SZ-Adventskalender:Viel Bescheidenheit, keine Beschwerden

SZ-Adventskalender: Seine Rente ist ohnehin schon sehr klein, seitdem die Preise immer weiter ansteigen, kommt Georgi P. damit nicht mehr über den Monat.

Seine Rente ist ohnehin schon sehr klein, seitdem die Preise immer weiter ansteigen, kommt Georgi P. damit nicht mehr über den Monat.

(Foto: IMAGO/gpointstudio)

Georgi P. hat in Bulgarien als Ingenieur gearbeitet - in Deutschland ging er jahrelang abends putzen, tagsüber pflegte er seine schwerkranke Frau und deren Adoptivsohn. Obwohl seine Rente kaum zum Überleben reicht, ist der 78-Jährige sehr dankbar und engagiert sich ehrenamtlich.

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Von einem hat Georgi P. (Name von d. Red. geändert) viel: Bücher. Die Regale an der Stirnseite des kleinen Wohnraums seiner Wohnung sind voll damit: Romane, Bildbände, Wörterbücher, Lexika - es sind die unterschiedlichsten Buchrücken in verschiedenen Sprachen, die aus den Regalen hervorblitzen. "Ich bin eine richtige Leseratte." Der 78-Jährige lacht, als er das sagt. Er stellt sich vor seine Bücher und zieht drei von ihnen hervor. Die letzten, die er gelesen hat. Eine russischsprachige Ausgabe eines Werks von Fjodor Dostojewski. Eine deutsche Übersetzung von "Zeit und Zuflucht" des bulgarischen Schriftstellers Georgi Gospodinow. Und ein Buch des deutschen Wortakrobaten Axel Hacke.

Georgi P. ist reich an Worten und Sprachen - aber der Reichtum hat seine Grenzen: Mit seiner kleinen Rente kam der 78-Jährige bislang gerade einmal so über den Monat, wegen der gestiegenen Lebensmittelpreise reicht sie nun eigentlich nicht mehr.

1944 wurde Georgi P. in Bulgarien geboren. Mit 18 absolvierte er sein Abitur, mit 23 schloss er sein Studium ab. Fortan arbeitete er als Ingenieur für Elektrotechnik an verschiedenen wissenschaftlichen Instituten. Für bulgarische Verhältnisse hatte er ein recht gutes Einkommen, finanzielle Schwierigkeiten hatte er nie. Die sollten erst viele Jahre später kommen - denn in Deutschland war weder seine Ausbildung viel wert noch ist es die Rente, die er aus seinen bulgarischen Berufsjahren erhält.

Mit 19 traf Georgi P. seine erste große Liebe

Georgi P. heiratete, bekam zwei Kinder, irgendwann folgte die Scheidung. Und dann trat per Zufall auf einmal wieder seine erste Liebe in sein Leben. Als 19-Jähriger hatte er sie über ein Austauschprogramm eines serbischen und eines bulgarischen Akkordeonorchesters kennengelernt. Sie verliebten sich, aber verloren sich schließlich wieder aus den Augen. Bulgarien und Serbien, fast 600 Kilometer voneinander entfernt, das war Anfang der 1960er-Jahren eine zu große Distanz für eine Beziehung.

Seit vielen Jahren schon lebte Georgi P.s erste Liebe in Deutschland, sie arbeitete als Musikprofessorin. Der 78-Jährige folgte ihr 1995. Zusammen mit ihr und ihrem Adoptivsohn lebte er als glückliche Familie zusammen, seit 2001 im Landkreis Ebersberg. Bis seine Frau krank wurde. Nach nur zwei Jahren war sie auf einen Rollstuhl angewiesen, sie konnte nicht mehr arbeiten. Georgi P. kümmerte sich um sie und ihren Adoptivsohn - als Epileptiker war er auf Unterstützung im Alltag angewiesen. Abends machte er sich auf zur Arbeit, er ging putzen. 2011 starb seine Frau. Ein Jahr später ihr Adoptivsohn, um den sich der 78-Jährige weiterhin gekümmert hatte.

Georgi P. ist ein bescheidener Mann. "Ich bin sehr zufrieden." Immer wieder betont er, wie gerne er in Deutschland lebt, wie froh er über die medizinischen Versorgungsmöglichkeiten ist - ohne die wäre er vielleicht nicht mehr hier. Vor zwei Jahren erhielt er eine Krebsdiagnose, seit einigen Jahren hat er eine schwere Lungenkrankheit.

Das ist nichts, was Georgi P. einfach so erzählt. Man muss schon beharrlich nachfragen, um das zu erfahren. Dass er wegen der steigenden Preise gegen Ende des Monats oft nicht mehr weiß, was er die übrigen Tage überhaupt noch essen kann, klingt bei ihm so: "In letzter Zeit ist es ein bisschen knapp."

Früher besuchte der 78-Jährige Klassikkonzerte, jetzt kann er sich kein Ticket mehr leisten

Als er seinen Laptop, mit dem er mit seiner Familie per Video telefoniert, gekauft hat, lebte seine Frau noch - vieles funktioniert nicht mehr. Er zuckt mit den Schultern. Schon möglich, dass er ihn deshalb nicht mehr so viel benutzt wie früher. So schrieb er zum Beispiel ein 70-seitiges Buch über die deutsche Grammatik, als er gerade einen Deutschkurs besuchte. Statt über der Tastatur brütet er nun eben häufig über Sudoku-Rätseln. Auch abends, wenn er früher ab und zu Kulturveranstaltungen besuchte, für die es bei der Tafel vergünstigte Tickets gab. Am meisten freute er sich auf klassische Konzerte. Mittlerweile gibt es das nicht mehr, Karten zu regulären Preisen liegen weit über seinem Budget.

Georgi P. ist keiner, der sich beschwert. Er habe doch ein Dach über dem Kopf, alles also nicht so wild.

Viel lieber wolle er etwas zurückgeben, sagt er. Vor Corona, als die Tafel in seinem Wohnort noch ab und an Feste veranstaltete, hat er für die Gäste Akkordeon gespielt. Und seit Jahren schon arbeitet er beim Landratsamt im ehrenamtlichen Dolmetschernetzwerk.

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