SZ-Serie, Folge 18: Ein Blick in die Archive:Das Dorf der Abtrünnigen

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Klare Abgrenzung zur Muttergemeinde Alling: das Ortsschild markiert Eichenauer Gebiet. (Foto: Carmen Voxbrunner)

In der Eichenau hatten sie schon immer ein starkes Selbstbewusstsein. Das zeigt sich oft in der erst kurzen Geschichte als eigenständige Gemeinde.

Von Erich C. Setzwein, Eichenau

Als am 1. November 1926, einem typisch kühlen Novembertag, die katholische Kirche zu den Heiligen Schutzengeln eingeweiht wurde, war die ganze Eichenau auf den Beinen. Es ist davon auszugehen, dass die meisten Schwarz oder gedeckte Farben trugen, aber am Revers leuchtete ein gelbes Festabzeichen. Mindestens ein Exemplar davon ist erhalten. Das Archiv der Gemeinde Eichenau hat es in seinem Besitz mitsamt einer historischen Ansichtskarte. Alles zusammen in einem Sammelalbum für Ansichtskarten, die die Zeit von den Anfängen der Siedlung im Roggensteiner Moos bis zur Ablösung von Alling und zur Selbständigkeit als Gemeinde dokumentieren. Ein wahrer Schatz, den die Archivarin Heike Hashagen-Geikowoski bewahren darf, zusammen mit vielen weiteren Zeugnissen der vergleichsweise jungen Kommune.

Aus dem Archiv des Eichenauer Rathauses. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Wie in vielen anderen Rathäusern auch muss man ein paar Treppenstufen hinabsteigen, um ins Gedächtnis der Gemeinde zu kommen. Heike Hashagen-Geikowski, Jahrgang 1965, tut das einmal in der Woche, wenn sie ihren Teilzeitjob für jeweils drei Stunden verrichtet. Seit 2016 befasst sich die in Berlin geborene Kunsthistorikerin mit der Ortsgeschichte, eigentlich viel zu wenig Zeit, um all das zu ordnen, zu bewerten und zu beschreiben, was in Eichenau alles passiert ist.

Hashagen-Geikowski, die schon als Kind Kunstausstellungen besuchte, später Informationswissenschaften und Kunstgeschichte studierte und im Heinz-Nixdorf-Museumsforum in Paderborn die Museumspädagogik aufbauen durfte, sagt über das Archiv, es sei eine Lebensaufgabe. Sechs Jahre ihres Lebens hat sie damit schon zugebracht. Sie erfährt und erforscht eine Gemeinde, in der sie seit 2007 lebt. Mit ihrem Mann kam sie nach München, wo er im Deutschen Museum arbeitet.

Im Archiv befasst sich Heike Hashagen-Geikowski auch mit Gemälden, die der Gemeinde von Künstlern überlassen worden sind. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Für die Nachwelt bereitet Heike Hashagen-Geikowski die Daten und Dokumente auf. "Die Digitalisierung des Archivs ist eine große Aufgabe", sagt sie und verweist auf die Zeit, die sie dafür verwenden kann. So viel Zeit ist auch gar nicht vergangen, seit sich Menschen für die Eichenau interessiert haben, die Gegend dort besiedelt haben. Vor allem den Münchnern machte es die Bahnlinie mit der ersten Station Roggenstein leicht, ins Grüne zu fahren. Einen Ortsnamen gab es noch nicht, die Fluren gehörten zur Gemeinde Alling.

Eichenau muss für die Unterbringung der nachgezogenen Familie eines anerkannten Asylbewerbers aus Jemen sorgen. (Foto: Carmen Voxbrunner)
Eichenau bekommt 1907 seinen Namen. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Als es sechs Anwesen in der kleinen Siedlung gab, setzten die Probleme ein. Die Postzustellung klappte nicht mehr, und für Heike Hashagen-Geikowski ist die Urkunde aus dem Jahr 1907 ein ganz besonderes Dokument. Darin wird von der Bezirksregierung der Antrag der Bewohner von 1906 auf einen eigenen Ortsnamen genehmigt. Fortan heißt das entstehende Dorf Eichenau.

Im Prospekt der Baugenossenschaft Eichenau wird mit der neuen Gartenstadt geworben. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Die Besiedlung nimmt ihren Lauf. Grundlage ist ein Entwicklungsplan, der für Eichenau einen Gartenstadtcharakter vorsieht, und das schon 1919. Ein Jahr zuvor hatte auf den Feldern des Allinger Ortsteils der Anbau von Pfefferminze begonnen. Bis in die Fünfzigerjahre sollte diese Landwirtschaft dauern. Angebaut wurde Pfefferminze in Apothekenqualität. Das Pfefferminzmuseum, betreut vom gleichnamigen, rührigen Verein, ist immer wieder Ort von Ausstellungen rund um Pfefferminzprodukte und beherbergt eine Dauerausstellung zu den Anbaumethoden in Eichenau.

