Prozess am Landgericht München:Opfer im Wahn vor die S-Bahn gestoßen

Prozess am Landgericht München: Polizisten sperren im November 2021 den Bahnsteig am Stachus, nachdem ein Mann vor die S-Bahn gestoßen worden ist.

Polizisten sperren im November 2021 den Bahnsteig am Stachus, nachdem ein Mann vor die S-Bahn gestoßen worden ist.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Ein psychisch kranker 42-Jähriger schleift am Stachus einen Mann bis zur Bahnsteigkante und stößt ihn hinab. Der Mann wird überrollt, verliert ein Bein. Vor Gericht sagt der Täter, Gott habe ihm befohlen, den Teufel zu töten.

Von Susi Wimmer

Das komplette Stachus-Rondell ist videoüberwacht, ebenso die Rolltreppe ins Untergeschoss, bis hin zum Bahnsteig der S-Bahn. So ist der ganze Tatablauf auf einem Bildschirm in Gerichtssaal B 175 zu sehen: Wie Nagib T. (alle Namen geändert) einen Mann packt, ihn über die Rolltreppen bis nach unten zerrt und schiebt, wie er auf die herannahende S-Bahn wartet und den sich vergeblich wehrenden Mann genau vor den einfahrenden Zug wirft. Das Opfer wurde überrollt, der Mann überlebte, doch ihm wurde ein Bein abgetrennt.

An diesem Montag steht Nagib T., 42, vor dem Landgericht und sagt, Gott habe ihm befohlen, den Teufel zu töten. Die erste Strafkammer muss nun entscheiden, ob der unter paranoider Schizophrenie leidende T. dauerhaft in einer psychiatrischen Klinik untergebracht werden soll.

"Mein Leben ist kaputt gemacht", ruft Bari P. verzweifelt. Er habe Angst, "was hab ich ihm getan? Warum macht er das?". Der 38-Jährige sitzt als Zeuge vor Gericht, sein linkes Bein wurde unterhalb des Knies abgetrennt, seinen Job als Reinigungskraft kann er nicht mehr ausüben. Er lebt in einer betreuten Wohngruppe, er benötigt dringend eine Prothese.

Im Jahr 2016 habe sich bei Nagib T. erstmals eine paranoide Schizophrenie manifestiert, so formuliert es Staatsanwältin Johanna Heidrich in ihrer Antragsschrift. In Italien, wo er sich damals aufhielt, wurde er medikamentös eingestellt. Als er im Sommer 2020 nach Deutschland kam, beschloss er, die Medikation abzusetzen. Der Mann mit der dicken schwarzen Brille spricht laut, gestikuliert und erzählt von den Ungereimtheiten, die plötzlich in seinem Leben auftauchten: Auf dem Konto fehlte Geld, sein Telefonwecker klingelte, ohne dass er ihn eingestellt hatte, und dann war noch ein Blutfleck an seinem Körper.

Er verlor seinen Job als Pizzabäcker in einem Ort bei Altötting und fuhr nach München, um in kleinen Pensionen zu übernachten. Irgendwann, so erzählt er, habe er gar nicht mehr geschlafen. Aus Angst, jemand könnte ihm schwarze Magie antun. Er sah Menschen mit großen Nasen und Mündern, "Teufelsanbeter", wie er meinte - und den Teufel. Zweimal habe er ihn in Form eines Mannes und einer Frau in der U-Bahn gesehen. Er habe beiden töten wollen, "aber ich wusste nicht, wie. Ich hatte kein Messer dabei".

Es hätte jeden treffen können. Am Ende war es Bari P. Er hielt sich am 28. November 2021 am Stachus auf, war leicht angetrunken, und erstaunt, als Nagib T. ankam, seine Hände packte und ihn die Rolltreppe nach unten bugsierte. "Damals wog ich 50 Kilo", sagt P. Der andere war kräftig gebaut. "Ich hätte nie gedacht, dass er mich ins Gleis schiebt", sagt P. Er wird vom Zug überrollt, die S-Bahn bleibt stehen. Nagib T. klopft an den Zug, wechselt auf die andere Gleisseite, schlägt wieder gegen den Waggon. "Ich wollte, dass der Zug weiterfährt, damit ich sehen kann, ob der Teufel tot ist", sagt er heute. Und: Er nehme Medikamente, sei jetzt gesund, es tue ihm leid. Er wolle, dass man ihm hilft, "eine Arbeit und eine Wohnung zu finden", damit er nicht mehr wie vorher unter Stress gerate. Ein Urteil wird Anfang Dezember erwartet.

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