Sportartikelindustrie:Das ist der neue Adidas-Chef - wahrscheinlich

Sportartikelindustrie: Bevor Björn Gulden 2000 bei Deichmann anfing, arbeitete der ehemalige Fußballprofi bereits einige Jahre bei Adidas.

Bevor Björn Gulden 2000 bei Deichmann anfing, arbeitete der ehemalige Fußballprofi bereits einige Jahre bei Adidas.

(Foto: FrankHoermann/Sven Simon/imago images)

Puma-Chef Björn Gulden hört überraschend auf. Vieles deutet darauf hin, dass er beim Lokalrivalen Adidas die Führung übernehmen wird. Damit würde ein Tabubruch zur Realität werden.

Von Uwe Ritzer

Der Vorgang erinnert an das Gebaren im Profifußball, wo bevorstehende Spieler- oder Trainerwechsel häufig inbrünstig dementiert, dann aber doch vollzogen werden. Nur neun Tage ist es her, da wurde Puma-Chef Björn Gulden, 57, gefragt, ob er womöglich neuer Vorstandsvorsitzender von Adidas wird. Deutschlands größter und der Welt zweitgrößter Hersteller von Sportartikeln sucht bekanntlich seit Sommer nach einem Nachfolger für seinen zuletzt erfolglosen Vorstandschef Kasper Rorsted, dessen Abgang beschlossene Sache ist. "Ich habe kein Angebot von Adidas", sagte Gulden schmallippig, als er an jenem 26. Oktober von Journalisten bei einer Telefonkonferenz auf den möglichen Transfer angesprochen wurde. Explizit ausschließen wollte Gulden ihn allerdings auch nicht. Aus gutem Grund wie sich jetzt zeigt, denn der spektakuläre Seitenwechsel scheint nun doch über die Bühne zu gehen.

Am Freitagnachmittag bestätigte Adidas knapp, dass sich der Konzern diesbezüglich "in Gesprächen" mit Gulden befinde. Kurz zuvor hatte Puma völlig überraschend gemeldet, dass Gulden seinen Vertrag Ende des Jahres nach mehr als neun Jahren auslaufen lassen und nicht verlängern wird. "Ich finde, dass es jetzt die richtige Zeit ist für Puma, für meinen Nachfolger und für mich, das Unternehmen zu verlassen", zitierte ihn der Konzern in einer Pressemitteilung. "Ich habe noch sehr viel Energie für eine operative Rolle für die nächsten fünf bis zehn Jahre, aber das wäre für Puma zu lange gewesen."

Da will es einer noch mal wissen. Bei Puma hätte er seine Erfolgsgeschichte weiterschreiben können. Beim vom Umsatz her etwa drei Mal so großen Adidas-Konzern erwarten ihn viele schwierige Herausforderungen. Und Björn Gulden, in Zürich geborener Norweger und Ex-Fußballprofi (unter anderem beim 1. FC Nürnberg), ist einer, der sich gerne Herausforderungen stellt. Kaum war sein Abgang bei Puma verkündet, schossen Spekulationen über den bevorstehenden Wechsel zu Adidas ins Kraut, den das Manager Magazin sogleich als beschlossene Sache meldete. Beschlossen ist wohl noch nichts, doch der Wechsel gilt als sehr wahrscheinlich. Allein der Gedanke daran beflügelte am Freitag die Phantasie der Anleger - der Kurs der seit Monaten schwächelnden Adidas-Aktie ging umgehend in die Höhe.

Ein direkter Wechsel von der Raubkatzenmarke zu jener mit den drei Streifen - das gab es auf oberster Führungsebene noch nie. Auch umgekehrt nicht. Zu tief saß jahrzehntelang die Rivalität zwischen beiden Firmen, die ihren Ursprung darin hat, dass sie von zwei Brüdern gegründet wurden: Puma von Rudolf und Adidas von Adolf "Adi" Dassler. Sie hatten sich zerstritten und ihre gemeinsame Sportschuhfabrik in Herzogenaurach Ende der 1940er Jahre aufgespalten. Fortan teilte sich nicht nur das kleine fränkische Städtchen, sondern auch die Sportwelt in zwei unversöhnliche Lager: Den Adidas- und den Puma-Kosmos. Und die beiden Gründer-Brüder hatten sich ihr ganzes restliches Leben lang nichts mehr zu sagen. Ein Wechsel von der einen zur anderen Marke galt früher als Hochverrat.

