SZ-Kultursalon:Nicht mehr Tempel, sondern Teil der Stadt

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Der SZ-Kultursalon in der Rheingoldbar der Staatsoper, die zum Bedauern vieler Münchner zumeist nur am Abend öffnet. Genau der richtige Ort also, um über eine Zukunft zu sprechen, in der traditionsreiche Kulturbauten wie das Nationaltheater eine ganz neue Bedeutung in der Stadt haben könnten. (Foto: Florian Peljak)

Im SZ-Kultursalon entwickeln Anna Kleeblatt und Staatsintendant Serge Dorny Visionen für die Oper der Zukunft, die nicht länger nur auf der Bühne verhandelt werden muss. Die dringend notwendige Generalsanierung eröffnet Chancen dazu.

Von Jutta Czeguhn

Ein Abonnement für die Staatsoper, womöglich eines für den begehrten Balkon Mitte, das hatte in Münchner Familien lange den Stellenwert eines - bleiben wir in der Welt der Oper - wertvollen Ringes. Es wurde weitergereicht an die nächste Generation, nicht immer ganz legal. War etwa die Inhaberin, die Oma, verstorben, ließ man sie munter weiterleben, um nur ja das Abo nicht zu verlieren. In der Staatsoper ahnte man natürlich von diesen Mauscheleien, weshalb irgendwann konziliant die Praxis geändert wurde. Die Abonnements konnten ganz offiziell innerhalb der Familie überschrieben werden, und die Münchner Großmamas hatten dann auch endlich ihre selige Ruh'.

Anna Kleeblatt war es, die jetzt beim Kultursalon der Süddeutschen Zeitung ein wenig aus dem Nähkästchen plauderte und von dieser sehr münchnerischen Opern-Anhänglichkeit erzählte. Die Kulturmanagerin war einst Marketing- und Vertriebsleiterin am Haus und ist ihm bis heute als Vorstandsmitglied der rührigen Freunde des Nationaltheaters treu. Doch in alten Zeiten zu schwelgen und Anekdoten auszutauschen, dazu war man nicht zusammengekommen am Montagabend im Rheingold Bar-Bistro des Nationaltheaters. Denn wer die Zeit verschwänzt und glaubt, sich als Kulturinstitution träge auf seinen komfortablen Erbhöfen ausruhen zu können, dem kracht irgendwann das ganze Fundament weg. Ein ausverkaufter "Lohengrin" sollte da nicht in Sicherheit wiegen, auch nicht Auslastungszahlen wie in Vorpandemiezeiten. Auch für die Münchner, das haben die Erosionsprozesse der Pandemiejahre gezeigt, ist ein Leben ohne Oper mittlerweile vorstellbar - und keineswegs sinnlos.

Gibt sich nachdenklich angesichts der vielen Krisen und großen Aufgaben: Staatsintendant Serge Dorny. (Foto: Florian Peljak)

Um neue Ideen, um Perspektiven für ein altes Haus ging es also beim Gedankenaustausch, zu dem Susanne Hermanski, Leiterin der Münchner Kulturredaktion der SZ, als Gastgeberin und Moderatorin natürlich auch Serge Dorny eingeladen hatte. Der Flame hat in seinen knapp eineinhalb Jahren als Staatsintendant wohl schon mehr Krisen erlebt als sein Vorgänger Nikolaus Bachler in seiner gesamten Münchner Zeit: Corona, Krieg, dann der Skandal um seinen der Familie Putin sehr zugetanen (Ex-)Ballettchef, ein peinlicher Fake-Anruf aus Moskau, bittere Mindereinnahmen, nun auch noch eine Energiekrise. Zu all dem, als drückende Erbmasse, ein Sanierungsstau, der in der übernächsten Spielzeit eine verlängerte Sommerpause nötig machen wird. Und nicht zuletzt erhebliche klimatische Störungen im Haus selbst, über die, so jüngst ein interner Ukas an die Belegschaft, nichts nach außen dringen soll.

Serge Dorny zeigte sich beim Salon in mitteilsamer Stimmung. Konfrontiert mit der Frage, führte er die Missstimmung im Haus vornehmlich auf dieses immense Konglomerat an Problemen zurück, er räumte aber auch eigene Fehleinschätzungen und Überforderungen ein. Vor allem für seine erste Spielzeit 21/22; da hätte er, trotz bereits ausgehandelter Verträge, etwa mit dem neuen "Ja, Mai"-Festival besser noch warten und der Belegschaft mehr Zeit geben sollen, sich wieder an die Routinen zu gewöhnen, wieder ins Repertoire einzusteigen. "Vielleicht war das zu viel. Vielleicht hätte man besser kommunizieren müssen, statt zu kollidieren", so Dorny. Viele Vielleichts in fiebrigen, windigen Zeiten.

2025 dauert die Opern-Sommerpause bis Ende Oktober

Definitiv aber ist, der Intendant wird sein Haus wieder für einige Zeit schließen müssen. Zunächst für "Erste-Hilfe-Maßnahmen", wie Dorny sie nennt, die unumgänglich sind, um den Spielbetrieb überhaupt aufrechterhalten zu können. Doch die üblichen eineinhalb Monate Sommerpause, die sonst für Reparaturen genutzt werden, reichen nun nicht mehr aus. Von August bis Ende Oktober 2025 wird die Staatsoper pausieren müssen. Dorny zählte den Salongästen nur das Wichtigste auf: Der Brandschutz braucht dringend ein Update, ebenso die Lüftungs- und Versorgungsanlagen, auch die Statik des Bühnenpodiums und die Antriebstechnik der Bühnenmaschinerie müssen ertüchtigt werden, die Aufzüge sollen endlich barrierefrei werden, und das Inspizientenpult muss eine neue Hardware bekommen.

