Krippenkunst in Vaterstetten:Wie das pralle, nur selten heilige Leben

Krippenkunst in Vaterstetten: In der Allauch-Krippe kann man nicht nur Heilige bewundern, sondern auch viele provenzalische Archetypen wie den Bürgermeister, der hier mit einer schönen Dame schäkert.

In der Allauch-Krippe kann man nicht nur Heilige bewundern, sondern auch viele provenzalische Archetypen wie den Bürgermeister, der hier mit einer schönen Dame schäkert.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Rund um die provenzalische Allauch-Krippe im Rathaus Vaterstetten mit ihren Santon-Figuren ranken sich zahlreiche Geschichten. Und es gibt Special Features. Gewollte - und nicht gewollte.

Von Michaela Pelz, Vaterstetten

Wenn sich der November dem Ende zuneigt, checkt Inge Mayer-Simon den Wetterbericht häufiger als sonst. Denn als "Krippenbeauftragte" des Vereins der Städtepartnerschaft mit Allauch koordiniert sie im Rathaus Vaterstetten den dreitägigen Aufbau der provenzalischen Krippe. Dabei besteht der erste Schritt darin, den hölzernen Unterbau des vier mal sieben Meter großen Dioramas vom Bauhof antransportieren und aufrichten zu lassen. "Wenn es am betreffenden Tag aber schneit, dann müssen die Baubetriebsleute ganz schnell weg, denn die Räumung hat Vorrang," erklärt die 64-Jährige. Dann gilt es zu warten - oder zu improvisieren.

Geschneit hat es in diesem Jahr zwar nicht, schnelles Handeln und Erfindungsreichtum waren aber auch heuer gefragt. Denn als das Krippenteam über das Unterholzgestell mit dem Drahtgeflecht für die Hügellandschaft schon die Moltontücher gelegt hatte, die anschließend mit selbst gesammelten Naturmaterialien bedeckt werden sollten, sah man, dass das Moos noch trockener war als sonst.

Krippenkunst in Vaterstetten: Beim Aufbau und auch sonst hat dieses Team ganze Arbeit geleistet. vlnr: (vorne) Tessy Büche, Sharon Nolan, Catherine Schnitger. (Mitte) Ursel Franz, Christine Rudolph. (hinten) Inge Mayer-Simon, Helga Müller.

Beim Aufbau und auch sonst hat dieses Team ganze Arbeit geleistet. vlnr: (vorne) Tessy Büche, Sharon Nolan, Catherine Schnitger. (Mitte) Ursel Franz, Christine Rudolph. (hinten) Inge Mayer-Simon, Helga Müller.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Es wird im Keller aufbewahrt, weil wir es wiederverwenden. Man kann sich vorstellen, wie es nach drei Jahren Corona-Pause aussah", erklärt Mayer-Simon. Also wurde das ganze Moos zunächst auf Zeitungen ausgebreitet und intensiv besprengt, um es wieder elastisch zu machen. Soweit der gewollte Einsatz von Wasser.

Was sich an Tag zwei der aufwändigen Aufbauarbeiten ereignete, war indes nicht geplant: Plötzlich nämlich kamen Tropfen von oben, durch die Decke des Vaterstettener Rathauses. Ein leider schon langes bekanntes Problem, dem die Gemeinde immer wieder mit Kübeln begegnen muss. Doch Mayer-Simon und ihr Team wussten sich zu helfen: Zum Glück war noch ein Stück von der mit feinem Kies beklebten Folie übrig, die normalerweise verwendet wird, um Plätze und Wege darzustellen. Und für das Bett eines Bächleins, das dank einer Pumpe kontrolliert vom Berg Richtung Krippe in ein einen kleinen Weiher fließt.

