Arte-Dokumentation:Zeitenwende Bataclan

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Die sehenswerte Arte-Doku "Terror in Paris" beleuchtet, warum die Anschläge von Paris 2015 das Ende des "Islamischen Staates" einleiteten.

Von Georg Mascolo

Wäre dieser Plan der Terroristen in seiner ganzen Bestialität aufgegangen, dann müsste man in diesem Text vermutlich gar nicht daran erinnern, was am Abend des 13. November 2015 in Paris geschah. In Europa hätte dieses Datum eine ähnliche Schreckenswirkung wie der 11. September in den USA. Es starben am Ende sehr viele Menschen, es waren 130, weitere 683 wurden verletzt, als schwer bewaffnete Kommandos des sogenannten Islamischen Staates (IS) durch das 10. und 11. Arrondissement zogen und auf Restaurant-Terrassen und in Bars mordeten. Das schlimmste Massaker schließlich richteten sie im Club "Bataclan" an.

Ein entscheidender Teil ihres Plans aber scheiterte. Drei Selbstmordattentätern gelang es nicht, in das Fußballstadion "Stade de France" einzudringen, in dem an diesem Abend die französische und die deutsche Nationalmannschaft zu einem Freundschaftsspiel angetreten waren. 80 000 Besucher waren im Stadion, in 66 Länder wurde das Spiel direkt übertragen.

Auch an diesem Abend versuchte der Terrorismus wieder, die wirkmächtigsten Bilder zu erzeugen, seinen Erfolg misst er immer nicht nur in Toten, sondern auch in der Länge der Sondersendungen und der Größe der Schlagzeilen. Zumindest zu einem Blutbad inmitten der vollbesetzten Ränge und auf dem Fußballfeld kam es nicht, zu hören waren allerdings die Explosionen, als die drei Islamisten sich schließlich vor den Toren in die Luft sprengten. Zu den Ohrenzeugen in der Ehrenloge gehörten Frank-Walter Steinmeier, damals noch deutscher Außenminister, und der damalige französische Staatspräsident François Hollande. Er ging in der Halbzeitpause, seine Hauptstadt wurde attackiert.

Durch die Bedrohung des islamistischen Terrorismus kommt es zur Zusammenarbeit der europäischen Behörden

Dieser Freitag, der 13., markiert den traurigen Höhepunkt der europäischen Anschlagsserie des IS. Der Filmemacher Christophe Cotteret richtet in einer sehenswerten 90-minütigen Dokumentation nicht nur den Blick auf den Abend, sondern geht auch der Frage nach, wie es so weit kommen konnte. Vor allem aber erzählt Terror in Paris: Chronik einer Fahndung die Geschichte einer Zeitenwende - wie die europäischen Sicherheitsbehörden mit Unterstützung der USA nach Paris zu jener Zusammenarbeit bei der Bedrohung des islamistischen Terrorismus fanden, von der sie doch schon vorher wussten, dass sie unabdingbar ist. Gleiches gilt übrigens für die Justiz.

Cotteret nimmt einen mit auf eine ebenso erhellende wie düstere Reise. Er erinnert an eine Bedrohung, die Politik und europäische Öffentlichkeit beschäftigten und besorgten, bevor Pandemie und Ukraine-Krieg die Nachrichten bestimmten. Der Film spannt den Bogen über den durch einen unnötigen, von den USA begonnenen Krieg, einen zerrütteten Irak - und ein durch einen Bürgerkrieg des Diktators Baschar al-Assad gegen sein eigenes Volk zerrissenes Syrien. In diesem geschundenen Teil der Welt dann gelingt es Islamisten, ein Kalifat auszurufen, einen von Terroristen gegründeten Staat, beinahe einzigartig in seiner Brutalität und seiner geografischen Ausdehnung.

Dieser Staat des Wahnsinns zieht dann Tausende junge Muslime aus Europa an, zu lange schauen viele Sicherheitsbehörden in Europa dabei ziemlich gleichgültig zu. Wenn sie weg sind, können sie jedenfalls zu Hause keine Probleme mehr bereiten. Die Türkei spielt ebenfalls eine unheilvolle Rolle, Kontrollen an den Grenzen zu Syrien finden kaum statt. Man kann also ziemlich ungehindert einreisen in das Kalifat. Aber man kommt auch zurück nach Europa.

