Rot-Grün in Niedersachsen:Fünf Tage verhandeln, fünf Jahre regieren

Rot-Grün in Niedersachsen: Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, und Julia Willie Hamburg (Bündnis 90/Die Grünen) stellten am Dienstag den rot-grünen Koalitionsvertrag vor.

Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, und Julia Willie Hamburg (Bündnis 90/Die Grünen) stellten am Dienstag den rot-grünen Koalitionsvertrag vor.

(Foto: Swen Pförtner/dpa)

Überraschend schnell einigen sich SPD und Grüne auf eine Koalition in Niedersachsen. Dabei finden sie auch eine Lösung für eine heikle Personalfrage.

Von Peter Fahrenholz

Niedersachsen wird künftig von einer rot-grünen Koalition regiert. Nach nur fünftägigen Verhandlungen haben sich SPD und Grüne auf eine gemeinsame Regierung geeinigt und ihren Koalitionsvertrag sowie die Mitglieder des künftigen Kabinetts am Dienstag vorgestellt. Der Koalitionsvertrag muss am Wochenende noch auf Parteitagen von SPD und Grünen abgesegnet werden. Am kommenden Dienstag will Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) im Landtag, der an diesem Tag ebenfalls in seiner neuen Zusammensetzung erstmals zusammentritt, seine Regierungserklärung abgeben.

Mit einer raschen Einigung zwischen SPD und Grünen war allgemein gerechnet worden. Regierungschef Weil hatte nach fünf Jahren großer Koalition mit der CDU ganz offen eine rot-grüne Regierung zum Wahlziel erklärt, und auch die Grünen hatten wiederholt auf die großen Schnittmengen mit der SPD hingewiesen, sich aber stets ein Hintertürchen für eine schwarz-grüne Regierung offengehalten. Dass es am Ende so schnell ging, war aber dann doch überraschend, ursprünglich wollten SPD und Grüne ihre Einigung erst am Donnerstag präsentieren. Aber bereits am Wochenende hatte sich abgezeichnet, dass man wohl früher fertig werden würde.

Entsprechend erfreut präsentierten sich beide Seiten bei ihrer gemeinsamen Pressekonferenz. "Das waren wirklich gute Gespräche, sagte Weil. Der Koalitionsvertrag, der die Überschrift "Sicher in Zeiten des Wandels" trägt, sei ein "überzeugendes Programm". Weils künftige Stellvertreterin Julia Willie Hamburg hob den Zweiklang aus Ökonomie und Ökologie hervor. "Wir werden Klimaneutralität und Wirtschaftskraft zusammendenken", sagte sie. Bei SPD und Grünen hörte man großes Lob über das Ergebnis. Man sei "sehr zufrieden", hieß es unisono.

Sorgfältig austarierte Kompromisse

Tatsächlich ist der rot-grüne Koalitionsvertrag sowohl inhaltlich als auch personell von sorgfältig austarierten Kompromissen geprägt. Vor allem die Grünen hatten sich bereits lange vor der Wahl inhaltlich auf eine Regierungsbeteiligung vorbereitet und sich dabei auch auf die Erfahrungen aus anderen Ländern gestützt, in denen die Grünen an der Regierung beteiligt sind. Auf diese Weise sollte wohl verhindert werden, als kleinere Oppositionspartei bei den Koalitionsverhandlungen von der SPD mitsamt ihrem eingespielten Regierungsapparat an die Wand gedrückt zu werden.

Personell war vor allem die Zuständigkeit für den zukunftsträchtigen Energiebereich ein heikles Feld. Im rot-grünen Koalitionsvertrag ist das Ziel formuliert, Niedersachsen zum "Erneuerbare-Energie-Land Nummer eins" zu machen. Die SPD hatte hier in der großen Koalition mit ihrem Umwelt- und Energieminister Olaf Lies die Fäden in der Hand, die Grünen wiederum wollten ebenfalls zentrale Zuständigkeiten für die Energiewende bekommen.

Am Ende bekamen beide Seiten etwas. Lies wird neuer Chef eines aufgewerteten Ministeriums für Wirtschaft, Bauen, Verkehr und Digitalisierung. Die Zuständigkeit für Energie bleibt dagegen im Umweltministerium, das künftig vom Grünen Christian Meyer, einem der beiden Spitzenkandidaten, geleitet wird. Auch mit ihren Ministerämtern können die Grünen zufrieden sein. Sie hatten nach der Wahl drei bis vier Ressorts für sich reklamiert und erhalten jetzt tatsächlich vier, und zwar keine unwichtigen. Neben dem Umweltministerium gehören dazu das Finanz-, das Kultus- und das Landwirtschaftsministerium. Kultusministerin wird Julia Willie Hamburg, der weibliche Teil des Grünen-Spitzenduos. Die SPD wird neben Stephan Weil als Regierungschef sechs Ministerien übernehmen.

Der Koalitionsvertrag enthält viele Detailmaßnahmen

Auch inhaltlich bietet der Koalitionsvertrag beiden Seiten genug Punkte, die sie als Verhandlungserfolg werten können. Mit seinen 137 Seiten ist das Papier üppig ausgefallen und enthält naturgemäß neben übergeordneten Zielen auch eine Fülle von Detailmaßnahmen, von denen sich erst zeigen muss, was davon umgesetzt werden kann. Denn im vorletzten Kapitel, in dem es um die Finanzen geht, steht der Satz: "Im Übrigen steht die Finanzierung neuer Aufgaben unter einem Haushaltsvorbehalt."

Zu den zentralen Zielen der neuen Regierung gehören ein Soforthilfeprogramm in Höhe von einer Milliarde Euro zur Abfederung der Folgen der Energiekrise und die Gründung einer Landeswohnungsbaugesellschaft. Die erneuerbaren Energien sollen massiv ausgebaut werden, bis zum Jahr 2040 soll das Land klimaneutral werden. Die Lehrer aller Schularten werden künftig die gleiche Eingangsbesoldung bekommen. Elegant umschifft wird in dem Papier der Streit um den Bau neuer Autobahnen. Die Verantwortung dafür liege beim Bund, heißt es dort, das Land werde den Bund darin "unterstützen", bei der vorgeschriebenen Überprüfung der Planung auch die Belange des Klimaschutzes zu berücksichtigen.

Kein Wort verlieren die Koalitionäre in ihrem Vertrag darüber, wer das Land künftig neben dem Ministerpräsidenten im Aufsichtsrat von VW vertreten soll. Diese Frage werde in der ersten Sitzung der neuen Regierung entschieden, sagte Weil.

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