SZ-Adventskalender:"Es reicht eben nicht, Container mit fließend Wasser und Strom aufzustellen"

SZ-Adventskalender: Andrea Betz ist Vorständin der Diakonie München und Oberbayern.

Andrea Betz ist Vorständin der Diakonie München und Oberbayern.

(Foto: Diakonie/Felix Francer OH)

Was Menschen brauchen, die ihre Heimat durch Krieg oder Verfolgung verlassen müssen, weiß Andrea Betz. Sie ist Vorständin bei der Diakonie München, die den oft traumatisierten Menschen beim Ankommen hilft und beim Bleiben begleitet.

Von Karin Kampwerth

Aktuell kommen täglich durchschnittlich 100 Geflüchtete im Ankunftszentrum der Regierung von Oberbayern in der Maria-Probst-Straße an. Hier suchen sie Zuflucht vor Krieg und Vertreibung in der Ukraine genauso wie in Syrien, Afghanistan, dem Iran und so vielen anderen Krisenregionen dieser Erde. Die Mitarbeitenden der Diakonie München und Oberbayern helfen den oft traumatisierten Menschen bei den ersten Schritten in dem Land, das für viele zur neuen Heimat werden soll. Diakonie-Vorständin Andrea Betz schildert ihre Arbeit und die Herausforderungen, vor denen die Mitarbeitenden angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen stehen.

SZ: Frau Betz, wie viele Geflüchtete betreuen Sie gerade?

Andrea Betz: Insgesamt, das heißt im Stadtgebiet München sowie den Landkreisen München und Starnberg, betreuen wir etwa 6400 Geflüchtete in 41 Unterkünften. Hinzu kommen gut 1000 Minderjährige im Stadtgebiet, die wir beraten und betreuen. Im Refugee Stairway Center am Hauptbahnhof helfen wir außerdem Menschen mit Traumatisierung und anderen psychischen Handicaps bei der Integration.

Die steigenden Flüchtlingszahlen spüren Sie bereits?

Das beobachten wir seit mehreren Wochen. Es werden wieder dringend Unterkünfte für die Ankommenden gesucht. Was wir aus dem Jahr 2015 wissen, ist, dass die Menschen schnell Orientierung und Zugang zu Beratung haben müssen. In diesem Zusammenhang ist der Personalschlüssel, der vom Freistaat Bayern für die Flüchtlings- und Integrationsberatung gefördert wird, absolut nicht ausreichend. Die Stadt München finanziert eine Aufstockung auf 1 zu 100 und im Landkreis München auf 1 zu 150. Dafür sind wir dankbar. Wenn wir gut beraten wollen, braucht es eine ausreichend gute Finanzierung unserer Arbeit von Seiten des Freistaats. Wir haben es mit sehr komplexen Schicksalen zu tun. Hierfür braucht es individuelle Unterstützung, damit die Integration gelingt. Es reicht eben nicht, Container mit fließend Wasser und Strom aufzustellen.

Wo hakt es noch besonders stark?

Vor allem im Ankunftszentrum dauern die ersten Schritte der Registrierung viel zu lange. Geflüchtete müssen viel zu lange auf ihre Gesundheitsuntersuchung, den Zugang zu Fachärztinnen und auf die Auszahlung ihrer Leistungen warten. Das ist schwierig für Menschen, die auf spezielle Nahrung oder Medikamente angewiesen sind.

Wie können Sie da helfen?

Mit Spenden aus dem SZ-Adventskalender zum Beispiel. Dafür sind wir sehr dankbar, denn damit können wir solche schwierigen Phasen überbrücken. Auch die Stadt München und die Landkreise unterstützen uns hier gut.

Gibt es Angebote über die akute Unterstützung hinaus?

Wir konnten mithilfe von Adventskalender-Spenden schon so wichtige Projekte wie unseren Diakonia-Anhänger realisieren. Das ist eine mobile Kleiderausgabe, mit der wir bedürftige Menschen mit und ohne Migrationshintergrund mit dem Notwendigsten ausstatten können. Besonders im Ankunftszentrum, in dem wir seit Jahren als Diakonie tätig sind, erleben wir immer wieder eigentlich unfassbare Szenarien, mit wie wenig Habseligkeiten die Menschen hier ankommen.