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Bereits im Jahr 1921 unternimmt der Ortsteil den ersten Abspaltungsversuch von Alling. In der Eichenau wird gebaut und gebaut, und 1939 ist der Gemeindeteil schon viel größer als Alling. 1941 gibt es Pläne, neben der Kirche ein Rathaus samt Aufmarschplatz für die SA zu errichten. Dazu kommt es nicht, und aus der Adolf-Hitler-Straße wird die Hauptstraße. Mit Wiederaufbau und Wirtschaftswunder werden auch die Wünsche der Eichenauer nach Eigenständigkeit erfüllt.

Die Gemeinde kann sich von Alling unabhängig machen. Der Künstler Josef Dering wird um einen Entwurf für ein Gemeindewappen gebeten und liefert wohl mehrere Versionen ab. Zwei davon befinden sich im Archiv. Wieder Schätze, die die Archivarin stolz vorzeigen kann. Ein Entwurf ist koloriert und zeigt im silbern schimmernden Wappenschild die grünen Eichenblätter sowie den Schriftzug "Bayern - Gemeinde Eichenau". Am 1. April 1957 wird Eichenau eine selbständige Gemeinde.

Eichenau wird größer und größer als Alling (unten links). (Foto: Carmen Voxbrunner)

Geprägt ist der Ort auch heute noch von der Flächennutzungs- und Bauleitplanung von vor 100 Jahren. Ausschlaggebend für die Straßenführung war die Begradigung des Starzelbachs, die Roggensteiner Allee und die Olchinger Straße verlaufen parallel und rahmen das Siedlungsgebiet quasi ein. Damals ahnte noch niemand, dass dies später zu großen Problemen führen würde. Hochwasser ebenso wie das Trockenfallen des Bachs.

Nur noch auf Vereinsebene wird der Pfefferminzanbau betrieben. (Foto: Günther Reger)

Heike Hashagen-Geikowski hat sich in die Geschichte dieses Ortes, in dem sie nun wohnt, eingearbeitet und sagt über Eichenau: "Der Ort hat Charme, er ist sehr gepflegt, aber nicht überkandidelt." Die Eichenauer, das wissen viele, die nicht dort leben, sind stolz auf die Gartenstadt und den eigenen Garten. Von naturnah angelegt bis übertrieben gekiest ist alles dabei, und wer über die Zäune in die schlauchartigen, teils ewig langen Gärten hineinschaut, der ahnt, welche Veränderungen dort noch kommen könnten.

Große Grundstücke mit kleinen Baufeldern sind eine Herausforderung ebenso für die Architekten der Erbengeneration wie auch für die Verwaltung selbst. Im Archivkeller lagern die Zeugnisse des Werden und Vergehens und Wiedererstehens der Anwesen. Aus dem Konzept für Eichenau kommen auch die Nachfolger der Bürgermeister der Gründungsjahre nicht heraus, Expansion ist kaum mehr möglich, weil es an Flächen fehlt.

Von 1926 an gab es ein Kino

So werden die Pläne zur Nachverdichtung entlang der Hauptstraße auch einmal im Archiv landen, wenn die Friesenhalle, die einst frei in der Landschaft stand und nun eingerahmt ist von Gebäuden und Sportplätzen, einer neuen Wohnbebauung gewichen ist. Wenn sich Musikverein und Erwachsenenbildung Räume teilen im neuen Haus 37, wenn es Räume für den Einzelhandel gibt und Wohnungen am Bahnhof, die als "bezahlbar" gelten sollen.

Niemand muss fürchten, dass die Post in Alling zugestellt wird wie 1906, aber es dürfte immer einige Interessierte geben, die wie heute im Archiv nachfragen. Heike Hashagen-Geikowski beantwortet viel Fragen zur Ortsgeschichte, sie nimmt von älteren Eichenauern Fotos, Bücher und Dokumente entgegen und bewertet und archiviert sie. Sie sucht auch in den Mitteilungsblättern von einst nach Antworten auf die ihr gestellten Fragen und sagt, sie könne diese auch oft zur Zufriedenheit der Fragesteller liefern. Auch jene nach der Alltagskultur in der Eichenau. Ja, es habe sogar Kinos seit 1926 gegeben, eins an der Olchinger Straße und eins an der Roggensteiner Allee. In den Straßen, die dem Ort die Form gegeben haben.

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