Migrationspolitik:So viele Menschen bürgert Deutschland jährlich ein

Migrationspolitik: Bisher muss man acht Jahre in Deutschland wohnen, um einen Pass zu bekommen. Bald könnte diese Frist kürzer werden.

Bisher muss man acht Jahre in Deutschland wohnen, um einen Pass zu bekommen. Bald könnte diese Frist kürzer werden.

(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Die Staatsbürgerschaft werde verramscht, Deutschland schiebe zu wenig ab, andere Länder seien strenger: Rund um die geplante Reform des Einbürgerungsrechts kursieren viele Behauptungen. Ein Faktencheck in Zahlen und Grafiken.

Von Leopold Zaak

In ihrem Koalitionsvertrag haben die Parteien der Ampelregierung sich darauf verständigt, das Einbürgerungsrecht zu reformieren. Ziel sei es, der "gesellschaftlichen Wirklichkeit Rechnung zu tragen", heißt es dort auf Seite 6. Innenministerin Nancy Faeser hat nun einen Entwurf vorgelegt, der die Eckpunkte eines neues Gesetzes enthält.

Die wichtigsten geplanten Neuerungen: Anders als bisher sollen Einwanderer bereits nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen können, bei "besonderen Integrationsleistungen" sogar schon nach drei. Derzeit liegt die Frist dafür bei acht Jahren. Ziel der Reform ist es zudem, "Mehrstaatigkeit generell zuzulassen", wie es in dem Entwurf des Innenministeriums heißt. In Deutschland gilt bisher der Grundsatz, zwei oder mehrere Staatsbürgerschaften zu vermeiden.

Diese und weitere geplante Änderungen im Einbürgerungsgesetz stoßen in der Opposition, aber auch beim Koalitionspartner FDP auf Kritik. Deutschland "verramsche" seine Staatsbürgerschaft, heißt es aus der Union, das Innenministerium müsse erst mal Tempo bei Abschiebungen von ausreisepflichtigen Menschen machen, kritisiert die FDP. Wie sieht es bei der Einwanderung wirklich aus? Ein Faktencheck zu den wichtigsten Streitpunkten mit Zahlen und Grafiken.

"Verramscht" Deutschland seine Staatsbürgerschaft?

Ein Blick in die Statistik zeigt: In den vergangenen Jahren stagniert die Zahl der Einbürgerungen. Lediglich der Brexit 2019 und die Einbürgerung vieler Syrer im Jahr 2021 sorgten für zwei Ausschläge nach oben.

Mit einer Verkürzung der Frist zur Einbürgerung auf fünf Jahre läge Deutschland international im Trend: In den USA, in Frankreich und in den Niederlanden kann man nach fünf Jahren Staatsbürger werden. In Australien ist das bereits nach vier Jahren möglich, in Kanada sogar schon nach drei. CDU-Chef Friedrich Merz hatte dem Vorschlag der Bundesregierung entgegnet, andere Staaten seien bei Einbürgerungen deutlich strenger. Dies trifft zumindest auf Fristen eher nicht zu.

Der Chef der CSU-Landesgruppe, Alexander Dobrindt, wirft der Regierung vor, mit der Neuerung würde die deutsche Staatsbürgerschaft "verramscht". Bislang liegt Deutschland im EU-Vergleich im hinteren Drittel, was die Zahl der Einbürgerungen angeht. 2020 wurden 1,1 Prozent der in Deutschland lebenden Ausländer eingebürgert. In Ländern mit geringeren Fristen sind die Zahlen teils deutlich höher.

Der Umkehrschluss aber, wonach strengere Einbürgerungsregeln zu einer niedrigeren Quote führt, trifft mit Blick auf Italien schon mal nicht zu. Dort muss man als Nicht-EU-Ausländer im Regelfall zehn Jahre am Stück in der Republik gewohnt haben, um einen Pass zu bekommen. Mit solchen Fristen steht Italien nicht im Verdacht, es Ausländern besonders leicht zu machen beim Erhalt der Staatsbürgerschaft. Und dennoch war es im Jahr 2020 das EU-Land mit den meisten Einbürgerungen (131 800).

