SZ-Adventskalender:"Mittlerweile fällt es mir schwer, morgens meine Teetasse zu halten"

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Knapp 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren waren 2022 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Deutschland armutsgefährdet. (Foto: Ute Grabowsky/photothek.net via www.imago-images.de/imago images/photothek)

Christina S. hat Pech mit ihrem Körper. Viele Verletzungen, chronische Schmerzen und in der Folge psychische Probleme machen ihr ein normales Leben völlig unmöglich.

Von Vera Koschinski, Ebersberg

Weihnachtsdeko, Adventsgeschenke, Süßigkeiten im Überfluss. Zu keiner Zeit des Jahres fließt so viel Geld in die Kassen der Supermärkte, Kaufhäuser und Onlineshops wie in der Vorweihnachtszeit. Wer nicht so gut aufgestellt ist, kann oft nur zusehen, wie andere im Rausch der Lichterketten und Glitzergirlanden eine Tafel Schokolade mehr in Einkaufwagen werfen, ohne auch nur darüber nachzudenken.

So geht es auch Christina S. (Name von der Redaktion geändert). Die 44-Jährige ist seit mehreren Jahren arbeitsunfähig, finanziert sich mit Krankengeld und einer Teilzeitrente. Abzüglich der Miete bleiben von diesem Geld nicht einmal 200 Euro übrig, die, sparsam auf Medikamente, einige Lebensmittel und die Bezahlung von Rechnungen verteilt, lange vor Weihnachten verbraucht sein werden. "Dabei hat mir das Arbeiten immer Spaß gemacht", sagt die Frau im hellen langen Rollkragenpullover, der die Risse in ihrem Jeansbund kaschiert und unter dem sich schmale Schultern und die knochigen Konturen ihrer Wirbelsäule abzeichnen.

Nach mehreren Unfällen hat sie häufig Schmerzen

Zuletzt arbeitete die gelernte Groß- und Bürohandelsfrau als Büroassistentin im medizinischen Bereich, doch nach gerade einmal drei Monaten sah sie sich gezwungen, die Stelle zu kündigen, wieder einmal. Die Liste ihrer Erkrankungen ist so lang, dass man sie kaum aufzählen mag. Zu einer chronischen Fibromyalgie, die sich durch unvorhersehbare Schmerzschübe im gesamten Körper zeigt, kam eine Serie von Verletzungen, die ihr das Leben erschwerten und nach Jahren, geprägt von Schmerzen, Stress und Existenzängsten auch in ihrer Psyche Spuren hinterlassen haben, Bulimie und plötzliche Panikattacken sind die Folge.

Nachdem sie sich als junge Mutter von drei Kindern 2006 von ihrem alkoholkranken Mann getrennt hatte, bescherte ihr ein Unfall beim Inlineskaten zwei Jahre später einen Lendenwirbelbruch, der einige operative Eingriffe nötig machte. Bis heute leide sie beim Gehen an Schmerzen, erzählt sie. Schmerzen habe sie auch regelmäßig im Nackenbereich, im Kopf und den Armen, weil bei einem Autounfall 2018 die vier oberen Halswirbel geschädigt wurden.

Die Kinder sind ausgezogen, die Wohnung ist zu groß

Doch die Unfallserie wollte immer noch nicht abreißen. Erdbeeren habe sie pflücken wollen, erzählt sie, 2020 im Sommer sei das gewesen. Sie sei mit einem Motorroller gefahren und auf dem Rückweg auf einer Sandspur ausgerutscht, das Knie wurde eingeklemmt. Seither habe sie auch noch Schwierigkeiten beim Laufen. "Und dabei habe ich mich so auf die schönen Erdbeeren gefreut. Um die war es fast genauso schade wie um das Knie", scherzt sie, doch das Lachen klingt ironisch. Und nun machen sich seit diesem Jahr auch noch die ersten Symptome einer Arthrose in den Fingergelenken und einer Osteoporose bemerkbar. "Mittlerweile fällt es mir schwer, morgens meine Teetasse zu halten."

Ihre drei Kinder sind inzwischen längst ausgezogen, die ehemaligen Kinderzimmer leer, an den Wänden hier noch ein leerer Schrank, dort noch ein alter Teppich. Die Wohnung ist ohnehin viel zu groß. Während der Krankenhausaufenthalte hatten sich Pflegefamilien der Kinder angenommen, eines von ihnen sei gar nicht mehr zu ihr zurückgekehrt, erzählt Christina S.. Seit dem Tod des Vaters, der 2018 an den Folgen seines Alkoholismus starb, hätten sich die Kinder ganz von ihr abgewandt. "Wir halten als Familie nicht mehr zusammen." Fast wehmütig erinnert sie sich an eine Schulteroperation, als sie gleichzeitig mit einem ihrer Kinder im Krankenhaus gelegen habe, das sich den Fuß gebrochen hatte. "Wir konnten uns also aus den Krankenbetten fast zuwinken."

Bei all ihren Krankheiten ist für Christina S. die ausreichende Aufnahme von Nährstoffen wichtig, sie esse hauptsächlich Karotten, erzählt sie, momentan seien sie nicht nur am günstigsten, sondern auch eines der wenigen Lebensmittel, das sie verträgt. Weil das Geld am Monatsende oft nicht mehr zum Einkaufen reiche, habe sie den Sommer über auch die Tafeln aufsuchen müssen. "Es war jedes Mal eine Überwindung für mich, ich habe mich so geschämt, aber manchmal wusste ich mir anders nicht mehr zu helfen."

Ein neues Paar Schuhe wäre ihr Wunsch

Um am Ende des Monats mehr Geld zu haben, sucht Christina S. dringend nach einer neuen Bleibe. Weil sie mehrmals wöchentlich Ärzte und Therapeuten im Landkreis Ebersberg und in München aufsuchen müsse, sei sie dabei auf die Nähe zu öffentlichen Verkehrsmitteln angewiesen. Ein Auto kann sie sich natürlich nicht leisten, ihre Schuhe seien ihr Auto, sagt sie. Da könne sie auch mal wieder ein neues Paar gebrauchen.

Immerhin ein Geschenk hat sie diesmal allerdings schon bekommen: Eines ihrer Kinder hat angekündigt, mit ihr das Fest zu verbringen. "Ich habe in dem Moment angefangen zu weinen, weil ich fest damit gerechnet habe, dieses Jahr alleine zu sein." Sie hofft, dass das ihr letztes Weihnachten ist, das sie in der großen, leeren Wohnung verbringen muss. Mit einer Spende könnte sie ihrer kleinen Restfamilie zumindest ein schönes Fest ausrichten - und sich neue Schuhe kaufen.

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Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung e.V.

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