Entwicklungshilfe:Die Fuggerei der Zukunft

Entwicklungshilfe: Rugiatu Neneh Turay (links) und Stella Rothenberger legen gemeinsam in Rothumba in Sierra Leone den Grundstein für eine Schule und ein Berufsbildungszentrum.

Rugiatu Neneh Turay (links) und Stella Rothenberger legen gemeinsam in Rothumba in Sierra Leone den Grundstein für eine Schule und ein Berufsbildungszentrum.

(Foto: Pfefferminz Green)

Die älteste Sozialsiedlung der Welt will ihre Idee in die Welt tragen: In Sierra Leona soll ein nachhaltiges Dorf entstehen - das ganz anders ist als das Augsburger Vorbild.

Von Florian Fuchs, Augsburg

Rothumba ist ein wunderschöner Flecken Erde, findet Stella Rothenberger. Der Strand, das Meer, die Palmen. Die Schönheit relativiert sich allerdings, wenn man die Probleme kennt: kaum Infrastruktur, kaum eine Chance auf Bildung und Einkommen - Sierra Leone gehört zu den zehn ärmsten Ländern der Welt. Rothenberger und ihre Nicht-Regierungsorganisation (NGO) Pfefferminzgreen will gemeinsam mit ihrer Partnerin vor Ort, Rugiatu Neneh Turay, daran etwas ändern, es gibt einen Zehn-Jahresplan für die Entwicklung der Region, der zumindest aus Augsburger Sicht unter dem Label "Fuggerei der Zukunft" läuft. Die Idee der ältesten Sozialsiedlung der Welt, Menschen ein Leben in Würde und Selbstbestimmtheit zu ermöglichen, soll auch die Leitlinie für das Projekt in Sierra Leone sein.

500-jähriges Bestehen hat die Fuggerei in diesem Jahr gefeiert. Zum Jubiläum wollten die Verantwortlichen den Gründungsgedanken der Fuggerei wieder aufleben lassen: "In Exemplum" hat Jakob Fugger die Sozialsiedlung vor 500 Jahren ins Leben gerufen, also durchaus zum Nachahmen. In Litauen soll ebenfalls ein Projekt entstehen, in Sierra Leona geht es nun tatsächlich los mit der Grundsteinlegung für einen Schulbau.

Wobei es Rothenberger und auch dem Stiftungsratsvorsitzenden der Fuggerei, Alexander Erbgraf Fugger-Babenhausen, wichtig ist zu betonen, dass sich die nachhaltige, soziale Siedlung in Rothumba zwar am ideellen Gedanken der Fuggerei orientiert. Das Konzept kann aber nicht einfach eins zu eins in andere Teile der Welt übertragen werden. "Wir brauchen individuelle Lösungen, die zur Lage vor Ort passen", sagt Rothenberger.

Ausgangsfrage war also, wie eine lokale Fuggerei in Sierra Leone aussehen könnte. Rugiatu Neneh Turay ist ins Dorf gefahren und hat gefragt, was die Einheimischen brauchen. "Bottom up" nennt Rothenberger ihren Ansatz. Entwicklungshilfe im herkömmlichen Sinn funktioniere nicht, das Projekt soll den Menschen helfen, sich selbst zu helfen. Also haben die Dorfbewohner ihre Bedürfnisse aufgezählt, die dann in einer Prioritätenliste einflossen. "Es nützt ja nichts, wenn wir ein Krankenhaus bauen, dann hat aber niemand Geld, um sich die medizinische Versorgung leisten zu können", sagt Rothenberger.

Also ist der Zehn-Jahresplan in drei Phasen aufgeteilt: In der ersten Phase erhalten die Menschen kleine, zinslose Kredite, es wird eine Schule gebaut und ein Berufsbildungszentrum. Sobald die Menschen mehr Einkommen erzielen und bessere Bildung genießen, soll die Infrastruktur vorangebracht werden: bessere Straßen, Solaranlagen, Elektrizität. In dem Fischerdorf braucht es vernünftige Bootsanlegestellen, und erst wenn die Entwicklung vorangeschritten ist, so der Plan der lokalen Organisation vor Ort, könne auch an Themen wie ein Krankenhaus gedacht werden.

Die Orts- und Fachkenntnisse der beiden Stifterinnen seien entscheidend, sagt Fugger-Babenhausen, "damit die Menschen ihre Lebensumstände aus eigener Kraft verbessern können und somit ein selbstbestimmtes Leben in Würde führen können". 4000 Menschen in Rothumba und den umliegenden Dörfern sollen profitieren, im Fokus stehen die Lebensbedingungen von Frauen und Mädchen. Die DNA des 500-jährigen Stiftungskonzepts der Fuggerei werde so international in die Welt getragen, hofft Fugger-Babenhausen. Die Fuggerei soll auch dabei helfen, Menschen zu finden, die das Projekt in Sierra Leone unterstützen, so wie es in der ersten Phase nun das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung macht.

Entwicklungshilfe: Vor 500 Jahren ließ der Kaufmann Jakob Fugger die Sozialsiedlung in Augsburg bauen. Bis heute finden dort Menschen eine Bleibe für 88 Cent Jahresmiete.

Vor 500 Jahren ließ der Kaufmann Jakob Fugger die Sozialsiedlung in Augsburg bauen. Bis heute finden dort Menschen eine Bleibe für 88 Cent Jahresmiete.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Kulturadäquat soll das Projekt sein, sagt Rothenberger. Beim zweiten geplanten Projekt einer Fuggerei der Zukunft in Litauen etwa geht es nicht darum, wie in Sierra Leone die Grundbedürfnisse der Menschen zu stillen. Der Stifter dort will eine Siedlung entstehen lassen, die Rentnern eine sichere Heimat bietet, wo aber dennoch auch jüngere Generationen zu Hause sind. Es ist der Versuch, Konzepte für eine alternde und ebenfalls arme Gesellschaft zu finden.

Für 88 Cent Jahresmiete haben Augsburger noch heute die Möglichkeit, in der Fuggerei eine Bleibe zu finden, auch wenn sonst das Geld knapp ist. Sie finden dort aber auch Raum, auf vielfältige Weise wieder Fuß zu fassen im Leben, nicht nur durch ein günstiges Dach über dem Kopf. Die Idee hat 500 Jahre überdauert, weil sie auf die örtlichen Bedürfnisse zugeschnitten ist, heute wie damals. In Sierra Leone hoffen sie, mit ihren auf die dortige Situation zugeschnittenen Lösungen ein ähnlich nachhaltiges Projekt angestoßen zu haben.

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