Recycling:Kleider aus Eichenrinde

Recycling: Die Zeit läuft: Viele Modeunternehmen tun noch zu wenig, um dem Klimawandel entgegenzuwirken, finden Experten. Die Marke Courrèges hat daran gearbeitet, die GOTS-Zertifizierung für die Baumwollbasis ihres Vinyls zu erhalten.

Die Zeit läuft: Viele Modeunternehmen tun noch zu wenig, um dem Klimawandel entgegenzuwirken, finden Experten. Die Marke Courrèges hat daran gearbeitet, die GOTS-Zertifizierung für die Baumwollbasis ihres Vinyls zu erhalten.

(Foto: Katharina Wetzel)

Die Mode versucht sich an mehr Nachhaltigkeit. Doch nur wenige Marken kommunizieren offen und transparent.

Von Katharina Wetzel

Models laufen um eine kreisförmige Sandfläche. In deren Mitte fällt Sand von der Decke, zunächst langsam, dann strömt es immer schneller und stärker herab, bis der größer werdende Sandhaufen durch den Boden bricht und sich ein Abgrund auftut. Die verrinnende Zeit als Motiv, mit dem die Marke Courrèges bei einer Präsentation spielt - es könnte sinnbildlich für die ganze Branche stehen. Auch Umweltschützer erinnern häufig daran, dass die Zeit drängt. Und viele Modefirmen noch zu wenig tun, um dem Klimawandel entgegenzuwirken.

Magdalena Schaffrin kennt sich mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Modebranche aus. Sie hat einst ein Messeformat für nachhaltige Mode in Berlin ins Leben gerufen und ist Geschäftsführerin der Strategieberatung MM04: "Es gibt einige Leuchttürme in der Branche, doch die machen erst einen kleinen Anteil des Marktes aus", sagt Schaffrin, die auch Unternehmen etwa zu Nachhaltigkeitskriterien und -checks berät.

Trotzdem beobachtet Schaffrin, dass sich einiges in der Branche bewegt, wenn auch auf niedrigem Niveau. Dazu trägt auch ein EU-Strategiepapier bei. Demnach sollen bis 2030 die Textilerzeugnisse auf dem EU-Markt langlebig und recyclingfähig sein.

Recycling: Aus Altkleidern werden neue: Das Label Anrealage hat 200 Stoffreste aufgearbeitet und aus winzigen Fetzen bunte sowie monochrome Patchworkkleider kreiert

Aus Altkleidern werden neue: Das Label Anrealage hat 200 Stoffreste aufgearbeitet und aus winzigen Fetzen bunte sowie monochrome Patchworkkleider kreiert

(Foto: Katharina Wetzel)

Künftig können dann aus Altkleidern neue entstehen. Noch wird erst weniger als ein Prozent des Textilmülls in Europa zu neuen Textilprodukten recycelt. Ein Großteil wird direkt verbrannt oder landet auf der Mülldeponie. Dabei könnte ein Textilrecycling laut einer Studie von McKinsey, Millionen Tonnen CO2 einsparen und 15 000 Jobs in Europa schaffen.

Gerade junge Designer verwenden bereits Überhänge und Lagerbestände, um ihre Kollektionen herzustellen. Der japanische Designer Kunihiko Morinaga hat für sein Label Anrealage beispielsweise 200 Stoffe vorwiegend aus alten Beständen präzise aufgearbeitet und aus winzigen Fetzen bunte sowie monochrome Patchworkkleider kreiert, die auch beidseitig getragen werden können.

Für die Designerin Christelle Kocher ist es eine Selbstverständlichkeit, mit Lagerbeständen zu arbeiten. Die Kollektionen ihres Labels Koché sind zum Großteil upgecycelt.

Recycling: Auch Kevin Germanier kämpft gegen Materialverschwendung. Der Schweizer Designer nutzt alte Perlen und Federn, die andere weggeworfen haben.

Auch Kevin Germanier kämpft gegen Materialverschwendung. Der Schweizer Designer nutzt alte Perlen und Federn, die andere weggeworfen haben.

(Foto: Katharina Wetzel)

Auch Kevin Germanier kämpft gegen Materialverschwendung. Der Schweizer Designer, dessen farbige, extravagante Outfits auch Lady Gaga trägt, nutzt alte Perlen und Federn, die andere weggeworfen haben. Für seine aktuelle Kollektion 2023 hat er mit dem brasilianischen Künstler Gustavo Silvestre kooperiert, der mit Gefangenen aus Rio zusammenarbeitet.

Designer Antonin Tron schaut für seine Kollektion Atlein jede Saison aufs Neue, was ihm an Abfall begegnet, aus dem er neue Materialien gewinnt. Seine körperumspielenden Kleider bestehen unter anderem aus recyceltem Ozeanplastik oder recyceltem Jersey.

Fündig werden junge Labels wie Atlein aber auch bei "Nona Source". So heißt die Plattform, die Romain Brabo 2021 unter dem Dach des Luxusgüterkonzerns LVMH gegründet hat. Früher hat Brabo als Stoff-Einkäufer für Givenchy gearbeitet: "Da habe ich all die schlafenden Ressourcen gesehen und kannte gleichzeitig viele Jungdesigner, die diese gerne genutzt hätten", erklärt Brabo seine Geschäftsidee. Nun bietet er die Stoffreste von LVMH-Marken wie Louis Vuitton, Christian Dior, Givenchy, Celine, Fendi oder Loro Piana zu einem 50 bis 80 Prozent reduzierten Preis über die Online-Plattform und Showrooms in Paris und London an. Auch der südafrikanische Designer Thebe Magugu, das Berliner Label Ioannes oder die Modedesignerin Stella McCartney gehören zu den Kunden.

