Kultur:Warum Bayerns Musikvereine Trübsal blasen

Lesezeit: 3 min

Mitglieder von Musikvereinen aus ganz Bayern musizieren während eines Festgottesdienstes zum 500-jährigen Bestehen des Reinheitsgebotes in Kaltenberg. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Musik- und Theaterensembles litten sehr unter den Corona-Beschränkungen und haben sich noch nicht davon erholt. Am größten ist die Sorge um den Nachwuchs.

Von Anna Günther

Dass die Corona-Beschränkungen das Leben der Menschen in Bayern massiv beeinträchtigt haben, ist unbestritten. Was für die meisten nur noch Erinnerung ist, wirkt sich auf viele der etwa 7000 Musik- und Theaterensembles im Freistaat aber noch dramatisch aus. Am Mittwoch schilderten Vertreter der Laien-Musikkapellen, Chöre, Popmusik und Orchester im Wissenschaftsausschuss des Landtages, mit welchen Problemen die gut 600 000 Hobbymusiker und Laien-Schauspieler in Bayern zu kämpfen haben.

Alle Sachverständigen beklagten die strikten Beschränkungen während der Lockdowns. Ihre Mitglieder hatten oft nicht mehr nachvollziehen können, wann wieso für wen Regeln gelockert wurden. Besonders im Vergleich zum Sport fühlen sich die Vereine benachteiligt. Damals spielte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) noch im "Team Vorsicht" und stellte auch die Geduld der CSU-Fraktion auf die Probe. Was den Ausschussvorsitzenden Robert Brannekämper (CSU) wohl zu einer eher halbherzigen Verteidigung veranlasste: "Corona kam ja ohne Blaupause, aber die Regelungen waren auch für uns in der Fraktion nicht immer ganz einleuchtend." Dafür habe die Fraktion eine Aerosol-Studie in Auftrag gegeben, um "auch der Staatsregierung eine gewisse Handreichung zu geben, was sinnvoll ist und was nicht".

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Das größte Problem der Laien-Chöre, Orchester und Theaterensembles wurde durch Corona verschärft: Die Mitgliederzahlen sinken. Dazu kommt ein massiver Nachwuchsmangel, weil zwei Jahre lang in Kindertagesstätten und Schulen kaum Musikunterricht oder Theater stattfanden. Alle Sachverständigen beklagten, dass viele ältere Ehrenamtliche wegbleiben oder in absehbarer Zeit aus Altersgründen aufhören und die Vereine zugleich kaum noch an Kinder rankommen. Die aber seien essenziell, um die Zukunft zu sichern und Publikum für Aufführungen zu bekommen. Wenn Kinder auf der Bühne stehen, sitzen Eltern und Großeltern im Publikum - oder engagieren sich gleich mit.

Viele Vereine haben laut Andreas Horber, Geschäftsführer des Bayerischen Musikrats, bis zu 20 Prozent ihrer Mitglieder verloren. Derzeit werden so viele Chorleiter und Dirigenten in den Verbandszeitschriften gesucht wie nie zuvor. Viele hätten aufgehört oder andere Jobs übernommen. Mitglieder- und Dirigentenschwund führten nun dazu, dass Musikensembles ganz aufgeben oder ihr Repertoire neu erarbeiten müssen. Sein Kollege Andreas Kleinhenz vom Nordbayerischen Musikbund berichtete, dass auch viele Vereinsleiter aufhören wollen. Kleinhenz nennt Corona einen "Brandbeschleuniger", viele der Probleme habe es vorher schon gegeben.

Auch wenn mittlerweile Orchester und Chöre wieder proben, seien die Folgen an Schulen und in Kitas noch spürbar, beklagten die Experten. Projekte wie Chor- oder Bläserklassen wurden aufgrund von Corona eingestellt und noch nicht wieder aufgelegt. Für die Zukunft der Vereine und die musikalische Ausbildung der Kinder forderten die Experten einen besseren Zugang zu Grund- und Mittelschulen sowie zu Kindertagesstätten. Dringend nötig seien feste Rahmenbedingungen, wie sich Musik- oder Theatervereine dort engagieren dürfen. Oder Kriterien, wen Schulleiter anstellen können. Es sei ein Problem, dass es in der Erzieher- und Lehrerausbildung kein musikalisches Angebot mehr gebe. "Wenn das in der Ausbildung nicht stattfindet, wie soll der Lehrer dann mit den Kindern singen, ohne sich lächerlich zu machen?", fragte Horber.

Die Laienmusikverbände warben dafür, sich in Aus- und Fortbildung der Erzieher und Lehrer einbringen zu dürfen. Gerade jetzt in Zeiten des Erzieher- und Lehrermangels könnten etwa Musikpädagogen oder etablierte Ensembleleiter an Kitas und Schulen aushelfen. Damit dürften sie bei den großen Kita-Trägern offene Türen einrennen. Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) hatte schon signalisiert, dass speziell ausgebildete Quereinsteiger in Kitas denkbar sind. Auch das Kultusministerium zeigt sich auf SZ-Anfrage offen: Seit drei Jahren können Musiker und besonders Musikpädagogen als Fachlehrer an Grund- und Mittelschulen arbeiten. Zudem sind Vereine im Rahmen des schulischen Ganztagsprogramms schon lange an Schulen engagiert. Kooperationen unterschiedlichster Art sind laut Kultusministerium möglich. Dazu gebe es einen Aktionstag Musik und eine jährliche Broschüre mit Liedern der Landeskoordinierungsstelle Musik, an der auch der Musikrat beteiligt ist.

Am Ende gibt es auch Selbstkritik

Finanzielle Probleme standen in der Landtagsanhörung nicht im Vordergrund, zwar seien die Reserven vieler Vereine fast aufgebraucht, aber wichtiger waren den Verbandsvertretern Zuschüsse des Freistaats für Musikunterricht für Kinder. Bisher finanzierten viele Vereine den Musikunterricht über Elterngebühren oder aus eigenem Etat, aber das sei mittelfristig nicht mehr möglich. Und die Sorge ist, dass steigende Energie- und Lebenshaltungskosten dazu führen, dass Familien ihre Kinder abmelden, weil Musikstunde und Mietgebühr fürs Instrument zu teuer sind.

Neben den Nachwuchssorgen trieb die Verbände auch die Frage um, wie sie ihr Publikum wieder zurückholen könnten. Volle Säle gebe es wie bei den großen Profibühnen kaum noch, hieß es. Aber in der Diskussion mit den Abgeordneten gaben sich die Verbände auch selbstkritisch: Man müsse über ganz neue Veranstaltungsformen nachdenken, rausgehen und andere Menschen ansprechen, als bloß jene zum Konzert zu laden, die einen ohnehin schon mögen.

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