Italien:Immer wieder Ischia

Ischia: Das zerstörte Casamicciola, der Ortsname steht in Italien als Synonym für Unheil

Das zerstörte Casamicciola, der Ortsname steht in Italien als Synonym für Unheil.

(Foto: Vincenzo Izzo/IMAGO/Sipa USA)

Nach einem Erdrutsch sind acht Menschen tot, weitere werden vermisst. Und Italien diskutiert über Bausünden, die alle paar Jahre nachträglich legalisiert werden.

Von Oliver Meiler, Rom

Das Paradies hat sich in eine Hölle verwandelt. So beschreiben die Italiener den dramatischen Erdrutsch, der am Wochenende auf der Insel Ischia bei Neapel ein Stück Berg des Monte Epomeo ins Meer getragen hat. Und dabei Menschen mitriss, Häuser, Autos, alles wurde unter Schlammmassen begraben. Acht Personen wurden schon tot geborgen, zuletzt am Montag ein 15-Jähriger, einige werden noch vermisst. Es hatte davor stark geregnet. Und ja, der Klimawandel macht diese Starkregen noch stärker. Aber das erklärt höchstens einen Teil der Tragödie auf der isola verde, wie Ischia genannt wird. Sie ist größer und weniger glamourös als das nahe Capri und deshalb die neapolitanischste von allen, wie der Autor Roberto Saviano in seiner traurigen Hommage an "diese wunderschöne Insel zwischen Verzauberung und Albtraum" im Corriere della Sera schreibt.

Der Albtraum ist allerdings menschengemacht. Auch Renzo Piano, der berühmteste Architekt des Landes, mahnt seit vielen Jahren an, die durch Bausünden geschundene Natur müsse "geflickt" werden, genau hinhören mag aber niemand. Für illegale Bausünden ist Ischia eines der eklatantesten Symbole im ganzen Land, ein Mahnmal.

Italien: Ein Erdrutsch auf Ischia hat ein Stück des Bergs Monte Epomeo ins Meer getragen

Der Erdrutsch hat am Wochenende ein Stück Berg des Monte Epomeo ins Meer getragen.

(Foto: Ciro Fusco/IMAGO/ZUMA Press)

Alle wissen, dass Ischia auf vulkanischem Boden gebaut ist, der ist fragil und rutschig, er bewegt und verschiebt sich ständig. Casamicciola, der nun getroffene Ort im Norden der Insel, ist dermaßen gezeichnet von Katastrophen, dass es in Neapel den Ausspruch gibt: "Es ist eine Casamicciola passiert" - der Name steht als Synonym für Unheil. 1883 wurde Casamicciola von einem Erdstoß fast ganz zerstört: 2313 Tote, 80 Prozent der Häuser waren eingestürzt. 1910 gab es dann einen Erdrutsch, der bis ins Detail an den jüngsten erinnert.

Auf Ischia wurde gebaut, als gäbe es kein Morgen, auch an den riskantesten Orten

Nun, Erdbeben sind nicht vorhersehbar, Erdrutsche schon eher. Insgesamt aber gilt: Auf Ischia wäre es wichtig, wenn die Behörden genau hinsehen würden, wo und wie gebaut wird - für den Schutz der Menschen, die da leben, etwa 60 000, und derer, die da Ferien machen. Die Touristen wurden immer mehr, die schöne Insel verhieß, ein großes Geschäft zu werden, nicht mehr nur eine Destination für Kenner und Neapolitaner, für Ärztekongresse und Kuren in Thermalbädern. Sondern regelrechter Massentourismus. Und so wurde gebaut, wie es gerade kam, buchstäblich als gäbe es kein Morgen. Überall, auch an den riskantesten Orten, etwa an den Abhängen des Monte Epomeo. Und jedes Haus sollte natürlich mindestens eine Terrasse mit freier Sicht aufs Mittelmeer haben, Wald verschwand und machte Beton Platz.

Die chronisch langsame Bürokratie kam nicht nach mit allen Bewilligungen, so baute man eben einfach ohne - illegal also. Aber illegales Bauen ist in Italien ein dehnbarer Begriff. So richtig illegal ist es nämlich nicht, wenn es alle paar Jahre eine "sanatoria" gibt, eine Heilung also. So nennt man das, wenn der italienische Staat mit einem großen und generösen Handstreich ein Vergehen vergibt, etwa gegen das Finanz- oder Bauamt, und damit seine eigene Unzulänglichkeit einräumt.

Auf Ischia gab es über die Jahre drei solcher Erlasse: 1984, 1994 und 2018. Der letzte geht auf das erste Kabinett von Giuseppe Conte zurück, als die Protestpartei Cinque Stelle und die rechte Lega gemeinsam regierten. Conte will davon nichts mehr wissen, das sei keine Bauamnestie gewesen, sagte er im Fernsehen. In den sozialen Netzwerken zirkulierte aber schon der Auszug aus seinem Gesetzesdekret, da steht alles Schwarz auf Weiß. Nun steht Conte in der Kritik, man nennt ihn einen Heuchler.

Nicht alle Legalisierungsgesuche kommen durch. Auf Ischia etwa verfügten die Behörden in mehreren Tausend Fällen, dass Häuser, An- und Aufbauten wieder abgerissen werden müssten, weil sie allzu offensichtlich allem spotteten: der Statik, der Natur, dem guten Menschenverstand. Nur: Abgerissen wurde bisher gar nichts.

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