Kognitionsforschung:Die Blumen des Bösen

Kognitionsforschung: Schöne Dinge gleichen sich oft. Hässlich aber kann man auf sehr unterschiedliche Arten sein - wie hier Brunnenfiguren am Münchner Ostfriedhof.

Schöne Dinge gleichen sich oft. Hässlich aber kann man auf sehr unterschiedliche Arten sein - wie hier Brunnenfiguren am Münchner Ostfriedhof.

(Foto: Claus Schunk)

Wörter mit negativer Bedeutung haben sich im Laufe der Sprachevolution besonders rasch ausdifferenziert. Warum der Mensch offenbar kreativer schimpft als lobt.

Von Sebastian Herrmann

Das Böse, das Finstere, Üble, Gemeine, Bittere, Abgründige, Schlechte oder sonst wie Negative kann besondere Vielfalt für sich reklamieren. Im Englischen zum Beispiel existieren 66 Prozent mehr Wörter für miese Emotionen als für gute Gefühle. Und wenn englische Muttersprachler einen Menschen mit unangenehmer Persönlichkeit beschreiben, können sie dabei auf ein um 77 Prozent umfangreicheres Vokabular zurückgreifen, als wenn sie über eine Personen mit sonnigem Gemüt sprechen. Das Schlechte kennt mehr Gesichter, mehr Variationen als das Gute. Seit langem ist das in der Psychologie bekannt. Nun zeigen Wissenschaftler um Joshua Conrad Jackson von der Northwestern University, dass sich der Strauß des Negativen auch während der Entwicklung beziehungsweise Evolution von Sprachen besonders breit und rasch aufgefächert hat. Wörter, insbesondere Adjektive, veränderten sich demnach dann besonders schnell, wenn sie von negativer Valenz sind, also schlechte Gefühle beschreiben, ausdrücken oder gar auslösen.

Der Kernfrage der Studie im Fachjournal Nature Human Behaviour ist, inwiefern kognitive und affektive Faktoren lexikalische Evolution befeuern könnten. Dazu werteten die Forscher Daten aus der indogermanischen Sprachfamilie aus und wühlten sich sinnbildlich durch einen Sprachstammbaum, der sich über einen Zeitraum von fast zehn Jahrtausenden erstreckt. Viele Wörter in den Sprachen dieser Familie haben sich aus einem gemeinsamen Stamm oder wenn man so will: aus einem gemeinsamen Vorfahren entwickelt. Ein Beispiel, das die Forscher anführen: Gut auf Deutsch und Good auf Englisch rühren von einem gemeinsamen Ursprung her. Das Positive ähnelt sich in diesem Beispiel stark. Anders das Antonym: Schlecht und Bad unterscheiden sich stark.

Womöglich reden Menschen grundsätzlich lieber über Schlechtes

Das Team um Jackson analysierte nun die Entwicklung von Wörtern auf Englisch, Spanisch, Polnisch und Niederländisch. In allen vier Sprachen fand sich eine vergleichbare Korrelation. Wörter von negativer emotionaler Bedeutung wurden mit größerer Häufigkeit von neuen Begriffen mit ähnlicher Bedeutung ersetzt beziehungsweise erweitert. Dieser Zusammenhang galt in allen vier Sprachen für Adjektive. Für Verben war der Mechanismus weniger klar und im Fall von Nomen nicht vorhanden. In einer weiteren experimentellen Studie ließen die Forscher Probanden einen fiktiven englischen Dialekt entwerfen und modifizieren. Auch dabei wandelten sich Wörter von negativer Bedeutung im Vergleich besonders rasch auch hier vor allem Adjektive.

Womöglich beschreiben die Forscher jenen Mechanismus, der die besondere Vielfalt negativer Beschreibungen angetrieben hat. Warum das aber so ist, und weshalb die Menschen offenbar quer durch die Jahrhunderte mit ausgeprägter Lust ihre Beschreibungen schlechter Dinge verfeinert haben, darüber lässt sich nur spekulieren. Eine mögliche Triebkraft könnte sein, dass Menschen generell einen stärkeren Antrieb haben, schlechte Ereignisse zu beschreiben. Rückschlage provozieren einen ausgeprägteren Drang, sie zu erklären und zu deuten. Negative Informationen wecken generell höhere Aufmerksamkeit, wirken glaubwürdiger und relevanter als gute.

All das könnte Antrieb sein, schlechte Ereignisse, böse Menschen und andere Unannehmlichkeiten mit erhöhter Präzision und Granularität zu beschreiben. Zugleich ist aus Studien bekannt, dass negative Informationen besonders kritisch begutachtet und abgeklopft werden. Auch dafür könnte besonders fein ausdifferenziertes sprachliches Instrumentarium hilfreich sein.

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