Cotteret hat eine eindrucksvolle Reihe von Protagonisten vor die Kamera bekommen, die von dieser Geschichte erzählen: Hollande, den inzwischen verstorbenen US-Verteidigungsminister Ashton Carter oder den damaligen CIA-Chef John Brennan. Der sagt, ihnen sei früh klar gewesen, dass in diesem Kapitel des islamistischen Terrorismus die Bedrohung für Europa viel höher sei als für die USA. Manche, die hier erzählen, sitzen mit dem Rücken zur Kamera, aus Sicherheitsgründen.

Es herrschte ein Wettbewerb unter Islamisten, wer seinem Heimatland am meisten schadet

Der Film listet in Akribie und bisweilen auch schwer zu folgendem Detail jene frühen Hinweise darauf auf, dass der IS schließlich seine Strategie ändert. Und Pläne für Anschläge in Europa entwirft. Es ist eine Zeit, in der ein regelrechter Wettbewerb zwischen Islamisten aus Deutschland, Belgien und Frankreich stattfindet, wer sein verhasstes Heimatland am schwersten zu treffen vermag. Einige von ihnen haben es in eine geheime Einheit des IS geschafft, "Externe Operationen" ist für die Planung von Attentaten zuständig, und ein junger belgischer Islamist mit den Namen Abdelhamid Abaaoud aus dem Brüsseler Problemviertel Molenbeek hat sich dort durch seine Grausamkeit schon einen Namen gemacht. Ein Video zeigt, wie er Leichen mit einem Geländewagen hinter sich herschleift. Abaaoud ist auch der Planer der Pariser Anschläge.

Die größte Stärke des Filmes ist die Schilderung jener dann nach Paris einsetzenden Kooperation. Es geht danach nicht mehr nur darum, den IS an weiteren Anschlägen zu hindern. Sondern auch darum, den Staat des Terrors zu zerschlagen. Dem IS geht es wie al-Qaida nach dem 11. September 2001. Der grausame Erfolg führt dazu, dass der Westen seine Ressourcen mobilisiert. Endlich wird Europol eingeschaltet, endlich werden Daten geteilt, endlich Ermittlungen koordiniert.

Angeblich kooperieren die Deutschen erst, nachdem es auch Berlin mit aller Härte 2016 getroffen hat

Belgische und französische Staatsanwälte erzählen in dem Film von dieser bis dahin unbekannten Zusammenarbeit der Justiz, zu Wort kommt auch der deutsche Generalbundesanwalt Peter Frank. Seine Behörde stimmt schließlich sogar der Auslieferung eines in Deutschland festgenommenen Islamisten zu, der auf dem Höhepunkt des Flüchtlingssommers 2015 wie eine Art Scout durch Europa reiste, um Schwachstellen der Grenzkontrollen ausfindig zu machen. Es sind allerdings Cotterets französische Gesprächspartner, die behaupten, dass Deutschland sich erst bewegte, nachdem der islamische Terrorismus auch ihre Hauptstadt in aller Härte getroffen habe: nachdem der Tunesier Anis Amri am 19. Dezember 2016 einen Lastwagen auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz in die Menge gelenkt hatte. 13 Menschen starben.

So eng wie nie sei nach den Pariser Anschlägen auch die militärische Zusammenarbeit mit Frankreich gewesen, sagt der ehemalige US-Verteidigungsminister Carter. So erzählt der Film dann von einer Abfolge von Drohnen-Angriffen auf IS-Führer, von der militärischen Zerschlagung des IS - und dem Ende von Abaaoud. Der hat das Ende seines "Islamischen Staates" nicht mehr erlebt, weil er bereits Tage nach den Pariser Anschlägen bei einer Razzia im Pariser Vorort Saint-Denis aufgespürt und getötet wurde.

Das Kalifat gibt es nicht mehr, die Welt hat gerade andere Sorgen. Und doch - so klingt es in dem Film zumindest an (und man hätte auch über diesen Teil der Geschichte gern mehr gesehen) - ist dieser Sieg über den IS auch nicht das Ende dieser Bedrohung. Ex-CIA-Mann Brennan erinnert daran, dass Terrorismus immer das Symptom eines größeren Problems sei. Auch wenn kaum noch jemand hinschaut, im Nahen und Mittleren Osten hat sich wenig verändert. Und wenn doch, dann gewiss nicht zum Besseren.

Terror in Paris , Arte, 8. November, 21.50 Uhr.

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