Luftverkehr:Die Fluggesellschaften erholen sich wieder

Luftverkehr: Die Menschen fliegen wieder: Von deutschen Flughäfen sind im Sommer 2022 mehr als doppelt so viele Passagiere zu einer Flugreise aufgebrochen wie im gleichen Vorjahreszeitraum.

Die Menschen fliegen wieder: Von deutschen Flughäfen sind im Sommer 2022 mehr als doppelt so viele Passagiere zu einer Flugreise aufgebrochen wie im gleichen Vorjahreszeitraum.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Nach Verlusten von knapp 190 Milliarden US-Dollar in den vergangenen drei Jahren könnte die Branche 2023 wieder etwas Geld verdienen. Ob dies klappt, hängt nicht nur vom Ölpreis ab.

Von Jens Flottau, Genf

Dass die Corona-Pandemie die Luftverkehrsindustrie besonders hart getroffen hat, lässt sich am besten an folgender Zahl darstellen: In den vergangenen drei Jahren machte die Branche einen Verlust von knapp 190 Milliarden US-Dollar. Das ist mehr, als sie in den Jahrzehnten zuvor verdient hatte, inklusive der Boom-Jahre von 2010 bis 2019. 85 Fluggesellschaften haben seit Beginn der Pandemie aufgeben müssen. Nun aber ist eine Trendwende in Sicht: 2023 erwartet die Branche nach einer Prognose der International Air Transport Association (IATA) erstmals seit 2019 wieder schwarze Zahlen.

"Die Erholung ist stark", sagt IATA-Chef Willie Walsh. "Ich bin grundsätzlich optimistisch. Und ich denke, wir sollten uns nicht zu viele Sorgen machen." Es stimmt zwar, dass die vielen coronabedingten Reisebeschränkungen Vergangenheit sind, mit der großen Ausnahme von China. Die Nachfrage liegt derzeit bei etwa 74 Prozent des Jahres 2019, bei extrem hohen Ticketpreisen. Allerdings ist die Branche nach Corona quasi nahtlos in die nächste Krise übergangen: hohe Inflation, hohe Treibstoffkosten und der Krieg in der Ukraine.

Die Fluggesellschaften werden der IATA zufolge 2023 wieder einen Nettogewinn von 4,7 Milliarden Dollar ausweisen, was einer Marge von 0,6 Prozent entspricht. Die amerikanischen Fluglinien werden mit Abstand am profitabelsten sein (mit einem Gewinn von 11,4 Milliarden Dollar). Sie profitieren von dem großen Inlandsmarkt, auf dem die Nachfrage schon viel früher zurückgekommen ist. In Europa reicht es hingegen noch zu einem minimalen Gewinn von etwa 600 Millionen Dollar. Fluggesellschaften in Asien werden insgesamt weiterhin rote Zahlen schreiben - hier hatten viele Regierungen Reisebeschränkungen länger als anderswo aufrechterhalten. In China gelten sie bis heute - Walsh geht allerdings davon aus, dass sich dies im Laufe des kommenden Jahres ändert, was das Wachstum auch dort deutlich anschieben dürfte. Andererseits hängen die Gewinne vor allem vom Ölpreis ab: Die Airlines hatten Anfang 2022 mit einem durchschnittlichen Preis von etwa 62 Dollar für Kerosin gerechnet, am Ende waren es 103 Dollar. Für 2023 kalkulieren sie nun im Durchschnitt mit sogar 111 Dollar.

Der IATA zufolge wird die Nachfrage im Luftverkehr 2024 wieder auf das Niveau von 2019 zurückkehren. Für Chefvolkswirtin Marie Owens Thomsen spielt dabei eine wichtige Rolle, dass die Arbeitslosenzahlen in vielen Ländern weiterhin sehr niedrig sind, sich viele Menschen das Reisen trotz Inflation also weiter leisten können. Würden deutlich mehr Menschen ihren Job verlieren, hätte das Auswirkungen auf die Branche. Die starke Nachfrage hat sich zuletzt fortgesetzt, obwohl die Fluggesellschaften historisch hohe Ticketpreise verlangt haben. Sie konnten dies auch deswegen tun, weil das Angebot, sprich die Zahl der eingesetzten Flugzeuge, immer noch deutlich geringer ist als vor drei Jahren.

Walsh geht nicht davon aus, dass die anstehende Weihnachtsreisewelle wieder zu ähnlich chaotischen Zuständen führt wie im vergangenen Sommer, als Flughäfen und Airlines mit dem Passagieransturm überfordert waren. An den Sicherheitsschleusen hatten sich lange Schlangen gebildet, die Fluggesellschaften mussten ihre Programme eindampfen, um wieder zuverlässig zu fliegen, anstatt täglich Hunderte Verbindungen streichen zu müssen. Die meisten Flughäfen hätten, sagt Walsh, die Lage mittlerweile besser im Griff. Ausnahmen seien allenfalls Amsterdam und London-Heathrow.

Bei den Motoren fehlen Ersatzteile

IATA-Initiativen, um Passagiere schneller und bequemer durch die Flughäfen an Bord zu lotsen, hat die Pandemie ausgebremst. Der Airline-Weltverband würde unter anderem eine elektronische Identifikation von Koffern einführen, durch die Papieranhänger wegfallen, auf denen seit Jahrzehnten der Name des Passagiers, die Flugnummer und das Ziel angegeben sind, damit das Gepäck im richtigen Flugzeug landet. Die "Baggage Tags", die jedes Jahr ausgedruckt werden, reichen laut IATA für ein Band, das sich zweimal um die Erde windet. Der Fluglinien-Verband fordert auch, dass die Flughäfen bessere Scanner an den Sicherheitskontrollen einsetzen. Maschinen, bei denen die Passagiere Flüssigkeiten und elektronische Geräte nicht mehr aus ihren Taschen nehmen müssen, sind längst nicht überall im Einsatz. Unter anderem sind sie schon am Flughafen München zu finden.

Engpässe spürt die Branche auch wegen der Flugzeughersteller: Airbus und Boeing können ihre Lieferzusagen an Fluggesellschaften und Leasingunternehmen bei Weitem nicht einhalten. "Die Airline-Chefs sind extrem frustriert", sagt Walsh. "Sie planen mit den Flugzeugen und halten Personal vor, aber niemand gibt ihnen eine Liefergarantie." Es werde interessant sein, zu beobachten, wie sich das auf das Verhältnis mit den Flugzeugherstellern auswirke.

Airbus liefert seine Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge oft um Monate verzögert aus. Am Dienstag kassierte das Unternehmen seine Prognose für den Produktionshochlauf, der nun länger dauert. Boeing hat ähnliche Probleme und baut viel weniger 737 MAX und 787 als vorgesehen. Dafür gibt es zum Teil interne Gründe, aber oft warten die Hersteller auch auf Teile ihrer Lieferanten und können die Maschinen nicht fertigbauen. Auch Fluggesellschaften müssen derzeit häufig Flugzeuge am Boden lassen, weil Ersatzteile vor allem bei den Motoren fehlen. Walsh sagt dazu: "Mir war nicht klar, wie groß das Problem wirklich ist."

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