Flucht:Ausgesperrt auf dem Meer

Flucht: Mitarbeiter der Küstenwache helfen geretteten Bootsflüchtlingen im italienischen Porto delle Grazie.

Mitarbeiter der Küstenwache helfen geretteten Bootsflüchtlingen im italienischen Porto delle Grazie.

(Foto: Valeria Ferraro/Imago/Zuma Wire)

Italiens neue Regierung kehrt zurück zur früheren Praxis, NGO-Schiffen mit Flüchtlingen an Bord die Landung zu verweigern. Die Außenpolitik zwischen Rom und Berlin ist bereits involviert.

Von Andrea Bachstein

572 Menschen sind es, die nun auf der Geo Barents von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen darauf warten, dass sie endlich an Land dürfen. Etwa 60 von ihnen seien Minderjährige, teilt die Organisation mit, auch ein elf Monate altes Baby soll an Bord sein. Die Migranten wurden seit 27. Oktober aus dem Mittelmeer gerettet. Die Humanity 1 von SOS Humanity wartet mit 180 Geborgenen vor Sizilien auf Zuweisung eines Hafens, 104 von ihnen sind minderjährig, und der NGO zufolge grassiert eine Art Grippe an Bord, die bei einigen hohes Fieber auslöse. Die Ocean Viking von SOS Méditerranée kreuzte am Donnerstag noch südlich von Sizilien mit 234 Flüchtlingen an Bord, 40 davon minderjährig, auch sie darf nicht landen. Einige Gerettete sind schon zwölf Tage auf dem Schiff. Fast 1000 Menschen insgesamt sind also ausgesperrt auf See, viele waren in Libyen Opfer von Gewalt.

Julia Schaefermeyer von SOS Méditerranée sagte der SZ, mehrere Anlege-Anfragen, sowohl an Maltas wie an Italiens Behörden, seien ohne Antwort geblieben. Dasselbe berichten die anderen Organisationen. Sie sehen dies als klaren Bruch der Such-und-Rettungs-Konvention über den Umgang mit Schiffbrüchigen. Die italienische Seite habe nur die Standardantwort gegeben, sagt Schaefermeyer, dass die Migranten in Such- und Rettungsgebieten anderer Länder aufgenommen wurden. Bei der Ocean Viking waren das die Zonen Maltas und Libyens.

Es sieht so aus, als werde die Zeit zurückgedreht ins Jahr 2019, als die damalige Regierung in Rom mit Innenminister Matteo Salvini von der Lega reihenweise überfüllte Rettungsschiffe nicht in die Häfen des Landes ließ. Das dauert bis zu zwei Wochen lang - bis Staatsanwälte einschritten. Es ging Salvini damals vor allem darum, Härte zu zeigen und andere EU-Länder praktisch zur Aufnahme der Migranten zu erpressen. Die wurden so unter teils unmenschlich gewordenen Zuständen auf den Schiffen de facto zu Geiseln. Gegen Salvini wurden deshalb Prozesse eröffnet, unter anderem wird ihm Freiheitsberaubung vorgeworfen.

Salvini unterstehen als Infrastrukturminister nun Häfen und die Küstenwache

Nun ist Matteo Salvini Transport- und Infrastrukturminister der neuen Rechtsregierung unter Giorgia Meloni. Damit unterstehen ihm offiziell Küstenwache und Häfen, und Salvini ist nach dem mageren Ergebnis seiner Lega bei der Wahl gerade heftig darum bemüht, sein Image als starker Mann wieder aufzupolieren.

Die Lega und Melonis postfaschistische Fratelli d'Italia hatten immer den Kampf gegen "illegale Migration" auf ihre Flaggen geschrieben. Dass mit ihnen an der Macht den Bootsflüchtlingen und den NGOs ein härterer Wind entgegenblasen würde, war klar. Meloni kündigte in ihrer Regierungserklärung gleich programmatisch an, man wolle die Ankünfte von Bootsmigranten - in diesem Jahr bis 2. November waren es knapp 86 000 - verhindern "und den illegalen Menschenhandel im Mittelmeer zerbrechen". Im Interview für ein neues Buch eines italienischen Journalisten hatte Meloni zudem geäußert: Wenn ein NGO-Schiff beispielsweise unter deutscher Flagge fahre, gebe es zwei Möglichkeiten: Entweder kümmere sich Deutschland darum, "oder es wird ein Piratenschiff".

Die Humanity 1 fährt unter deutscher Flagge, und sie ist bereits ein diplomatischer Fall. Italiens Außenministerium erfragte bei der deutschen Regierung Details über die Lage an Bord. Wie das Außenministerium in Berlin der SZ bestätigte, antwortete die deutsche Regierung darauf mit einer Verbalnote. In dieser bittet sie die Regierung in Rom, den Menschen auf der Humanity 1 schnell Hilfe zu leisten. Die NGOs leisteten einen wichtigen Beitrag zur Rettung von Menschenleben im Mittelmeer, heißt es in der Note außerdem.

Julia Schaefermeyer von SOS Méditerranée sagte, die Vorräte auf der Ocean Viking reichten noch einige Tage. Mehr Sorge bereite jetzt das aufziehende schlechte Wetter, das die Lage drastisch verändern kann.

Zur SZ-Startseite
Italy's newly appointed PM Meloni's partner Andrea Giambruno attends a swearing-in ceremony at the Quirinale Palace, in Rome

SZ PlusAndrea Giambruno
:Italiens "First Gentleman"

Die Klatschpresse feiert Premier Giorgia Meloni und ihren Partner Andrea Giambruno als Italiens neues Glamour-Paar. Politisch soll der Fernsehjournalist ganz andere Ansichten haben als sie.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: