Münchner Momente:Hölle der Entspannung

Münchner Momente: Die Kerzenindustrie tut sich wohl leichter als ein einsamer Kerzenzieher auf dem Tollwood - und lässt es dann so schön leuchten.

Die Kerzenindustrie tut sich wohl leichter als ein einsamer Kerzenzieher auf dem Tollwood - und lässt es dann so schön leuchten.

(Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Auf dem Tollwood bietet das Rote Kreuz Kerzenziehen an - eine Tätigkeit, die "so einfach und monoton wie entspannend" sein soll. Aber nicht für jeden.

Glosse von Stephan Handel

So, so, entspannen sollen wir uns jetzt auch noch: Das Rote Kreuz bietet auf dem Tollwood-Winterfestival ein "Münchner Kerzenziehen" an, und das liest sich wie eine Tätigkeit aus der Meditations-Hölle - ein Docht wird in flüssiges Wachs getaucht, auf dass er sich vollsauge. Dann wird gewartet, bis das Wachs am Docht fest geworden ist. Dann wird er wieder eingetaucht. Dann wird gewartet, bis das Wachs am Docht fest geworden ist. Dann wird er wieder eingetaucht...

Bis zu zwei Stunden, schreibt das Rote Kreuz, kann das Ziehen einer größeren Kerze dauern; das sei "so einfach und monoton wie entspannend". Die bayerischen Sanka-Fahrer vergessen dabei allerdings eines: Der Gedulds-Docht bzw. -Faden ist nicht bei jedem gleich stark gedreht. Es gibt ja Leute, die kann nichts aus der Ruhe bringen, die machen sich im größten Chaos erst mal eine Tasse Kaffee und überlegen, wie sie am besten vorgehen. Und es gibt die Allzeit-Hektiker, die sich nur im Laufschritt fortbewegen, die immer einen leichten Schweißfilm auf der Stirn haben und alles immer sofort erledigen. So wie die Natur sich vor der Leere fürchtet - horror vacui -, so fürchtet sich der Hektiker vor dem Nichtstun, vor der Ruhe, vor der Untätigkeit.

Zwei Stunden hinwarten, bis sich dieses verdammte Wachs verfestigt hat? Das ist sehr wohl monoton, aber entspannend ist es ganz bestimmt nicht. Bevor er sich darauf einlässt, wird der Hektiker ad hoc ein Verfahren entwerfen, wie er zehn Dochte gleichzeitig bearbeiten kann, rollierend nämlich, so das er immer schön zu tun hat - vielleicht gehen ja sogar 15.

Es hilft nichts: Wenn sich jemand nicht entspannen will, dann ist es für ihn der größte Stress, wenn er dazu gezwungen werden will. Man müsste ihm, wenn schon, das Kerzenziehen als produktive Tätigkeit verkaufen, als eine Aufgabe von höchster Verantwortung, mit der nur die Pflichtbewusstesten und Zuverlässigsten betraut werden können - dann könnte er sich eventuell darauf einlassen, nach dem Motto: Lieber meditieren als rumsitzen und gar nichts tun.

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