Varieté-Premiere im Grand Chapiteau:Nackter Spaß an der Apokalypse

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Explosive Schlagzeugkunst: Der Musiker Olivier Forest ist bei "Machine de Cirque" meist in die Akrobatik eingebunden. (Foto: Alexander Scharf)

Das hinreißend alberne und rhythmisch herausfordernde Weltuntergangsstück des Machine de Cirque zum Tollwood-Auftakt.

Von Michael Zirnstein

Fünf Männer, alleine auf der Erde, das kann ja heiter werden. Unklar ist, wie es zu dieser auf der Bühne nicht erläuterten Apokalypse gekommen ist. Wer seiner Fantasie auf die Sprünge helfen will: Das Öko-Festival Tollwood liefert auch in diesen Winter einschlägige Erklärungen von Klima bis Krieg, wie sich die Menschheit auslöschen könnte. Klar ist, was Kerle wie diese in so einer misslichen Lage anstellen werden: irgendwas mit Baumarkt, und irgendwelche Schweinereien.

Aber wie die fünf Artisten des Machine de Cirque aus Quebec im Gründungsstück der Kompanie - das nun zwei Wochen lang im Grand Chapiteau zu sehen ist und schon 2016 im Münchner GOP-Theater lief - ein Baugerüst und den letzten Nackedei auf Erden in Szene setzen, das ist schon ein genialer Schöpfungsakt. Da steht also nach dem großen Knall diese Maschine herum. Keine echte Maschine, die Menschen Arbeit abnimmt, wie die Luftumwälzanlage, die hier das Energiespargebot erfüllend warme Luft von der Zeltdecke nach unten in die Premieren-Publikums-Schichten ventiliert, was einigermaßen funktioniert (ein zweiter Pullover könnte helfen). Es ist eine Theater-Maschine, die Menschen körperliche Arbeit abverlangt. Man mag an Charly Chaplin im Zahnräderwerk von "Moderne Zeiten" denken oder an Jump-and-Run-Computerspiele, wo sich Männchen Ebene um Ebene emporkämpfen. Hier geschieht das wie im Parcours-Sport hangelnd und mit Schleuderbrettern: Je größer die Fallhöhe, desto größer der Aufschwung. Das ist in diesem Endzeitspiel Symbol für vieles, auch für das Artistenrisiko, das immer hoch ist; wobei hier akrobatische Spitzenleistung beiläufig erscheint - "ach, das war's schon", denkt man sich gerade zu Beginn bisweilen.

Mehr Baugerüst als Maschine: Die kanadischen Artisten hangeln sich am Gestänge empor. (Foto: Alexander Scharf)

Dass die Truppe zwei Weltrekordhalter hervorgebracht hat, nämlich zwei, die sich auf dem Teeterboard gegenseitig 101 mal mit einem Salto hochkatapultiert haben, wird eh nirgends erwähnt. Die Schleuderbrettnummer zum Finale ist zwar durchaus grandios, Schrauben und so weiter. Aber das wird hier nicht im Stile russischer Hauruck-Hasardeure zelebriert, sondern zackig abgefeuert und in einem finalen Bild der Balance - fünf Mann auf einem Wackelbrett - charmant ausgepustet.

Diese Kanadier sind eben keine Maschinenmenschen. Sie sind Abenteurer, Poeten, Clowns, Musiker. Da ist Olivier Forest, ein Duracell-Hase am Schlagzeug, eine One-Man-Blue-Man-Group, eine Ein-Mann-Stomp-Kompanie, ein Ein-Mann-Filmorchester, der auf teils gebastelten Instrumenten mit Geräuschen, Soundtrack, auch mal einem Space-Funk die Nummern rhythmisch scheinbar chaotisch so antreibt wie er sie ins Stolpern bringt. Oder Samuel Hollis, der Lustige, der pantomimisch eine Zuschauerin auf die Bühne, ins Restaurant und in die Disco abschleppt - die Mitartisten sind das Mobiliar. Auch Requisiten haben hier mehrere Ebenen, ein Metallgefäß kann Trinkglas, Percussion-Teil, Motorradgriff sein. Oder Eierbecher. Nicht, was Sie jetzt denken! Oder genau das, was Sie jetzt denken...

Denn im Übermut wird blank gezogen. Die vier Adams im Paradies schämen sich - auch ohne Evas und Erkenntnis - dann doch, greifen mangels Feigenblättern zu Handtüchern. So entwickelt sich ein hinreißend alberner Wettstreit darin, in 101 Arten sein Schwänzchen nicht zu zeigen. Gewinner ist gewiss nicht der, der sich am Ende das am kleinsten gefaltete Tuch vor den Schritt hält. Es wird Männer - und Frauen - geben, die dieses Verrenkungsballett zu Hause im Badezimmer nachstellen wollen. Obacht, da steht manch Beinbruch zu befürchten, aber ein Beinbruch ist kein Weltuntergang.

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