SZ-Adventskalender:Der harte Kampf, ein neues Leben aufzubauen

Lesezeit: 2 min

Lernen und Leben auf kleinstem Raum: Izdehar H. ist seit ihrer Flucht aus Syrien in Wohnungslosenunterkünften der Stadt zuhause. (Foto: Robert Haas)

Seit Izdehar H. vor sieben Jahren aus Syrien nach München geflohen ist, kämpft die alleinstehende Frau um ihre Unabhängigkeit von staatlicher Unterstützung. Was sie alles versucht, um endlich aus der Wohnungslosenunterkunft rauszukommen.

Von Andrea Schlaier

Es könnte an der Aufregung liegen, dass Izdehar H. so viel lacht. An der Nervosität, ein Gespräch auf Deutsch zu führen, der Sprache, für die sie seit Jahren Vokabeln und Grammatik büffelt. Und doch hat sie "Angst, ein schlechtes Wort zu sagen", mit dem sie ihr Gegenüber kränken könnte. Oder an der Aufregung über sich und ihr Leben, ihre Bedürftigkeit zu sprechen. Die 54 Jahre alte Syrerin will eigentlich nicht um Hilfe bitten. Sie will sich selbst helfen. Zurzeit ist das eine noch größere Herausforderung als die letzten Jahre ohnehin schon.

Mit Hilfe von Krücken schafft es die kräftige Frau mit Müh und Not vom Auto, das sie grade nach einem Arztbesuch vor den Pavillons ablädt, hinein auf die Kante des Bettes in ihrem nicht mehr als acht Quadratmeter großen Zimmer. Vor wenigen Wochen ist Izdehar H. beim Aussteigen aus dem Bus auf die Knie gefallen, die nun so lädiert sind, dass sie um eine OP nicht herumkommen wird. Ausgerechnet. Der Unfall zerschießt ihre nächsten Pläne. Die kräftige Frau bereitet sich auf die B2-Sprachprüfung vor, mit der in der Tasche könnte sie eine Ausbildung zur Pflegehelferin in Angriff nehmen, trotz ihrer Lungenerkrankung und dem hohem Blutdruck. Ihr Traumjob. Daheim in Syrien hat sie die zuckerkranke Mutter bis zum Tod gepflegt, in München ein Krankenhauspraktikum absolviert. Und mit einer Arbeitsstelle, wer weiß, würden vielleicht endlich auch ihre Chancen auf eine eigene Wohnung steigen.

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Seit sie Ende 2015 aus Daraa im Südwesten Syriens mit einem Teil der Familie geflohen und in München gelandet ist, lebt die alleinstehende Frau in Notunterkünften. Sieben Jahre in Gemeinschaftsherbergen, immer in Mehrbettzimmern, nie ein eigenes Bad, eine eigene Küche, einen privaten Raum. "Das ist schwer", sagt die 54-Jährige. Und lacht. Seit zweieinhalb Jahren ist sie inzwischen in der Wohnungslosenunterkunft im Münchner Norden. Bett, Tisch, zwei Stühle, Schrank. Bis vor Kurzem hat sie sich das Zimmer im niedrigen Pavillon mit einer anderen Frau geteilt. Nur ein blankes Bettgestell ohne Matratze zeugt noch von der Nachbarschaft. Die Mitbewohnerin ist eben ausgezogen. "War nicht einfach", sagt H. Die Frauen hatten einen unterschiedlichen Tagesrhythmus.

Ihre Krücken hat sie neben sich an den Tisch gelehnt. "Bis zur Toilette ist es eine Wanderung." Die liegt am Ende des langen Flurs, und auch die Küche ist nicht ums Eck. Weil die Strecken für sie im Augenblick kaum machbar sind, verbringt die 54-Jährige viel Zeit bei einem Bruder, der in München in einer Ein-Zimmer-Wohnung lebt. Drei andere Brüder sind in Landsberg, Frankfurt und Berlin untergekommen. Familie in Deutschland, "das ist gut", sagt sie.

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Wie oft sich Izdehar H. schon für eine Sozialwohnung beworben hat? Kann sie nicht mehr zählen. Der Mangel gerade auch an Angeboten für Alleinstehende ist eklatant. Aber sie will nicht klagen. Stattdessen, das lässt ihre Bezirkssozialarbeiterin wissen, absolviere H. eine Qualifizierungsmaßnahme nach der anderen: EDV, Rechnungswesen und was nicht alles. Die 54-Jährige will endlich von staatlicher Unterstützung unabhängig werden. Dass sie mit dem Hartz IV-Geld, das sie bezieht, grade so über die Runden kommt - sie wolle darüber nicht klagen. Aber wenn sie sich was wünschen dürfte, wären's ein Wintermantel und ein Laptop, der das Lernen leichter und manche bürokratischen Wege kürzer macht. "Außerdem liebe ich zu schreiben und zu lesen." Ein guter Grund für Izdehar H. zu lachen.

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