Theater:Der Frosch der letzten Generation

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Operette der traurigen Tiere: "Die Rache der Fledermaus" am Thalia-Theater. (Foto: Krafft Angerer)

"Die Rache der Fledermaus": Die Regisseurin Anna-Sophie Mahler und der Autor Thomas Köck machen am Hamburger Thalia-Theater aus Johann Strauss' Operette einen dystopischen Abend über das Artensterben.

Von Till Briegleb

Die Rache der Fledermaus ist das Thema einer 1874 uraufgeführten Wiener Operette von Johann Strauss. Seit die Überzeugung entstand, dass die Covid-Seuche durch einen Virensprung von diesem Tier auf den Mensch begann, ist die "Rache der Fledermaus" aber auch Metapher für den Verteidigungskrieg der Natur gegen den Zweibeiner, der für seinen feisten Lebensstil die lebende Welt vernichtet. Aus diesem Berührungspunkt ein Drama zu entwickeln, ist eine originelle Verknüpfung, die jetzt am Hamburger Thalia-Theater mit einer Art Apokalette von Anna-Sophie Mahler herausgebracht wurde.

Der viel beschäftigte österreichische Poet defätistischer Prophezeiungen Thomas Köck hat dafür einen Text aus der Perspektive ausgerotteter Tierarten geschrieben, allerdings zum Zeitpunkt, an dem der Homo sapiens bereits dazugehört - als einzige Rasse aus eigener Blödheit. "Das Artensterben der Möglichkeiten findet bereits statt", heißt es darin rückblickend auf unsere Gegenwart: "Wir sind die Zeugen des Untergangs." Und weil der Mensch solche Einsichten nur schwer verdaut, beginnt darauf erst einmal: "Musik!"

Vorgetragen wird diese Rede im Geiste der "Letzten Generation" von einem "Harlekinfrosch" mit Heliumstimme in den letzten Minuten seines Lebens. Dieser wurde wohl aus dem Zellenschließer namens Frosch in Strauss' Operette inspiriert. Nur ist diese Amphibie, gespielt von einer froschecht maskierten Cathérine Seifert, gar keine Komikerin, sondern eine ziemlich todernste Zellenschließerin der Hoffnung. Als akut vom Aussterben bedrohte Gattung der Stummelfüßler hat der Harlekinfrosch eben nichts zu lachen, und deswegen kleben sich seine Einwürfe an den lustigen Maskenball bei Fürst Orlofsky skandalös fest und übergießen die Komödie mit Tiertodgeschichten.

Der Schleier der Beklemmung hebt sich kaum vom singenden Gaudium

Da auch die spaßigen Figuren aus Strauss' Untreue-Unterhaltung in Pascale Martins Kostümierung Tiermasken tragen (oder Tiere sind, das bleibt offen), kann sich der Schleier der Beklemmung kaum vom singenden Gaudium heben. Allein der brillant aufgelegte Felix Knopp als Hauptfigur Gabriel von Eisenstein zieht alle Register herrlichster Albernheiten, mit denen der Mensch sich vergessen macht, was für ein rücksichtloser Krieger der verbrannten Erde er eigentlich ist. Aber ansonsten gibt es in dieser Adaption des originalen Librettos, das sich mit der Rache für eine peinliche Bloßstellung beschäftigt, kaum lustige Szenen, Slapstick, Pointen oder Leichtigkeit.

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Mahlers sehr statische Regie rund um eine spiegelnde Treppentorte (Bühne: Katrin Connan) müht sich vielmehr sichtlich damit ab, eine schlüssige Verbindung zwischen dem hämischen Schmalz des Walzerkönigs und der schweren Botschaft herzustellen, was eigentlich nur einmal wirklich gelingt. Wenn Bühne und Saal gemeinsam den größten Gassenhauer singen, der aus der "Fledermaus" entstanden ist, wird plötzlich Doppelbödigkeit präsent. Denn der tolle Schlager "Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist", bei dem Strauss eine heilende Weisheit gegen depressives Grübeln um eine optimistische Melodie bereichert, klingt als Chor der ausgestorbenen Tiere aus der zukünftigen Perspektive einer entlebten Welt wie der blanke Hohn auf unsere Luxusgesellschaft, die ihre Augen vor dem drohenden Untergang verschließt.

Im Singen ist diese nicht mal zweistündige Rache an der ignoranten Zuversicht überhaupt auf der vitalsten Höhe. Gabriela Maria Schmeide und Victoria Trauttmansdorff als Rosalinde und Adele geben ihre Stücke aus der in alle Opernhäuser der Welt mäanderten Operette (übrigens erstmals an einem Opernhaus durch Gustav Mahler 1894 in Hamburg) mit Inbrunst, Schwermut oder Keckheit, wie sie die "Fledermaus"-Arien verlangen. Der amerikanisch-russische Schauspieler und Countertenor Odin Biron, der im Vorkriegsmoskau an Kirill Serebrennikows Gogol-Center gearbeitet hat, darf als Fürstenfuchs zwar nur exaltiert herumstolzieren, singt aber herzzerreißend.

Und Felix Knopp macht in jeder Szene Lust auf mehr Konzert, wären da nicht immer wieder die störenden Wahrheiten über die algerische Gazelle, die Pemperton-Hirschmaus und die Santa-Cruz-Reisratte, über die Himalajawachtel, den Känguru-Insel-Emu und den Kiritimati-Südseeläufer. Alle vom Mensch ausgerottet, für Schuhe, Steaks, Ackerland, Minen, Tourismus oder Städtebau. Dieser ständige Abstieg ins Tal der falschen Tränen wird am Ende durch Mozarts "Lacrimosa", gesungen vom Chor "Klub Konsonanz", zu einem echten Trauergesang auf den verödeten Planeten. Allerdings versöhnt das Requiem die nie wirklich verbundenen Teile dieses Inszenierungskonzepts nur durch Ergriffenheit. Und da summt es sich beim Verlassen dieser nachtaktiven Apokalette doch eher: Glücklich ist, wer vergisst, was nicht zu verstehen ist.

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