Fast sechzig Jahre sind seit der Wiedereröffnung des Nationaltheaters vergangen. Mitunter, das bestätigt Dorny, müssen sich die Techniker die Reparaturteile auf dem Flohmarkt besorgen. Auch im Schwesterhaus, dem Residenztheater, gilt die Bühnentechnik Nostalgikern mittlerweile als Kuriosum. Der Marstall fällt auseinander. Der Herkulessaal, das Prinzregententheater, die Liste sanierungsbedürftigen Häuser allein in München scheint endlos. Irgendwann, so Susanne Hermanski, werde man mit Notmaßnahmen nicht mehr weit kommen, ohne wie bei der Neuen Pinakothek kurzfristige Schließungen zu riskieren. Der von der Staatsregierung angekündigte Masterplan, eine Prioritätenliste für die vielen Sanierungsfälle bei den Kulturbauten des Freistaats, lasse auf sich warten.

Ein Opernhaus darf keine Festung sein, die tagsüber die Zugbrücke hochfährt: Kulturmanagerin Anna Kleeblatt hat die Vision von einem Kulturbau, in dem sich die Menschen treffen können, ohne Konsumzwang. (Foto: Florian Peljak)

Wird sie kommen, die große Generalsanierung der Oper 2030? Eine Frage, die an den nicht anwesenden Kunstminister Markus Blume geht. Für Anna Kleeblatt, die weit vernetzte Kulturmanagerin, ist gerade jetzt allerhöchste Zeit und die einmalige Chance, groß zu denken. Visionen zu entwickeln für die Staatsoper als einen Kulturbau der Zukunft. "Was auf keinen Fall sein darf: dass dieses Haus nach der Generalsanierung wieder so dasteht wie vorher." Also als musealer Speicher, eine Art Festung, die tagsüber die Zugbrücke hochfährt und es sich leistet, eine der schönsten Bars der Stadt nur abends für ein paar Stunden zu öffnen.

Kleeblatt hatte 2021 eine viel beachtete digitale Vortragsreihe zum Thema "Kulturbauten der Zukunft" entwickelt, zusammen mit der Bayerischen Staatsoper, der Deutschen Oper am Rhein, der Komischen Oper Berlin, dem Opernhaus Zürich und den Staatstheatern Stuttgart. Architekten, Trend- und Zukunftsforscher, Soziologen, Stadtentwickler oder Leute wie Benedikt von Peter, der junge Intendant des Theaters Basel, diskutierten zukunftsgewandte Ansprüche an in die Jahre gekommenen Institutionen.

Die Oper als offenes Haus, auch tagsüber

Am Theater Basel etwa wurde mit dem "Foyer Public" ein neuer öffentlicher Treffpunkt in der Stadt geschaffen, für alle: vielseitig verwendbar, multifunktional, zentral gelegen. Mit Tanzböden, Spielflächen für Kleinkinder, einer Bibliothek, Cafés, ein Ort, an dem man nichts konsumieren muss und auch ohne Eintrittskarte einfach Zeit verbringen kann. Anna Kleeblatt kennt so etwas auch aus Helsinki, wo sich die Leute in der Oper verabreden und tagsüber 40 Kinderwägen im Foyer stehen. Vorstellbar auch für Münchens Kulturbauten? Für die Staatsoper?

Kinder im Foyer, Kaffeetassen-Geklapper, Stimmengewirr. Und das womöglich 24/7. Ein wenig hatte man den Eindruck, dass Serge Dorny bei dieser enthusiastischen Vision Anna Kleeblatts für sein Haus nicht hundertprozentig wohl ist. Auch wenn gerade ihm, dem langjährigen Intendanten der Opéra National de Lyon, in München der Ruf als großer Öffner vorauseilte. Hochspannend sei das alles, aber man dürfe nicht schwarz-weiß denken, müsse sich öffnen, aber nicht ohne Reglements. Seiner Vorstellung nach sollte ein Opernhaus sein wie jene Agora im antiken Griechenland, ein zentraler Ort, an dem sich die Menschen begegnen und austauschen. Visionen dafür könne man nur gemeinsam entwickeln, die Politik, die öffentliche Hand, die Bürgerschaft, die Wirtschaft und natürlich die Institutionen mit ihren Mitarbeitern.

Von diesem Idealzustand scheint man in München aktuell noch weit entfernt. Die jüngst von Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) präsentierten Umgestaltungspläne für den Max-Joseph-Platz zur "grünen Oase mit Sitz- und Flaniermöglichkeiten zwischen Stauden und Blühwiesenfläche" waren zumindest nicht mit der Staatsoper abgestimmt. Was Dorny im Salon in diplomatischem Ton bedauerte: "Es wäre toll, sich auch mit der Nachbarschaft darüber zu unterhalten." Zumal sich die Staatsoper 2015 zu Bachler-Zeiten mit einem Architekturwettbewerb für Studenten bereits selbst Gedanken zur großen Steinwüste vor der Haustür gemacht hatte.

Und doch sieht es so aus, als würden Stadt und Staat hier nicht auskommen. Anna Kleeblatt konnte da im SZ-Salon Spannendes berichten: 16 Freundeskreise der staatlichen Kulturinstitutionen, mit immerhin 10 000 Mitgliedern, die in den vergangenen Jahrzehnten selbst 150 Millionen Euro für ihre Häuser aufbrachten, haben sich zusammengeschlossen. Eine geballte bürgerschaftliche Kraft, die nun von der Politik einen innovativen Gesamtplan für die Zukunft der Kulturhäuser einfordert. "So etwas gab es wohl noch nie", sagte Anna Kleeblatt stolz. Und Politik wäre schlecht beraten, wenn sie auf dieses enorme kreative Potenzial verzichtet.

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