Luftfahrt:Air India will bis zu 500 Flugzeuge kaufen

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Air India gehört seit fast einem Jahr wieder zur Tata-Group. (Foto: Mukesh Parpiani/Dinodia/imago images)

Die traditionsreiche Fluggesellschaft hat derzeit nicht einmal 100 Maschinen und plant nun Großaufträge bei Airbus und Boeing. Sie war erst Anfang 2022 privatisiert worden.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Indien hat knapp 1,4 Milliarden Einwohner. Das Land hat eine Mittelschicht von Dutzenden Millionen Menschen, die sich Flugreisen leisten kann und eine Diaspora von rund 20 Millionen Indern im Ausland, von denen viele regelmäßig zu Besuch einfliegen. Indien liegt auf halbem Weg zwischen Europa und Südostasien, zwischen dem Nahen Osten und Zentralasien - all dies sind die perfekten Ingredienzien für ein riesiges Umsteiger-Drehkreuz einer der größten Fluggesellschaften der Welt.

Selten jedoch klaffte zwischen Theorie und Wirklichkeit eine so große Lücke. Die einst große Air India, die noch bis in die 1970er-Jahre mit ihren ersten Boeing 747 den Glamour der großen, weiten Welt versprühen konnte, ist in den nachfolgenden Jahrzehnten zu einer kleinen, heruntergewirtschafteten Fluggesellschaft und staatlichen Versorgungsanstalt geworden. Sie war nun eher bekannt dafür, dass sie jedes Jahr mittels Zuschüssen vor der Pleite bewahrt werden musste oder dass sie ihre Maschinen in Mumbai oder Delhi abgestellt hat, weil sie sich keine neuen Triebwerke mehr leisten konnte. Derzeit fliegt sie nicht einmal 100 Flugzeuge. Die indische Billigairline Indigo hat knapp 250 Jets und mehr als 500 weitere bestellt.

Es gibt also immens viel aufzuholen, und es sieht ganz danach aus, als würde nun Air India ernsthaft den Neustart versuchen. Seit Monaten pendeln die Verkäufer von Boeing und Airbus nach Delhi, um die Verhandlungen voranzutreiben, nun könnte vielleicht noch vor Jahresende eine der größten Flugzeugbestellungen der Geschichte entschieden werden: Air India will dem Vernehmen nach bis zu 500 Jets kaufen, sowohl für die Kurz- als auch für die Langstrecke. Der Listenpreis könnte 100 Milliarden Dollar übersteigen, allerdings sind bei Großbestellungen erhebliche Rabatte üblich. Sowohl Boeing als auch Airbus werden dabei aller Voraussicht nach berücksichtigt, ein Hersteller alleine kann sowieso nicht so schnell so viele Jets bauen. Air India jedenfalls scheint es auf einmal gar nicht schnell genug gehen zu können.

Die erstaunliche Wendung hat damit zu tun, dass sich für die traditionsreiche Fluggesellschaft mit der Übernahme durch die Tata Group Anfang 2022 ein Kreis geschlossen hat. Der Geschäftsmann J.R.D. Tata hatte im Jahr 1932 die Tata Air Services gegründet und flog zunächst mit zwei einmotorigen Propellerflugzeugen Post von Karatschi nach Mumbai. 1946 wurde die Fluglinie, die mittlerweile auch Passagiere beförderte, in Air India umbenannt. 1953 verstaatlichte Indien das Unternehmen. J.R.D. Tata blieb zwar bis weit in die 70er-Jahre Aufsichtsratschef, doch sein Mischkonzern, heute Tata Group, war für fast 70 Jahre raus aus dem Fluggeschäft.

Auch Singapore Airlines ist eingestiegen

Rund um das Jahr 2000 versuchte die indische Regierung erstmals, Air India zu privatisieren. 2007 beschloss der Staat, Air India mit der Inlandsgesellschaft Indian Airlines zu fusionieren. Zwei ineffiziente, defizitäre Unternehmen sollten ein profitables werden. Doch es wurde alles nur noch schlimmer. Jedes Jahr musste die Regierung Air India irgendwie am Leben erhalten. Der Beitritt zur renommierten Star Alliance 2014 verzögerte sich peinlicherweise, weil Air India die Minimalanforderungen nicht erfüllen konnte. Es sollte 22 Jahre lang dauern, bis der Staat sich tatsächlich zurückzog. Am 27. Januar 2022 übergab er die Fluggesellschaft offiziell an den neuen Eigentümer: die Tata Group.

Seither ist strategisch mehr passiert als in Jahrzehnten zuvor. Im Sommer übernahm mit dem 50-jährigen Neuseeländer Campbell Wilson ein neuer Vorstandschef. Die Personalie war aus zwei Gründen relevant: Zum ersten Mal steht seitdem ein ausländischer Manager an der Spitze, also jemand, der nicht in den über Jahrzehnte gewachsenen Filz zwischen Regierung und Airline verstrickt sein kann. Und Wilson kam von Singapore Airlines. Dass diese einen ihrer besten Männer nach Delhi schickte, war kein Zufall. Denn nur wenige Monate später gab Singapore Airlines bekannt, ihren indischen Ableger Vistara in Air India zu integrieren und im Zuge dessen 25 Prozent der gemeinsamen Fluggesellschaft zu übernehmen. Air India gehört nun also Tata und Singapore Airlines. Zuvor hatte Air India bereits Air Asia India integriert, an der Tata einen Mehrheitsanteil hielt.

Doch die Rückkehr zu alter Größe dürfte lange dauern und schwierig werden. Die Infrastruktur der indischen Flughäfen und Flugsicherung ist nicht besser geworden, nur weil Air India privatisiert ist. Tata hat im ersten Jahr die Zahl der Mitarbeiter von 13000 auf etwa 9000 reduziert, vor allem über ein Abfindungsprogramm, nun muss eine neue Unternehmenskultur wachsen. Immerhin berichten Passagiere von einem besserem Bordservice. Doch Air India hat viel Zeit verloren: Die Drehkreuze von Qatar Airways und Emirates sind nur wenige Flugstunden entfernt und leben unter anderem von den vielen Umsteigern auf dem Weg von und nach Indien.

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