Landkreis Ebersberg:Gemeinsam besser?

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Infrastrukturprojekte wie der Park and Ride Parkplatz in Grafing zieht Lasten und Nutzen nach sich - wie lassen sie sich gerecht verteilen? (Foto: Christian Endt)

Wie kann man das Wachstum in der Region nachhaltig bewältigen? Das Projekt "Region ist Solidarität" analysiert mögliche Formen und Hindernisse interkommunaler Kooperation.

Von Merlin Wassermann, Ebersberg

Vor 50 Jahren veröffentlichte die gemeinnützige Organisation Club of Rome einen Bericht mit dem Titel "Die Grenzen des Wachstums". Darin zeigten Wissenschaftler auf, wie die Idee eines grenzenlosen wirtschaftlichen Wachstums den Planeten irgendwann an die Grenzen seiner Belastbarkeit bringen würde. Auch in Ebersberg, den anderen Landkreisen rund um München sowie in der Landeshauptstadt selbst setzt man sich intensiv mit Wachstum auseinander. Noch scheinen dessen Grenzen nicht erreicht zu sein, immer mehr Menschen, Firmen und damit auch Verkehr und anderweitige Infrastruktur kommen in die Region. Politiker und Verwaltungen stehen deswegen vor der Frage: Was sind die Lasten, und was die Nutzen dieses Wachstums? Und wie lassen sie sich gerecht verteilen? Um diese und weitere Fragen zu beantworten, wurde 2019 das Projekt "Region ist Solidarität" durch die Landkreise Ebersberg und Dachau sowie die Stadt München ins Leben gerufen.

Wie nutzt man Raum optimal?

"Ziel ist es, festzustellen, wie Raumnutzung aller Art am besten gestaltet werden kann", sagt Kristof Hofmeister. Er arbeitet im Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt und leitet das Projekt. Die Idee entstand auf der Wohnungsbaukonferenz 2017, wie sich Hofmeister erinnert: "Der Landrat Dachaus, Stefan Löwl, hatte damals festgestellt, wie schwer es selbst bei einem banalen Projekt - in diesem Fall ein Pendlerparkplatz - ist, festzustellen: Wer hat die Lasten, wer hat den Nutzen?"

Kristof Hofmeister arbeitet im Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt München und leitet das Projekt "Region ist Solidarität" (Foto: Privat)

Also beschloss man, mehr Klarheit zu schaffen. Der Dachauer Stadtrat beauftragte Hofmeister und sein Team, die Folgewirkungen der Raumnutzung unter die Lupe zu nehmen und Strategien der Kooperation für den Umgang mit ihnen zu entwickeln. Organisatorisch und inhaltlich werden sie dabei vom Deutschen Institut für Urbanistik begleitet. Vor kurzem wurde die erste Phase des Projekts abgeschlossen: eine Bestandsaufnahme und Bewertung der bestehenden Strukturen. Dafür wurden viele Vertreter aus Politik und Verwaltung der Kommunen und Landkreise befragt. Das Fazit: Es ist kompliziert.

Die Definition von Lasten und Nutzen ist nicht immer leicht

Das fängt bei der Definition dessen an, was Lasten und Nutzen überhaupt sind. "Normalerweise denkt man das monetär", so Hofmeister. Doch seien längt nicht alle Folgewirkungen in Zahlen darstellbar: "Ein neues Gewerbegebiet etwa bedeutet mehr Arbeitsplätze und Steuern, aber auch mehr Einwohner und damit mehr Verkehr, notwendige Kitaplätze, und so weiter." Letztere Elemente seien nicht klar zu beziffern. Dazu kommt, dass jedes Projekt seine ganz eigenen Folgen mit sich bringt, die Kosten und Nutzen also stets neu bewertet und ausgehandelt werden müssen.

Kathrin Alte, Bürgermeisterin Anzings, tauscht sich bereits viel mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus. (Foto: Christian Endt)

Kompliziert ist auch die Vernetzung der Kommunen. Zum Beispiel wurde Kathrin Alte, Bürgermeisterin in Anzing, für das Projekt befragt, und sie gibt ein Beispiel für die Interdependenzen im Verkehrsbereich: "Wenn in München in der Einsteinstraße eine Ampel kaputt geht, merken wir bei uns den Rückstau." Anzing allein kann dieses Problem also nicht lösen.

Viele Instrumente der Kooperation sind bereits vorhanden

Deswegen lautet das große Zauberwort zur Bewältigung des Wachstums: "Kooperation". So hat sich - um beim Beispiel Verkehr zu bleiben - nun die Ost-Allianz gegründet. Der Zusammenschluss von Gemeinden aus den Landkreisen Ebersberg, Erding und München sowie Stadtteilen der Landeshauptstadt vertritt gemeinsam Interessen im Bereich Verkehr und sucht Lösungen für interkommunale Probleme.

Dieses Jahr gründete sich mit der Ostallianz ein schlagkräftiger neuer Interessensverbund in der Region. (Foto: Sina-Maria Schweikle)

Als Musterbeispiel wird auch gerne die Ebersberger Kreis-Wohnungsbaugesellschaft angeführt, die der Landkreis gründete, obwohl er eigentlich gar nicht zuständig wäre. Doch auch kleinere Projekte leisten ihren Beitrag. "Interkommunale Kooperation gab es schon immer", so Alte. Sie hat beispielsweise die Abmachung mit Forstinning, dass sie die anfallenden Trauungen durchführt, während die Nachbarn das Standesamt leiten.

