Kindertagesstätten:Bildung oder Bällebad

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Die Ampelkoalition wollte die Sprach-Kitas eigentlich ausbauen, nun soll das Förderprogramm enden. (Foto: Monika Skolimowska/DPA)

Politiker fordern eine Kitapflicht für Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen - und streiten gleichzeitig über die Fortsetzung eines gut funktionierenden Sprachförderprogramms. Wie passt das zusammen?

Von Lilith Volkert

Arne Koopmann leitet eine Krippe und zwei Kindergärten, doch manchmal fühlt er sich behandelt, als sei er Aufpasser im Bällebad eines Möbelhauses. "Nach dem Motto: Hauptsache, jemand schaut auf die Kinder, und die Eltern können arbeiten gehen." Der 45-Jährige würde gerne den Ansprüchen gerecht werden, die an Kitas gestellt werden: frühkindliche Bildung vermitteln, sprachliche und soziale Defizite ausgleichen, Kinder in jeder Hinsicht gut auf die Schule vorbereiten. Doch die Politik mache es ihm oft schwer.

Kindertagesstätten - also Krippen und Kindergärten - gelten spätestens seit dem Pisa-Schock im Jahr 2001 als Bildungseinrichtungen. Hier wird der Grundstein für die weitere Bildungsbiografie gelegt, besonders Kinder aus sozial benachteiligten Familien sollen durch frühzeitige Förderung bessere Chancen bekommen. Soweit der Anspruch. Als Bildungsinstitutionen ernst genommen und entsprechend ausgestattet werden Kitas aber in den seltensten Fällen.

Das zeigt sich gerade beispielhaft an zwei Debatten: Insbesondere Schulminister diskutieren über ein verpflichtendes Kitajahr für Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen. Gleichzeitig ringen Bund und Länder seit Monaten um die Weiterführung eines gut funktionierenden Förderprogramms, der Sprach-Kitas. Der Bund möchte sich aus der Finanzierung zurückziehen, die meisten Länder - die für Kitas verantwortlich sind - können oder wollen die Kosten kurzfristig aber nicht übernehmen. Viele Akteure mit unterschiedlichen Zuständigkeiten - und keine gemeinsame Linie.

Können Kitas die Probleme der Grundschulen lösen?

Auslöser der Kitapflicht-Debatte sind die Grundschüler. Der IQB-Bildungstrend hat jüngst offengelegt, dass viel zu viele Viertklässler sehr schlecht lesen, rechnen und zuhören können und dass das nicht allein an den Schulschließungen während der Pandemie liegt. In manchen Bundesländern erreicht kaum die Hälfte die Mindestanforderungen in der Rechtschreibung, in anderen scheitert jeder Dritte am Kompetenzminimum in Mathe. Am stärksten sind die Leistungen bei Schülern zurückgegangen, die im Ausland geboren sind.

Was also tun? Während Bundesländer mit besonders schlechten Ergebnissen über dezente Veränderungen an Schulen nachdenken, sucht Karin Prien (CDU), Schulministerin in Schleswig-Holstein und Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), eine Lösung außerhalb ihres Verantwortungsbereichs. Sie bringt ein Kita-Pflichtjahr ins Spiel. Das CDU-Präsidium schließt sich Priens Vorschlag an, auch der Deutsche Lehrerverband unterstützt die Idee. Dagegen spricht, dass die Betreuungsquote im Jahr vor der Einschulung ohnehin sehr hoch ist und es in einigen Bundesländern bereits Sprachtests und -förderung für Vorschüler gibt. Kritiker schlagen vor, die Sprachförderung zu stärken, indem Kitas mit ausreichend Fachkräften ausgestattet werden.

Genau zu diesem Zweck gibt es bereits ein etabliertes Förderprogramm, dessen Wirksamkeit sogar wissenschaftlich belegt ist: die sogenannten Sprach-Kitas. Das Programm ermöglicht Einrichtungen mit förderungsbedürftigen Kindern, zusätzliche Fachkräfte einzustellen, die sich mit sprachlicher Bildung auskennen. Diese setzen an mehreren Stellen an: Sie fördern die Kinder, geben ihr Wissen an Team-Mitglieder weiter und beraten die Eltern, wie sie ihren Nachwuchs am besten unterstützen können.