Recycling: Die körperumspielenden Kleider aus der Kollektion von Antonin Tron bestehen unter anderem aus recyceltem Ozeanplastik oder recyceltem Jersey.

Die körperumspielenden Kleider aus der Kollektion von Antonin Tron bestehen unter anderem aus recyceltem Ozeanplastik oder recyceltem Jersey.

(Foto: Atlein)

Die teuren, edlen Reste an Seide, Cashmere und Tweed von Luxusmarken zu verwenden, ist besser als neue Materialien zu produzieren. Zertifiziert sind die Stoffe bei Nona Source allerdings noch nicht: "Wir arbeiten gerade daran, all die Zertifizierungen noch zu sammeln und ins System einzupflegen", sagt Brabo. Nachhaltigkeitsexpertin Schaffrin sieht hinter dem Konzept von Nona Source jedoch vor allem ein Geschäftsmodell: "Denn hochwertige Stoffe werden in der Regel nicht weggeworfen."

Online-Rating-Plattformen wie "Good on you" geht das Engagement vieler Firmen und der Trend zum Upcycling ohnehin nicht weit genug. Sie fordern eine völlige Transparenz, was die meisten Firmen nicht bieten. Viele Mode-Labels, die auf der Plattform geratet worden sind, schneiden daher relativ schlecht ab. Das kann, muss aber nicht zwingend an den tatsächlichen Standards der Firmen liegen. Denn die Bewertung kommt automatisiert mit öffentlich zugänglichen Informationen zustande. Firmen, die über ihr ökologisches und ethisches Engagement nicht berichten, schneiden also schlecht ab, andere, die viel darüber kommunizieren, erhalten positivere Bewertungen.

Das Beispiel zeigt, warum es für Verbraucher noch immer schwierig ist, ein nachhaltig wirtschaftendes Label zu erkennen. Schaffrin rät Verbrauchern auf Zertifizierungen wie Gots, Fair Trade, Bluesign, Made in Green by Oekotex, Global Recycle Standard oder Fair Wear Foundation und auf den grünen Knopf zu achten.

Recycling: Rick Owens verwendet in seinen Entwürfen Gots-zertifizierte Baumwolle.

Rick Owens verwendet in seinen Entwürfen Gots-zertifizierte Baumwolle.

(Foto: Katharina Wetzel)

Und hier tut sich etwas: Die Marke Courrèges hat daran gearbeitet, die Gots-Zertifizierung für die Baumwollbasis ihres Vinyls zu erhalten, und Rick Owens verwendet ebenfalls Gots-zertifizierte Bio-Baumwolle in seiner aktuellen Kollektion, recycelt Tüll zu Mänteln und verarbeitet Garne, die aus recycelten Abfallmaterialien gewonnen werden.

Doch wie sieht es entlang der gesamten Wertschöpfungskette aus? Kümmern sie sich auch um Geschlechtergerechtigkeit, Diversität und die Zahlung existenzsichernder Löhne? Darüber hätte man gerne von manchen Luxusmarken mehr erfahren. Doch viele halten sich lieber bedeckt.

Ein Hauptgrund, weswegen sich so wenig in der Branche verändere, liege am Aufwand und den Kosten, die Nachhaltigkeitsbemühungen mit sich bringen, meint Schaffrin. Am Ende würden vor allem ökonomische Entscheidungen getroffen.

Viele große Modehäuser kommunizieren wenig zum Thema Nachhaltigkeit. Anders sieht es aus, wenn es um das Geschäft geht. Re-Sale, also der Wiederverkauf alter oder getragener Ware, ist zu einem Trend geworden. Online-Vintage- und Secondhandshops boomen. Auch die französische Luxusmarke Balenciaga, die zum Kering-Konzern gehört, hat ein Wiederverkaufsprogramm gestartet.

"Alles, was die Lebensdauer eines Kleidungsstücks verlängert, leistet einen positiven Beitrag für die Umwelt - sofern dafür kein neues Stück gekauft wird", sagt Schaffrin. Doch bei Balenciaga erhält der Kunde gerade dazu einen Anreiz. Wer seine alte Garderobe abgibt, erhält einen höheren Geldbetrag als Gegenwert, wenn er das Guthaben gleich wieder für neue Balenciaga-Artikel ausgibt.

Recycling: Chefdesigner Olivier Rousteing setzt in seiner Haute Couture Kollektion auch Eichenrinde ein.

Chefdesigner Olivier Rousteing setzt in seiner Haute Couture Kollektion auch Eichenrinde ein.

(Foto: Katharina Wetzel)

Wie schwierig es ist, nachhaltig zu agieren, zeigt sich auch bei einer Haute-Couture-Marke wie Balmain, die wegweisend für viele in der gesamten Modebranche ist. Wenn ein Haus wie Balmain auf der Pariser Modewoche vor großem Publikum eine Couturekollektion aus Eichenrinde, aufgelesenen Zweigen und anderen natürlichen Materialien zeigt, hat dies einen positiven Effekt, ist sich Schaffrin sicher. "Es ist gut, wenn eine Couturemarke dazu inspiriert, umzudenken."

Doch aus rein nachhaltiger Sicht gebe es noch viel mehr zu tun. "Es stellen sich viele weitere Fragen, etwa welche Materialien in der Prêt-à-Porter Kollektion eingesetzt werden. Ebenso die Frage, ob der katarische Investmentfonds Mayhoola, dem Balmain gehört, die Nachhaltigkeitsbemühungen mitträgt." Diese stünden in starkem Kontrast zu einem Land, welches das meiste Geld mit der Rohölförderung verdient.

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