Doch zusätzliches Wasser vom Dach würde dem Diorama freilich erheblich schaden, ein heftiger Regenguss in der Nacht etwa wäre fatal. Viele der Naturmaterialien sind schließlich alles andere als wasserfest. Also musste das Krippenteam handeln: Auf die Schnelle wurde links des Wasserlaufs ein weiteres Drahtkonstrukt eingeflochten, um einen zusätzlichen Bach zu bilden, durch den das Tropfwasser vom Dach nun in das Auffangbecken abgeleitet wird.

Krippenkunst in Vaterstetten: Deutlich erkennbar: das in die Krippe integrierte "Regenauffangbecken" in Form einer zusätzlichen Kiesrinne (links). Das, was aufgrund des "Dachschadens" durch die Decke kommt, wird in den Krippenweiher abgeleitet.

Deutlich erkennbar: das in die Krippe integrierte "Regenauffangbecken" in Form einer zusätzlichen Kiesrinne (links). Das, was aufgrund des "Dachschadens" durch die Decke kommt, wird in den Krippenweiher abgeleitet.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Diese Veränderung fällt aber wahrscheinlich nur denjenigen auf, die das dreidimensionale Gebilde in der Vergangenheit schon intensiver studiert haben. Gelegenheit dazu hätte es ab 1988 gegeben. Da nämlich wurde die provenzalische Krippe in Vaterstetten erstmals gezeigt. Angeregt hatte die Anschaffung das Partnerkomitee aus dem Städtchen Allauch nördlich von Marseille, dem man seit 1982 freundschaftlich verbunden ist.

Gilbert Orsini heißt der Santonnier, von dem fast alles stammt

Immer wieder hatten die französischen Freunde "Santons", provenzalische Krippenfiguren aus Ton oder Terrakotta, als Gastgeschenk im Gepäck gehabt - später wurde durch den Kauf von Stall, Windmühle und Bauernhaus der passende Rahmen geschaffen. Natürlich stammen die Gebäude, wie die meisten Figuren, aus der Werkstatt von Santonnier Gilbert Orsini. Heute gehört zu dem imposanten Konstrukt auch eine Kapelle nach dem Vorbild der in Allauch befindlichen "Notre Dame du Château".

Krippenkunst in Vaterstetten: So sieht es aus, wenn die Arbeiten an der Krippe beginnen. Im Hintergrund: Die 2005 von Bühnenbildner Hans Hilmer gefertigte Landschaft.

So sieht es aus, wenn die Arbeiten an der Krippe beginnen. Im Hintergrund: Die 2005 von Bühnenbildner Hans Hilmer gefertigte Landschaft.

(Foto: Ursel Franz/privat)

Der Landschaftshintergrund allerdings ist "made in Vaterstetten", gefertigt von einem echten Bühnenbildner. "Hans Hilmer, der früher bei der Oper war, hat das 2005 gemacht. Ehrenamtlich, obwohl er nicht im Verein ist. Ursprünglich hingen dort Vorhänge. Mal in schwarz, mal in rot," erklärt Ursel Franz.

Die Oldenburgerin, die 1974 nach Bayern kam, engagiert sich seit 27 Jahren für die Verbindung mit Allauch, aktuell als Vorsitzende des Vereins, der sich 2010 aus dem ursprünglichen Komitee entwickelte. Darum kennt sie auch die Geschichte vieler der rund 30 Zentimeter hohen Tonfiguren.

Krippenkunst in Vaterstetten: "Frau Niedergesäß": ein Geschenk zur Hochzeit des damaligen Bürgermeisters.

"Frau Niedergesäß": ein Geschenk zur Hochzeit des damaligen Bürgermeisters.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Sehen Sie da hinten den Reiter mit der Dame? Ich nenne sie immer Frau Niedergesäß, denn das Ensemble war ein Geschenk, das zeitnah zur Hochzeit unseres damaligen Bürgermeisters erfolgte," sagt Franz. Welchen Namen die Figur laut Tradition tatsächlich trägt, davon gleich mehr.

