Flucht:Mitgenommen

(Foto: gca)

Wer flüchtet, muss viel zurücklassen. Hier erzählen Kinder und Jugendliche, was sie alles retten konnten. Diesmal: Olga, 17, aus Mena bei Tschernihiw in der Ukraine. Sie lebt seit sieben Monaten in Seefeld.

Protokoll: Georg Cadeggianini

"Ich habe einen Gedichtband von Taras Schewtschenko mitgenommen. Schewtschenko ist der wichtigste Schriftsteller der Ukraine. Es ist ein altes Buch, der Preis hinten steht noch in Karbowanez drauf, einer ukrainische Währung, die es seit etwa 60 Jahren gar nicht mehr gibt. Als wir Ende März flüchten mussten, konnten wir genau einen Koffer mitnehmen. Meine Schwester, meine Mutter und ich zusammen: einen Koffer. Ich wusste sofort, dass dieses Buch trotzdem mitmuss. Es war anders als alle anderen Bücher. Es war schon immer da. Für die Schule mussten wir einige Gedichte daraus auswendig lernen. Wenn Schurkenvolk mein Land beschwätzte / Und nach gelungnem Räuberstreich / Das leere Haus in Flammen setzte / Nein, nein, das wär' mir gar nicht gleich. Das schrieb Schewtschenko vor 175 Jahren. Ich fühle mich oft ertappt, in dem, was ich erlebe von dem, was er schrieb. Es ist über uns! I ch bin im Ausland grau geworden, heißt es in einem Gedicht von ihm über Heimweh. Ich hoffe, das passiert mir nicht."

© SZ vom 12.11.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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