Handelt es sich bei der erleichterten Einbürgerung um einen "Pull-Faktor"?

Merz und Dobrindt warnen davor, dass die geplante Reform des Staatsbürgerschaftsrechts zu mehr illegaler Migration und zu einer "Einwanderung in die Sozialsysteme" führe. In der Migrationsforschung wird das Konzept der Push- und Pull-Faktoren aber stark in Zweifel gezogen. Es besagt, dass negative Umstände wie Kriege und Umweltkatastrophen Menschen aus ihrem Herkunftsland drängten (push). Positive Anreize in anderen Ländern wie zum Beispiel Arbeitsplätze oder höhere Lebensstandards zögen demnach Menschen an (pull). Experten gehen allerdings davon aus, dass kulturelle Nähe und soziale Kontakte bei der Auswahl des Ziellandes eine deutlich größere Rolle spielen als die Aussicht auf Sozialleistungen. So leben etwa die meisten syrischen Flüchtlinge in den angrenzenden Staaten Türkei, Jordanien, Libanon, Irak und Ägypten.

In Deutschland gilt der Grundsatz: doppelte Staatsbürgerschaften vermeiden. Aber wird der auch eingehalten?

Der Grundsatz hat eine Einschränkung: Staatsangehörige eines anderen EU-Staates oder der Schweiz können bei einer Einbürgerung etwa ihre französische oder italienische Staatsbürgerschaft behalten. Wie viele Menschen in Deutschland Mehrstaater sind, lässt sich nicht genau sagen, weil die Zahl nirgends erfasst wird. Der Zensus von 2011 gibt 4,3 Millionen Menschen an, die neben der deutschen noch eine weitere Staatsbürgerschaft besitzen, im Mikrozensus von 2021 sind es lediglich 2,6 Millionen.

Der im deutschen Recht festgelegte Grundsatz wird jedoch in vielen Fällen nicht mehr angewendet. Dem Statistischen Bundesamt zufolge durften 2020 etwa 65 Prozent der neu Eingebürgerten ihren alten Pass behalten. Auffällig dabei sind die regionalen Unterschiede, die bei der Mehrstaatigkeit gemacht werden: Menschen aus den USA oder Südamerika müssen in den allermeisten Fällen ihre bisherige Staatsbürgerschaft nicht aufgeben, anders als etwa türkische oder afrikanische Einwanderer. Von den im Jahr 2020 Eingebürgerten aus der Demokratischen Republik Kongo und Ghana etwa durften nur rund acht Prozent ihre Staatsbürgerschaft behalten, bei Menschen aus der Türkei waren es zehn Prozent. Anders sieht es wiederum bei syrischen oder iranischen Staatsbürgern aus: Hier ist es oft nicht möglich, die Staatszugehörigkeit aufzugeben.

Wird in Deutschland wirklich so wenig abgeschoben?

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai wirft Innenministerin Faeser vor, der Entwurf komme zur falschen Zeit: Zunächst müsse der Staat mehr Tempo bei Rückführungen machen, sagt er. Die Grünen entgegnen, das Defizit sei gar nicht so groß.

Tatsächlich ist die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland in den vergangenen beiden Jahren stark zurückgegangen. Zwischen 2015 und 2019 wurden jährlich zwischen 20 000 und 25 000 Menschen aus Deutschland in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt - 2020 waren es 10 800, im vergangen Jahr knapp 12 000. Grund dafür war dem Innenministerium zufolge die Corona-Pandemie. Viele Länder hatten die Regeln zur Einreise verschärft, einige den Flugverkehr stark eingeschränkt. Derzeit sind in Deutschland nach Spiegel-Informationen etwa 300 000 Menschen ausreisepflichtig, die meisten von ihnen besitzen jedoch eine Duldung. Laut der Parlamentarischen Geschäftsführerin der Grünen, Filiz Polat, sei aber die Zahl derer, die tatsächlich abgeschoben werden könnten, viel niedriger. Nur 18 000 Menschen hätten einen abgelehnten Asylantrag ohne Duldung.

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