Denn bei den "Santons" handelt es sich keineswegs um Wunder vollbringende Persönlichkeiten. Stattdessen hat man in den provenzalischen Krippen zahlreiche Archetypen des eigenen Lebensumfelds verewigt. Die berühmtesten Charaktere sind dabei Antoine Maurel und seiner Weihnachtsgeschichte aus dem Jahr 1844 zu verdanken. In dieser "Pastorale provençale" hatten viele der Figuren, die man heute noch kennt, einen Auftritt. Orientiert man sich an dieser Übersicht, müsste die schmucke Bei-Reiterin "L'Arlésienne" sein, die Frau aus Arles, die mit ihrem "Guardian" auf einem weißen Camargue-Pferd unterwegs ist.

Krippenkunst in Vaterstetten: Zunächst heißt es, die im Keller gelagerten Figuren vorsichtig mit einem Pinsel abzustauben.

Zunächst heißt es, die im Keller gelagerten Figuren vorsichtig mit einem Pinsel abzustauben.

(Foto: Ursel Franz/privat)

Dass es die Frau auf dem Pferd dieses Jahr nach langer Corona-Pause erstmals wieder aus einem Karton im Rathauskeller auf die große Bühne im Foyer geschafft hat, ist Inge Mayer-Simon zu verdanken. Sie nämlich ist mit der endgültigen Auswahl der Figuren betraut, die zunächst sorgsam entstaubt werden müssen. Über etwa 120 verfügt das Krippenteam aktuell, rechnet man Bestand und private Leihgaben zusammen. Platz finden aber meist nur 80 bis 90.

Manche Figuren dürfen nicht fehlen

"Ich bemühe mich, immer ein wenig zu variieren, aber natürlich hat man so seine Lieblinge, die man automatisch immer wieder hernimmt", lächelt die frühere Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache, die schon seit ihrer Schulzeit frankophil ist. Ihr Favorit ist ein Mann im blauen Kittel, der als Folklorevertreter für die Provence steht. Und sie mag den Bub mit der grünen Jacke und das Mädchen mit der Sichel. "Unsere ersten Kinder," freut sie sich. "Vorher hatten wir nie welche."

Krippenkunst in Vaterstetten: Das alte Paar mit den traditionellen 13 Weihnachts-Nachtischen. Die Kaffeemühle der Dame im Hintergrund funktioniert wirklich.

Das alte Paar mit den traditionellen 13 Weihnachts-Nachtischen. Die Kaffeemühle der Dame im Hintergrund funktioniert wirklich.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Aber es gibt auch ganz klassische Figuren, die nicht fehlen dürfen. So etwa der "Boumian", der "Böse". Oder "Le maire", der Bürgermeister, der in dieser Krippe mit einer Dame schäkert. Und als Sinnbild der Liebe ein altes Paar - sie mit einer Handarbeit, er mit der Zeitung. Zumindest sollte es so sein, doch leider hat man die Lektüre dieses Jahr nicht gefunden. Doch das fällt nur dem auf, der es weiß. "Le vieux et la vieille" sitzen hinter einem Tisch mit den obligatorischen 13 Desserts, die nach dem Heilig-Abend-Festmahl serviert werden.

Krippenkunst in Vaterstetten: Der Schauspieler Fernandel als 'Don Camillo' stand Pate für die Figur des Priesters.

Der Schauspieler Fernandel als 'Don Camillo' stand Pate für die Figur des Priesters.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auch "Le curé", der Priester, ist ein wichtiger Bestandteil des Arrangements - wobei in diesem speziellen Fall der Schauspieler Fernandel, alias "Don Camillo", Vorbild für den tönernen Gesellen war. Er stammte aus Aubagne, ganz in der Nähe von Allauch. Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Denn die ursprüngliche Fernandel-Figur befand sich im Privatbesitz einer Familie, die dann aber aus Vaterstetten wegzog. "Darum hatten wir ein paar Jahre keinen Priester, ließen dann aber extra wieder einen anfertigen, weil so viele danach gefragt haben," weiß Ursel Franz zu berichten.

