Habeck kontra Wissing:Ampelstreit blockiert Klimaprogramm für den Verkehr

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Robert Habeck bei einer Kabinettssitzung der Bundesregierung im Kanzleramt (Foto: Markus Schreiber/AP)

Wirtschafts- und Verkehrsminister können sich nicht auf Sofortmaßnahmen im größten Problemsektor einigen. Der selbsterklärte Klimavorreiter Deutschland geht schwer belastet in den UN-Gipfel in Ägypten.

Von Markus Balser, Berlin

Wenn sich vom 6. November an im ägyptischen Badeort Scharm el-Scheich Vertreter aus etwa 200 Staaten zum nächsten UN-Klimagipfel treffen, wird Bilanz gezogen. Denn die Staaten der Welt hatten sich beim Gipfel in Glasgow 2021 die Aufgabe gestellt, ihre Ziele nachzuschärfen. Das große Vorhaben: das im Pariser Klimaabkommen vereinbarte 1,5-Grad-Ziel in Reichweite zu halten. Es besagt, dass sich die Erde bis 2100 um maximal 1,5 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit erhitzen darf.

Doch seit Montag ist klar: Die Bundesregierung reist mit einer großen Hypothek nach Ägypten. Ausgerechnet das Land, das sich als Klimavorreiter sieht, kann sich in seinem größten Problembereich nicht auf deutlich wirksamere Maßnahmen einigen. Dem zuständigen grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck gelang auch nach monatelangen Diskussionen keine Einigung mit Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) auf ein ausreichendes Klimaschutz-Sofortprogramm.

Habeck legte zwar am Montag nach Angaben aus Ministeriumskreisen Eckpunkte für das seit Langem erwartete Programm vor. Doch das bleibt ein Torso. Denn ausgerechnet im größten Problembereich "Verkehr" reichen die Maßnahmen bei Weitem nicht aus. Weil eine Einigung zwischen Habeck und Wissing in diesem Jahr nicht mehr möglich schien, verschob die Regierung weitere Gespräche nun notgedrungen auf 2023. "Die Verständigung über weitere Maßnahmen zur Schließung der Klimaschutzlücke im Verkehr soll bis zum kommenden Frühjahr abgeschlossen sein", erklärten Regierungsvertreter am Montag.

Wissings Vorschläge gelten als unzureichend

Dabei drängt eigentlich die Zeit. Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein und muss bis 2030 den CO₂-Ausstoß um 65 Prozent gegenüber 1990 kürzen. Derzeit liegt man lediglich bei 40 Prozent. Um das Klimaschutz-Sofortprogramm und damit eine Verschärfung des Klimaschutzes wird in der Regierung seit Monaten gerungen. Es ist im Koalitionsvertrag verankert und soll sicherstellen, dass die Problembereiche rasch nachgebessert werden, wenn sie unter Plan liegen. Doch das federführende Wirtschaftsministerium liegt seit Monaten vor allem mit dem Verkehrsministerium über Kreuz. Die von Volker Wissing vorgeschlagenen Instrumente, um in seinem Sektor wieder auf Kurs zu kommen, waren von Experten als unzureichend bezeichnet worden. Wissing wollte jedoch keine weiteren Vorschläge unterbreiten.

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Der Verkehr gilt in Deutschland als einer der ganz großen Klima-Problembereiche. Seit Jahren reißt dieser Sektor die eigenen Ziele, so auch im vergangenen Jahr. Laut deutschem Klimagesetz müssen die Emissionen nun allerdings bis 2030 um fast die Hälfe sinken. Von den 148 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen im vergangenen Jahr dürfen 2030 nur noch 85 Millionen an jährlichen Emissionen übrig bleiben.

Interne Einschätzungen machen die Dimension der Probleme klar. In Kreisen des Wirtschaftsministeriums befürchtet man, dass bis Ende des Jahrzehnts ein zusätzlicher "Minderungsbedarf von 118 bis 175 Millionen Tonnen" im Verkehrssektor bleibt, um die Ziele bis 2030 zu schaffen. Es bestehe damit nach wie vor erheblicher weiterer Handlungsbedarf in diesem Sektor, hieß es.

Wirtschaftsministerium verlangt deutlich höheres Tempo

In Kreisen des Wirtschaftsministeriums wird nun ein deutlich höheres Tempo in allen Sektoren angemahnt: Die Emissionsminderung müsse schneller als bisher erfolgen, um die Ziele des Bundes-Klimaschutz-Gesetzes in den kommenden Jahren zu erreichen", hieß es in Ministeriumskreisen. Insgesamt müsse sich das Tempo zunächst bis Mitte dieses Jahrzehnts mehr als verdoppeln und dann bis 2030 nahezu verdreifachen.

Trotz massiver Defizite im Sofortprogramm wollte die Regierung das Verabschieden des Eckpunktepapiers offenbar nicht vollends platzen lassen. In Regierungskreisen hieß es, die angepeilten Instrumente im Konzept aus den übrigen Bereichen wie Landwirtschaft, Energie oder Industrie reichten aus, um die Ziele zu erreichen. Daher wolle man in einem ersten Schritt zunächst diese auf den Weg bringen.

Die FDP pocht allerdings darauf, dass mit der Einigung auf ein Programm auch das Klimaschutzgesetz geändert wird. Dieses sieht derzeit vor, dass jeder Sektor jedes Jahr klare Obergrenzen der CO₂-Emissionen erreichen muss. Die FDP will hier mehr Flexibilität über Jahre hinweg und auch eine Verrechnung unter den Sektoren möglich machen.

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