Kooperation ist nicht immer leicht herzustellen

Laut Kristof Hofmeister gibt es bereits viele, gute Instrumente für Zusammenarbeit - doch nicht immer seien sie bekannt oder würden optimal genutzt. Als Beispiel nennt er die interkommunalen Zweckverbände, wie sie zum Beispiel im Bereich Trink- und Abwasser oder ÖPNV zum Einsatz kämen. "In diesen Bereichen funktionieren die Zweckverbände ganz geräuschlos", sagt der Projektleiter. Allerdings erinnert er sich auch an die Planung eines multimodalen Verkehrsknotenpunkts, bei dem ein beteiligter Bürgermeister irgendwann schockiert die Hände über dem Kopf zusammenschlug, begleitet vom Ausruf: "Da brauchen wir ja einen Zweckverband!"

Als Grund für die Skepsis nennt Hofmeister unter anderem die Angst vor dem Unbekannten: Das Modell Zweckverband sei außerhalb der bereits gewohnten Aufgaben schlicht nicht bekannt. Hier würde er sich an manchen Stellen mehr Mut wünschen, ungewohnte Wege zu gehen. Verwaltungen aber seien mehr darauf aus, etwaige Hindernisse zu überprüfen, anstatt "einfach mal zu machen" und alle Ermessensspielräume auszunutzen. Auch Kathrin Alte kritisiert, dass es mitunter lediglich zu "Lippenbekenntnissen" komme, nach dem Motto: "Sollte man mal machen."

Hofmeister wünscht sich Kooperations-Lotsen

Zusätzlich würden oft Aufwand, Kosten sowie unterschiedliche Interessen eine Zusammenarbeit hemmen, sagt Brigitte Keller, Finanzmanagerin im Landratsamt Ebersberg. "Schwierig ist es dann, wenn der Vorteil des Einen zum Nachteil des Anderen wird." Der Bürgermeister Markt Schwabens, Michael Stolze (parteilos), merkt zudem an, dass man sich teilweise schwer damit tue, alte Strukturen hinter sich zu lassen, da diese auch die Identität eines Ortes mitprägten. "Jede Gemeinde hat zum Beispiel ihren eigenen Bauhof, obwohl die Maschinen oft dieselben sind und man sie nur manchmal braucht", so Stolze. Es könnte also durchaus sinnvoll sein, sie zu teilen.

Um mit der Komplexität interkommunaler Kooperation oder auch Problemen wie Fördermöglichkeiten, die schlicht unbekannt sind, besser umgehen zu können, schlägt Hofmeister Lotsen vor, die beim Freistaat angesiedelt wären. Sie könnten Kommunen beraten, die ein gemeinsames Projekt, wie eben einen Verkehrsknotenpunkt, realisieren wollen.

"Man kann viel von best-practice-Beispielen lernen", sagt Anzings Bürgermeisterin

Viel läuft allerdings schon gut. Sowohl Alte auch auf Hofmeister verweisen darauf, dass der bloße Informationsaustausch bereits eine niedrigschwellige, aber effiziente Form der Kooperation sein kann, die in vielen Foren gepflegt wird. "Man muss nicht immer das Rad neu erfinden", so die Anzinger Bürgermeisterin. "Man kann viel von best-practice-Beispielen aus anderen Kommunen lernen. Das kann die Vertragsform für ein Energieeffizienznetzwerk sein, ein Klimaschutzkonzept, aber auch schlicht, wie man einen Kindergarten finanziert." Von derartigem Austausch profitiere Anzing jetzt schon viel. Alte verweist dabei auch auf die Rolle der Pandemie, die den digitalen Austausch forciert habe, wovon die Kooperation im Landkreis nun profitiere.

In der zweiten Phase des Projekts, die bis Mitte 2023 läuft, werden nun an konkreten Beispielen Möglichkeiten ausgelotet, wie die interkommunale Kooperation verbessert werden kann. So soll etwa im Würmtal ein interkommunaler "Badebus" dabei helfen, die Region von Autoverkehr zu entlasten.

Für Kristof Hofmeister stehen die Zeichen gut, dass künftig in der Region München mehr zusammengearbeitet werden kann: Die Augenhöhe sei hergestellt, dazu geselle sich die Notwendigkeit. Sollte in Zukunft der gesellschaftliche Wohlstand abgebaut werden müssen, etwa aus Gründen des Klimaschutzes, könne dies bis zu einem gewissen Grad durch die Zusammenlegung von Aufgaben bewältigt werden.

Möglich sei jedoch auch, dass bei zunehmendem Wachstumsdruck und sinkendem Wohlstand jede Kommune und Region versuche, "ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen", so der Projektleiter. So hilfreich die Analysen von "Region ist Solidarität" also auch sein mögen: Letztendlich liegt es an den Akteuren in Politik, Verwaltung und Gesellschaft, sich für eine solidarische und nachhaltige Bewältigung des Wachstums einzusetzen, bevor dessen Grenzen erreicht sind.

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