Krippenkunst in Vaterstetten: Dieser Bauer mit Gans war ein Geschenk an Georg Reitsberger zu dessen Bürgermeisterzeiten.

Dieser Bauer mit Gans war ein Geschenk an Georg Reitsberger zu dessen Bürgermeisterzeiten.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Solche kleinen Anekdoten gibt es zuhauf, alle mindestens ebenso schön wie der Anblick dieser mit so viel Liebe und Detailtreue gefertigten Frauen und Männer aus Ton. Betrachtet man sie genau, sieht man: Da sitzt jeder Pinselstrich in den sorgsam geformten Gesichtern, die alle ihre ureigene Mimik haben - inklusive Apfelwangen oder Stirnfalten. Da sind nicht nur die Oberbekleidungen bis zum Spitzenband einer Haube und den Knöpfen einer Bluse sorgsam gearbeitet, nein, manche Damen tragen unterm Unterrock sogar zusätzlich eine lange Unterhose. Und es fehlt nicht an Accessoires wie Melkschemel oder Gans, die Hinweise auf die jeweilige Profession liefern.

Es gibt also viel zu sehen und zu erleben rund um diese Krippe. Zunächst einmal wird feierlich Eröffnung gefeiert mit einer Matinee am ersten Advent, bei der man auch die sieben, zum Christkindlmarkt angereisten französische Komiteemitglieder treffen kann. Für musikalischen Genuss sorgen Sunny Howard (Violine), Ingrid Westermeier (Gitarre) und Sophie Pfaffenstaller (Harfe), für die Kulinarik ist der Verein zuständig.

Wer beim Krippenrätsel mitmacht, bekommt auf Wunsch Post

Eine Woche später findet die Führung "Les santons d'Allauch" statt mit französischen Produkten sowie einem, etwa 15 Minuten langen Film in eben dieser Sprache über die Santons und ihre Herstellung. Inge Mayer-Simon referiert zudem über die Geschichte und Bedeutung der einzelnen Figuren und berichtet, wie sie nach Vaterstetten kamen.

Auch das beliebte Krippenrätsel für Kinder darf nicht fehlen, vor allem, weil die Teilnahme auf Wunsch mit (handschriftlicher!) Post belohnt wird, was die Kinder in der Vergangenheit laut den Organisatoren sehr begeistert habe. Darüber hinaus sind zu den Öffnungszeiten stets Vertreter des Vereins anwesend, um Fragen zu beantworten. Und wer im Zeitraum der Krippenausstellung für 20 Euro Jahresbeitrag Mitglied wird, hat sogar die Chance, eine Allauch-Reise zu gewinnen.

Krippenkunst in Vaterstetten: Auch für Kinder ist die Allauch-Krippe ein Erlebnis, gerade weil es hier auch ganz unheilige Figuren wie den Gänsedieb zu entdecken gibt.

Auch für Kinder ist die Allauch-Krippe ein Erlebnis, gerade weil es hier auch ganz unheilige Figuren wie den Gänsedieb zu entdecken gibt.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Und sollte es beim Krippen-Besuch gar regnen, dann ist gut möglich, dass sich zu den vorgesehenen, beweglichen Special Features - sich drehende Windmühlenräder, sprudelnder Brunnen, Frau mit Kaffeemühle, hobelnder Schreiner und Olivenpresser mit aus Allauch eingeflogenem Olivenzweig - noch etwas Unverhofftes dazugesellt: Wasser im linken Bachlauf.

Musikalisch-kulinarische Krippenmatinee am Sonntag, 27. November, um 11 Uhr, Rathaus Vaterstetten. Keine Anmeldung nötig, Anzahl der Plätze begrenzt. Krippenführung mit Film am Sonntag, 4. Dezember, 11 bis 12.30 Uhr. Eintritt frei, Anmeldung über VHS Vaterstetten erforderlich. Ausstellungsende: 6. Januar 2023.

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