Können Sie kurz schildern, wie sich unsere Leserinnen und Leser das Ankommen der Geflüchteten vorstellen müssen?

Bevor die Menschen aus den sogenannten Ankereinrichtungen hinaus auf die Stadt und die Landkreise verteilt werden, müssen sie im oberbayerischen Ankunftszentrum im Euro-Industriepark registriert werden. Durch diesen Flaschenhals müssen alle Ankömmlinge durch. Ursprünglich sollte das nicht länger als zwei bis drei Tage dauern, inzwischen vergehen oft mehrere Wochen.

Wie sieht die Arbeit der Diakonie dort aus?

Wir führen im Ankunftszentrum eine Art Clearing durch. Wir übernehmen also den ersten Kontakt, informieren und stellen fest, ob es beispielsweise Schwangere gibt oder kranke Menschen, die sofort Hilfe benötigen. Wir kümmern uns im Einzelfall auch darum, dass jemand Schuhe bekommt, wenn er ohne Schuhe angekommen ist, oder stehen für ein Gespräch zur Verfügung, wenn jemand große Angst hat. Für unsere Mitarbeitenden ist das anspruchsvoll, zum Beispiel weil sie auf die Geflüchteten treffen, ohne dass eine Gesundheitsprüfung stattgefunden hat. Eigentlich erst nach dieser Untersuchung und nachdem der Asylantrag gestellt ist, erhalten die Menschen Geldleistungen, Kleidung und haben Zugang zu medizinischer Versorgung. Aber wie gesagt, das dauert alles viel zu lange.

Wenn das geschafft ist, geht es weiter in das Ankersystem. Was passiert dort?

Dort herrscht ein rigoroses Sachleistungsprinzip. Die Menschen verbringen hier Monate, manchmal sogar Jahre, bis sie in eine Gemeinschaftsunterkunft weitervermittelt werden können, wo sie erstmals wieder ein etwas selbstbestimmteres Leben führen, selber kochen und ihre Kleidung waschen können. Für Kranke und Schwangere ist die Situation sehr schwierig. Vor allem leiden aber die Kinder. Ob sie kontinuierlich in die Schule gehen können, ist im Ankerzentrum oft ungewiss. Leider fehlt es dort auch an Lernorten. Meist gibt es ja nicht mal einen Tisch für die Hausaufgaben. Natürlich helfen wir mit Angeboten, aber am wichtigsten ist es nun, das System deutlich zu beschleunigen und mehr Anschlussunterkünfte für ein würdigeres Leben zu schaffen. Wenn man das wirklich will, bekommt man das auch hin. Wir haben die Kraft und die Ressourcen dazu, dass das klappen kann. Gerade in den Kommunen erleben wir hier grundsätzlich viel Offenheit.

Was bereitet Ihnen noch große Sorgen?

Die Betreuung von Menschen mit psychischen Problemen. Wenigstens haben wir seit 2016 das Refugee Stairways Center, hier können wir betroffenen Geflüchteten die Treppe zur Integration hinauf helfen - und sie auffangen, wenn sie mal eine Stufe wieder runterfallen. Wenn sie im Ankersystem untergebracht sind, ist der Zugang zu Therapie oder dem psychologischen Dienst schwierig. Oft gibt es ein Gerangel um Zuständigkeit und Kostenübernahme. Aber auch in den nachfolgenden Einrichtungen können ohne entsprechende Finanzierung keine Psychologen arbeiten. Ich erinnere mich gut an einen jungen Mann, der sein Zimmer monatelang nur verlassen hat, um auf die Toilette zu gehen. Ihm konnten wir unter anderem auch mit Mitteln aus dem Adventskalender helfen. Inzwischen macht er eine Ausbildung.

So können Sie spenden

Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung e.V. Stadtsparkasse München, IBAN DE 86 7015 0000 0000 6007 00, BIC SSKMDEMMXXX.

Spenden an den SZ-Adventskalender sind steuerlich absetzbar. Bei Überweisungen von mehr als 300 Euro übersenden wir eine Spendenquittung. www.sz-adventskalender.de

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