Gulden würde auf vertrautes Terrain zurückkehren

Natürlich haben sich die Zeiten geändert. Aus zwei verfeindeten Familienunternehmen wurden börsennotierte Wettbewerber. Trotzdem wechselten allenfalls Mitarbeiter aus den Maschinenräumen beider Firmen hin oder her. Mit dem Chefwechsel scheint der letzte Tabubruch nun Realität zu werden. Wobei Björn Gulden auf vertrautes Terrain zurückkehren würde. Ehe er 2000 bei Europas größtem Schuhhändler Deichmann anheuerte, später zum Schmuckhersteller Pandora wechselte und schließlich bei Puma landete, arbeitete er acht Jahre bei Adidas. Er kümmerte sich damals als Senior Vice President um Bekleidung und Accessoires und bereitete den Börsengang 1995 mit vor.

Bei Puma war man trotz aller Brisanz am Freitag bemüht, den sprichwörtlichen Ball flach zu halten. Mit Vertriebsvorstand Arne Freundt, 42, wurde gleichzeitig mit der Nachricht von Guldens Abgang ein Nachfolger präsentiert - alles soll nach einem geordneten Übergang aussehen. Freundt arbeitet seit mehr als zehn Jahren für Puma und gehört seit Juni 2021 dem Vorstand an. Zuvor war er unter anderem Strategiechef des Unternehmens und in dieser Funktion bereits ein Vertrauter Guldens. Er sei "eine anerkannte Führungspersönlichkeit" und "die ideale Wahl", so Héloïse Temple-Boyer, Vorsitzende des Aufsichtsrats der Puma SE. Freundt erhält einen Vertrag für vier Jahre, beginnend ab 1. Januar 2023.

Ob Björn Gulden gleichzeitig nur wenige hundert Meter entfernt in Herzogenaurach in der Adidas-Zentrale "World of Sports" im Chefsessel Platz nehmen wird, ist noch offen. Normalerweise schließen Klauseln in Managerverträgen fliegende Wechsel aus und verlangen vorher eine mindestens mehrmonatige Abkühlungsphase. So soll verhindert werden, dass jemand aktuelles Insiderwissen zur Konkurrenz mitnimmt. Doch Gulden verlässt Puma nicht aus einem laufenden Vertrag heraus; sein Kontrakt endet regulär. Gut möglich, dass eine solche Klausel daher nicht greift. Sein Abgang trifft Puma in jedem Fall hart. Der kommunikative, nahbare Manager hatte seinen Job mitten in einer Krise übernommen und Puma seither zu einer der wachstumsstärksten und gewinnträchtigsten Sportartikelmarken gemacht - indem er der zu sehr ins Modegeschäft abgedrifteten Raubkatzenmarke ihre sportliche Identität zurückgab. Anders als bei Guldens Start spielt Puma im Weltfußball wieder eine weithin sichtbare Rolle, nicht zuletzt als Ausrüster des englischen Spitzenclubs Manchester City und des brasilianischen Superstars Neymar. Unter Gulden kehrte die Marke auch in den Basketball zurück, was ihre Sichtbarkeit vor allem in den USA enorm erhöhte.

Dass Adidas-Aufsichtsratschef Thomas Rabe sich intensiv um Gulden bemüht, ist verständlich. Denn für das Unternehmen hätte der Transfer gleich mehrere unschätzbare Vorteile. Da käme ein neuer Mannschaftskapitän, der die Sportartikelindustrie in und auswendig kennt, den Sporthandel, das Sportbusiness, den Profisport - überhaupt alles. Björn Gulden kann Markenführung und Produktentwicklung, das hat er bei Puma neun Jahre lang hinlänglich bewiesen. Da käme kein Branchenfremder wie 2016 Noch-Adidas-Chef Rorsted, der vom Düsseldorfer Konsumgüterhersteller Henkel nach Herzogenaurach wechselte. Guldens Einarbeitungszeit bei Adidas hielte sich mutmaßlich in Grenzen. Und genau das wünscht man sich dort. Einen Chef, der den dahintrudelnden Sportartikelriesen schnell wieder stabilisiert und durchstarten lässt. Bekanntlich kämpft der Drei-Streifen-Konzern an vielen verschiedenen Fronten gleichzeitig, angefangen vom schwachen China-Geschäft bis hin zum krachenden Zerwürfnis mit dem mindestens exzentrischen US-Rapper Kanye West, das dem, aber auch Adidas Hunderte Millionen Euro Umsatz und Gewinn kostet.

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Shikha Ahluwalia

SZ PlusStart-up-Kultur
:"Wissen Sie, auch braune Menschen können Deutsche sein"

Shikha Ahluwalia ist eigentlich genau das, was die deutsche Gründer- und Investorenszene will: jung, weiblich, bestens ausgebildet, internationale Karriere, Gründungserfahrung. Trotzdem macht diese es ihr nicht immer leicht.

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