt man Informationsgespräche mit städtischen Fachstellen und Betroffenengruppen und erkennt durchaus, dass die "Vertrauensbasis zwischen den Opfern und der Münchner Polizei" gestärkt werden muss und dass es "besondere Herausforderungen und Anforderungen" und Hemmschwellen bei der Anzeigenerstattung gibt. Insgesamt 361 Fälle so genannter "Hasskriminalität" registrierte die Münchner Polizei 2021, rund 90 Prozent davon politisch rechts motiviert. Besonders stark nahm die Zahl der Attacken auf Juden zu - und Angriffe wegen der sexuellen Orientierung von Menschen.

Die Dunkelziffer ist groß, das wissen auch die Before-Verantwortlichen. "Nur ein Bruchteil der Betroffenen kommt in die Beratungsstelle", sagt Siegfried Benker. Dennoch musste Before vergangenes Jahr kurzfristig sogar einen Fallaufnahmestopp verhängen. Benker: "Die Auseinandersetzung mit Diskriminierungen und rechter Gewalt braucht einen langen Atem und viel Kraft." Die zuständigen Behörden müssten dafür sorgen, dass Menschen die dringend benötigte Unterstützung bekämen und ihnen nicht noch zusätzliche Verletzungen zugefügt und Steine in den Weg gelegt würden - "sei es an Schulen oder auf Polizeidienststellen".

Benker ist jedoch überzeugt, dass jeder Münchner und jede Münchnerin etwas tun kann: wenn die Zeugen rassistischer Übergriffe sich melden, wenn Betroffene von Diskriminierungen nicht allein gelassen werden. Dass das in vielen Fällen noch immer nicht passiert, so Before-Sprecher Groten, sei für die Hilfesuchenden als "mindestens genauso schlimm oder noch schlimmer" wie der eigentliche Übergriff empfunden worden.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusDiskriminierung an Schulen
:"Es muss klar sein: Es gibt ein Rassismusproblem"

Ein Mädchen wird in einer Grundschule wegen seiner Hautfarbe beschimpft. Anstatt zu helfen, reden die Lehrer das Problem klein. Warum Schulen besonders anfällig sind für Diskriminierung - und was ein Münchner Verein Betroffenen rät.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: