"Letzte Generation":Streit um Präventivhaft

"Letzte Generation": Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei der Innenministerkonferenz in München.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei der Innenministerkonferenz in München.

(Foto: Andreas Gebert/Reuters)

Einsperren oder nicht? Die Innenminister der Länder diskutieren, wie sie mit radikalen Klimaaktivisten umgehen wollen. Die planen derweil neue Aktionen.

Von Jan Heidtmann und Christoph Koopmann, Berlin/München

Die Innenminister und -ministerinnen der Länder hatten sich mit ihrer Kollegin Nancy Faeser aus der Bundesregierung ein dickes Programm verordnet: 81 Themen handelten sie von Mittwoch bis Freitag beim Treffen der Innenministerkonferenz in München ab. Einen Abschiebestopp nach Iran haben sie beschlossen, genauso wie Maßnahmen für besseren Katastrophenschutz, und den vor allem unionsgeführten Streit ums Einwanderungsrecht fortgesetzt. Aber bei der Abschlusspressekonferenz bestimmte doch ein anderes Thema: die Aktivisten der "Letzten Generation".

Diese sind mit ihren Klebe- und Schmieraktionen auf Straßen, Rollfeldern und in Museen ein großes Streitthema, erst recht, seit Ex-Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) sie eine entstehende "Klima-RAF" nannte und sich heftigen Widerspruch einfing, auch vom Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang. So weit wie Dobrindt ging Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) nun nicht. Doch die Aktionen der, wie er es formuliert, "radikalen sogenannten Aktivisten" hätten nichts mit friedlichem Protest zu tun, das seien Straftaten.

Der Niedersachse Pistorius wirft mäßigende Worte ein

Weil sie solche regelmäßig und offenbar orchestriert begingen, kündigte Beuth an: Die CDU-geführten Länder würden prüfen, "inwieweit es sich nicht sogar um eine kriminelle Vereinigung handelt". Doch sein Kollege Boris Pistorius (SPD) aus Niedersachsen warf da ein: Die "Bildung krimineller Vereinigungen" sei in Deutschland eine Straftat - darum überprüften Gerichte, ob das erfüllt sei, nicht die Innenminister.

Aber auch Bayerns CSU-Innenminister Joachim Herrmann sagte, man müsse "alle Mittel des Rechtsstaats ausschöpfen" - und meinte explizit auch die umstrittene Präventivhaft, die in Bayern für 30 Tage angeordnet werden kann und nochmal um 30 verlängert. Jüngst wurde die im Freistaat auch gegen Klimaaktivisten angeordnet. Sie kamen erst frei, nachdem die "Letzte Generation" vor einer Woche angekündigt hatte, ihre Aktionen zu pausieren. Es gehe um die "effektive Verhinderung" rechtswidriger Aktionen, sagte Herrmann, jedenfalls in "Ausnahmefällen".

Bei Boris Pistorius, eigentlich nicht als Softie der inneren Sicherheit bekannt, klangen wieder Irritationen durch. Man müsse in Sachen Präventivhaft "sehr genau abwägen" - es gehe schließlich darum, "Leute ins Gefängnis zu stecken, die eine Straftat noch nicht begangen haben". In Niedersachsen habe es noch keinen Fall gegeben, bei dem eine mögliche künftige Straftat von Klimaaktivisten so schwerwiegend gewesen wäre, dass dies eine vorsorgliche Ingewahrsamnahme gerechtfertigt hätte.

Am Montag wollen die Aktivisten Straßen in München blockieren

In Niedersachsen ginge das auch nicht für 30, sondern für zehn Tage, in Berlin nur für zwei. Bundesinnenministerin Faeser warb in München nun dafür, dass die Länder einheitliche Regelungen finden. Der Rest sei Sache der Länder.

In Bayern könnte die Diskussion, ob man Klimaaktivisten präventiv einsperren darf, nun wieder anlaufen. Denn ebenfalls am Freitag kündigte die "Letzte Generation" neue Aktionen für die kommende Woche an. In einer digital abgehaltenen Pressekonferenz mit gut 120 Teilnehmern erklärten die Aktivisten, am Montag in München Straßen blockieren zu wollen; auch in Berlin und anderen Städten seien Aktionen geplant. Dazu könnten Proteste auf Flughäfen genauso gehören wie an anderen "Armen der Gesellschaft".

Die Gruppe werde "mit einem Haufen weiterer Menschen" demonstrieren, sagte Carla Hinrichs, eine der Sprecherinnen der "Letzten Generation". Man habe die laufende Woche genutzt, um die vielen Sympathisanten zu schulen. "Der Widerstand wird stärker werden", prognostiziert Hinrichs. "Er hört nicht Weihnachten und auch nicht im neuen Jahr auf."

Sympathie für ihre Aktionen erwarten die Klimaschützer nicht unbedingt

Hinrichs berichtete zugleich, dass Mitglieder der Gruppe und auch deren Familien täglich Morddrohungen erhalten würden, auch die Reaktion auf die Blockaden werde zunehmend aggressiver. Zugleich nehme aber die Unterstützung gesellschaftlicher Gruppen zu, zum Beispiel bei der Synode der evangelischen Kirche oder durch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Bayern.

Angesprochen darauf, dass dennoch ein Großteil der Bürger die Aktionen ablehne, sagt Henning Jeschke, eines der Gründungsmitglieder, er könne gut nachvollziehen, dass Autofahrer sich über die Blockaden ärgerten. Doch demgegenüber stünde die drohende Klimakatastrophe. "Wir wollen gerne, dass das auch emotional verstanden wird." Dann würden auch wesentlich mehr Bürger die Aktionen unterstützen, glaubt Jeschke. Letzten Endes sei die Sympathie auf der Straße aber nicht entscheidend für die Aktionen der Klimaschützer.

Diese endeten erst, wenn die zentralen Forderungen erfüllt wären: die langfristige Einführung eines Neun-Euro-Tickets und ein Tempolimit von 100 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen. "Dann würden wir erst einmal von der Straße gehen", erklärte Hinrichs. Es sei ein Zeichen, dass die Bundesregierung verstanden habe, wie drängend die Klimaerhitzung ist. Weitere Maßnahmen zum Schutz des Klimas und zum grundlegenden Umbau des Wirtschaftssystems müssten jedoch folgen.

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