Theater:Bomben und Gardinenstangen

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Für die Inszenierung von "Zerstörte Straßen" am ETA-Hoffmann-Theater in Bamberg schrieb Vorozhbyt einen neuen Schlussmonolog. (Foto: Martin Kaufhold)

Was bringt es, Krieg zu spielen? Das ETA Hoffmann Theater in Bamberg zeigt "Zerstörte Straßen" der ukrainischen Autorin Natalia Vorozhbyt und macht daraus einen Abend von größtmöglicher politischer Relevanz.

Von Yvonne Poppek, Bamberg

Wie spielt man Krieg auf der Bühne? Wie spielt man ein Mädchen im Krieg, Blut, Waffen, verstümmelte Körper? Und, die Frage muss gestattet sein: Wenn man es spielt, was bewirkt es dann? Der Abend in Bamberg, man kann es nicht anderes sagen, fliegt einem am Ende komplett um die Ohren. Da steht Alina Rank an der Bühnenrampe und spricht ganz ruhig den Epilog, den die ukrainische Autorin Natalia Vorozhbyt für das dortige ETA Hoffmann-Theater geschrieben hat. Was hat Kunst zur Rettung der Welt beigetragen, fragt sie darin. Sie, die Künstlerin, deren Stück zu sehen war. Für sie sei es kein Trost, dass ihre Texte weiter existieren, sollte sie sterben im Krieg. "Ich will anstelle von ihnen bleiben", schreibt sie. "Bitte."

Am Bamberger Theater hatte das Stück "Zerstörte Straßen" von Vorozhbyt am Freitag Premiere. Zumindest in Bayern ist es ein Abend, der in seiner politischen Relevanz konkurrenzlos ist. Keine Partikularinteressen, keine Bauchnabelschau, hier geht es um den Krieg in der Ukraine, darum wie wir - auch künstlerisch - damit umgehen und um die grelle Verzweiflung, dass der militärische Angriff immer weiterläuft und weiterläuft. Dabei setzt die Inszenierung nicht auf Betroffenheit, sondern - als harten, ja auch brutalen Gegenschnitt - auf Komik und Groteske. Denn wer im Theater sein Mitgefühlchen erlebt hat, der wird allzu leicht wieder aus dem Saal entlassen. Diesen Weg geht Regisseur Wojtek Klemm nicht. Eine kluge Entscheidung.

Für ihr Stück reiste die Autorin ins Kriegsgebiet

Natalia Vorozhbyt hat ihr Stück - im Originaltitel "Bad Roads" - im Auftrag des Royal Court Theatre in London geschrieben. 2017 wurde es dort uraufgeführt, zudem machte Vorozhbyt einen ausgezeichneten Film daraus. Die Autorin fuhr dafür ins Kriegsgebiet in den Donbass, arbeitete ihre Recherchen ein, entwickelte sechs Bilder mit ganz unterschiedlichen Perspektiven, die sie miteinander verwoben hat: Ein Lehrer, der in eine Straßenkontrolle gerät und schikaniert wird. Mädchen, die abends auf Soldaten warten. Eine Frau, die ein Huhn überfährt und dafür von den Bauern quälerisch unter Druck gesetzt wird. Eine andere Frau, die ihren Geliebten begleitet; er ist tot, der Kopf abgetrennt und verschwunden. Ein Soldat, der ein Mädchen in einem Keller missbraucht.

Wie spielt man ein Mädchen im Krieg? Jeanne Le Moign zeigt es, wickelt ein paar Haare um den Finger. Kann man Krieg überhaupt spielen? (Foto: Martin Kaufhold)

Für Bamberg ergänzte Vorozhbyt einen Epilog, der das Stück im Heute verankert. Sie schreibt über ihre Situation in Kiew, verschränkt lakonisch Alltag und Krieg. Drohnenangriffe stehen neben Wohnungsrenovierung, Bomben neben Gardinenstangen. Dazwischen die bittere Verzweiflung, dass Kunst die Welt nicht rettet. Der Schnitt geht tief. Der Krieg hat Tote, Zerstörung, Leid gebracht. Was im Theater nun direkt spürbar wird und nicht nur mittelbar über Bilder und Berichte: Der Krieg zerstört auch die Kultur, entzieht den Glauben, die Werte. Diesen Verlust sichtbar zu machen, das immerhin kann die Kunst leisten. Zumindest an diesem Abend in Bamberg.

Regisseur Klemm hat dazu Realismus und lineares Erzählen weitgehend aufgegeben. Die Bühne von Romy Rexheuser gleicht einer ausgestorbenen Ödnis. Ein paar Birkenstämme baumeln über dem Boden, rechts versunken im Boden eine Art Bunkeröffnung, links Kriegsmaterial. Die Schauspieler sind auf dieser Fläche ausgeliefert. Anfangs werden sie von unkontrollierten Bewegungen durchzuckt, als würden ihre Körper Traumata aufarbeiten. Schließlich tritt Marek Egert ans Mikro, erzählt von einer Gasrechnung über 1551 Euro, die ihm jetzt den Plan kaputt macht, das neue iPhone zu kaufen. Robert Knorr erzählt, dass er gerade Werbung für ein scharfes Fastfood-Gericht gemacht hat. Weil er so schöne Tränen weinen konnte, sei er genau richtig in dem Stück. Weitere autofiktionale Elemente folgen, die Stoßrichtung ist klar: Wie die Autorin verschränkt auch der Regisseur Alltag und Krieg, den westeuropäischen, weitgehend ungetrübten Lebensstandard mit den Bildern von Vorozhbyt.

An der Grenze zur Geschmacklosigkeit

Das ist hart an der Grenze zur Geschmacklosigkeit, bildet aber letztlich eine Realität ab. Darüber hinaus funktioniert dieser Gegenschnitt so hervorragend, weil ein beeindruckendes Ensemble auf der Bühne steht. So wechseln sie störungsfrei vom Grotesken in die einzelnen Bilder von "Zerstörte Straßen". Den Transport des kopflosen Toten etwa schaukeln die sechs Darstellenden mit der wirklich fiesen Mischung aus Komik und Verzweiflung über die Bühne. Zwischen Jeanne Le Moign als Geliebter und Eric Wehlan als Soldat klemmt Robert Knorr als Toter, der Kopf ist versunken in einem Sakko. Wie in einer Achtzigerjahre-Komödie rutschen die Hände des Toten mal hier, mal da auf ein Knie. Dann wiederum stehen sich Le Moign und Wehlan gegenüber, berühren verzweifelt einander und finden doch den richtigen Weg nicht, dabei etwas zu fühlen.

Auch wenn der Abend an mancher Stelle überdreht, das hingebungsvoll markierte Huhn von Stephan Ullrich einmal zu viel über die Szene läuft: Er erzählt in einer unglaublichen Dichte von Krieg, Verlust, den Grenzen der Kunst und von uns. Das wird nicht die Welt retten, aber viel mehr geht wahrscheinlich nicht.

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