Der Förderbedarf ist doppelt so hoch wie vor der Pandemie

In den vergangenen sieben Jahren wurden 7500 Teilzeitstellen finanziert, etwa jede achte Kita in Deutschland hat davon profitiert. Allerdings möchte der Bund das Programm beenden. Im Juli hieß es, Ende Dezember sei Schluss. Nach langem Hin und Her teilte Bundesfamilienministerin Lisa Paus von den Grünen Anfang der Woche mit, dass sechs Monate länger gezahlt werde - dann müssten aber die Länder übernehmen.

Arne Koopmann beschäftigt zwei Sprach-Kita-Kräfte. Er findet die Debatte zum jetzigen Zeitpunkt "einfach nur irre". 200 Kinder werden in seinen Einrichtungen im niedersächsischen Großkneten betreut, etwa 80 Prozent haben sprachliche Defizite. Darunter sind auch viele Kinder deutscher Muttersprachler, betont Koopmann. Die Corona-Kita-Studie des Deutschen Jugendinstituts und des Robert-Koch-Instituts hat gerade gezeigt, dass der sprachliche Förderbedarf in Kitas fast doppelt so hoch ist wie vor der Pandemie. Dazu kommen Tausende ukrainische Kinder, die Deutsch lernen sollen.

Koopmann stört sich auch am unklaren Kurs der Bundesregierung. SPD, Grüne und FDP wollten die Sprach-Kitas eigentlich ausbauen, so steht es im Koalitionsvertrag. Nun soll zwar weiterhin Geld in Sprachförderung fließen, aber auf anderem Wege. Dazu muss man wissen: Seit 2019 ließ der Bund den Ländern über das Gute-Kita-Gesetz 5,5 Milliarden Euro zukommen. Viele nutzten das Geld aber nicht dafür, die pädagogische Qualität zu verbessern und Personal einzustellen. Sie senkten lieber die Gebühren.

"Sehr viel Frust, Enttäuschung und Wut."

In den kommenden zwei Jahren sollen die Länder noch einmal knapp vier Milliarden Euro vom Bund bekommen, diesmal unter dem Namen Kita-Qualitätsgesetz und mit strengeren Auflagen, wie das Geld einzusetzen ist. Aus diesem Topf könnten die Sprach-Kitas bezahlt werden, sagt Bundesfamilienministerin Paus. Dieses Jahr kosten diese bundesweit 184 Millionen Euro. Verabschiedet ist das Kita-Qualitätsgesetz allerdings noch nicht. Experten wie Betroffene befürchten außerdem, dass durch den Wechsel in die Verantwortung der Länder die über viele Jahre entstandenen Strukturen und Kompetenzen verloren gehen.

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Wenke Stadach, Kitaleitung in Neubrandenburg, ist trotzdem erst einmal erleichtert über das Einlenken des Bundesfamilienministeriums. Sie hatte im August eine Petition zur Rettung der Sprach-Kitas auf den Weg gebracht. Innerhalb von sieben Wochen haben 277 000 Personen unterschrieben. Mitte Oktober schilderte Stadach ihr Anliegen im Petitionsausschuss des Bundestags und plädierte für eine Übergangszeit von zwei Jahren, nun sind es immerhin sechs Monate. "Dass zwar alle die Sprach-Kitas gut finden, sich aber so lange nichts bewegt hat, war ein ganz schlimmes Signal an uns Fachkräfte", sagt Stadach, es gab "sehr viel Frust, Enttäuschung und Wut".

Von diesen Fachkräften wird abhängen, ob und wie Krippen und Kindergärten in Zukunft ihrem Bildungsauftrag nachkommen können. Nicht nur von ihrer Motivation, sondern auch von ihrer Anzahl. Schon jetzt sind - das zeigen Studien, das zeigt die Erfahrung vieler Eltern - in zahlreichen Einrichtungen zu wenige Erzieherinnen und Kinderpfleger für zu viele Kinder zuständig.

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