Netzkolumne:Ist das Zeitalter der sozialen Medien vorbei?

Netzkolumne: Alternative zum Chaos bei Twitter? Die App Mastodon hat bereits Serverprobleme.

Alternative zum Chaos bei Twitter? Die App Mastodon hat bereits Serverprobleme.

(Foto: Robin van Lonkhuijsen; Bearbeitung: SZ/Imago/ANP)

Elon-Musk-Chaos bei Twitter, Massenentlassungen bei Facebook & Co.: Wäre es nicht langsam Zeit, den Begriff "Soziales Medium" völlig neu zu denken?

Von Michael Moorstedt

In der zweiten Woche von Elon Musks Alleinherrschaft über Twitter laufen die Dinge ungefähr so gut wie vorhergesagt: Diverse hochrangige US-Politiker sprechen öffentlich über ihre Genitalien, George W. Bush und Tony Blair sagen, dass sie den Irakkrieg vermissen, während Nintendos knuffiges Videospiel-Maskottchen Mario der gesammelten Weltöffentlichkeit den Mittelfinger zeigt. All das verdankt das Publikum Musks Plan, Nutzerverifizierungen künftig für acht Dollar monatlich erwerben zu können. Das nutzten viele, um ihre mal parodistischen, mal boshaften Fälschungen als Originale bestätigen zu lassen.

Die Vorgänge auf Twitter, zusammen mit der Ankündigung von Facebooks Mutterkonzern Meta, mehr als 11 000 Mitarbeiter zu entlassen, lassen manche Beobachter zu der Feststellung kommen, dass das Zeitalter der sozialen Medien, wenn schon nicht gänzlich tot, dann doch zumindest im Sterben begriffen ist. Die einzige Plattform, die noch immer wächst, ist Tiktok. Und die ist weniger ein soziales Medium als ein Ort passiven Konsums. Eher Massenmedium als Medium für die Masse. Instagram, in seiner Art, jedes nur erdenkliche Feature von Tiktok zu kopieren, befindet sich auf dem besten Weg dorthin.

Bei der Alternative Mastodon reichen die Server nicht aus

Was nun? Ist das lang ignorierte dezentrale Netzwerk Mastodon die Lösung? Sollte man sich dort eine neue Existenz aufbauen? Von Migration ist die Rede, von Exil, gar von einem Massen-Exodus. Es gibt neue Miniprogramme wie Debirdify oder Twitodon, die den Nutzern dabei helfen, die Menschen, denen sie folgen, in dieser unübersichtlichen neuen Welt wiederzufinden. Knapp 500 000 neu erstellte Accounts seit Ende Oktober zählt Mastodon-Gründer Eugen Rochko. Angesichts der täglich aktiven Nutzerbasis von Twitter - schätzungsweise 206 Millionen Menschen - ist das nicht gerade eine große Wanderbewegung. Trotzdem ächzt das Netzwerk bereits unter dem "Ansturm", die Server reichen nicht aus, die Apps spielen verrückt.

Egal, ob Mastodon nun eine geeignete Alternative darstellt: Anstatt die gelernten schlechten Angewohnheiten schlichtweg an einem neuen Ort zu replizieren, könnte man die Gelegenheit und den Augenblick nutzen, um den Begriff "Soziales Medium" neu zu definieren. Wäre es wirklich so schlimm, weniger zu reden, weniger häufig und mit weniger Menschen? Doch weil sie viel zu sehr damit beschäftigt sind, sich in diesem Hamsterrad das Wohlbefinden aus dem Leib zu hecheln, kommen die meisten Nutzer gar nicht dazu, zu fragen, was ein soziales Netzwerk überhaupt sein könnte.

Wie sähe es etwa aus, wenn in künftigen digitalen Räumen Konzepte wie Gemeinschaft, Privatsphäre und gegenseitige Fürsorge in den Mittelpunkt gestellt würden anstelle von Profit-Kennzahlen? Würde sich die Qualität der Informationen in diesen Netzen verbessern, wenn das Einstellen von Beiträgen etwas mehr Mühe erfordern würde? Wenn sich die Menschen, wenn auch schmerzhaft, eingestehen, dass sie nicht permanent etwas zu sagen haben, nicht jeder mittelmäßiger Einfall von einem potenziellen Millionenpublikum gewürdigt werden muss? Und was wäre, wenn die Gemeinschaften in diesen hypothetischen Netzen eigene Räume für sich selbst schaffen würden, die nicht mehr von, für und durch Werbekunden definiert werden?

Ein solcher Ort existiert im schier unendlichen Internet nicht. Vielleicht wird bald eine neue Alternative das gefühlte Vakuum füllen. Doch selbst wenn ein Wandel möglich wäre, schreibt das Magazin The Atlantic, wäre es schwierig, ihn zu vollziehen, denn man habe das "Leben an die Freuden und Qualen der sozialen Medien angepasst. Es scheint genauso schwer zu sein, sich die sozialen Medien abzugewöhnen, wie es den Amerikanern im 20. Jahrhundert schwer fiel, sich das Rauchen abzugewöhnen".

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