Reaktionen auf Korruptionsskandal:Durchsuchungen im Europaparlament

Reaktionen auf Korruptionsskandal: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag in Brüssel.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag in Brüssel.

(Foto: JOHN THYS/AFP)

Ermittler beschlagnahmen Computer-Daten im Zusammenhang mit den Korruptionsvorwürfen. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen sieht das Vertrauen in Brüsseler Institutionen gefährdet. Griechenland friert Kailis Konten ein.

Von Lena Kampf und Josef Kelnberger

Das Europaparlament wird eine interne Untersuchung starten zur Aufklärung der Korruptionsvorwürfe gegen Eva Kaili, eine bisherige Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, und andere. Das kündigte Parlamentspräsidentin Roberta Metsola an. "Der Zugang zum Parlament und Treffen mit Vertretern von Nicht-EU-Staaten sollen transparenter werden", sagte Metsola am Montag zu Beginn der Plenarsitzung in Straßburg. Zu Kailis Amtsenthebung werde ein Artikel 21-Verfahren eingeleitet. Metsola wertet die mutmaßliche Bestechung ihrer Vertreterin als Angriff auf die europäische Demokratie, das EU-Parlament "und unsere Art der offenen, freien, demokratischen Gesellschaften".

Wie die belgische Staatsanwaltschaft mitteilte, durchsuchten Ermittler am Montag auch Räume im EU-Parlament. Daten von Computern von zehn parlamentarischen Mitarbeitern seien beschlagnahmt worden.

Die Korruptionsvorwürfe der belgischen Ermittler überschatteten auch das EU-Außenministertreffen, das sich eigentlich mit dem Krieg gegen die Ukraine und Menschenrechtsverletzungen in Iran befassen sollte. Es gehe um nichts Geringeres als die "Glaubwürdigkeit Europas", sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, als sie am Montag beim Außenministertreffen der Europäischen Union in Brüssel eintraf.

Die Griechin Kaili und drei weitere Verdächtige aus Italien, darunter ein ehemaliger EU-Parlamentsabgeordneter, sitzen seit Freitag in Untersuchungshaft. Bei Razzien in Brüssel wurden mehr als eine halbe Million Euro Bargeld sowie Luxushandtaschen und weitere Geschenke gefunden - offenbar überreicht von Katar, dem Land, in dem gerade die Fußball-WM stattfindet und das ebenfalls wegen seiner schlechten Menschenrechtslage in der Kritik steht. "Das ist wirklich ein unglaublicher Vorfall, der muss jetzt ohne Wenn und Aber aufgeklärt werden mit der vollen Härte des Gesetzes", forderte Baerbock. In Berlin äußerte sich Kanzler Olaf Scholz entsetzt darüber, "dass so etwas offenbar möglich ist".

Auch die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, zeigte sich sehr besorgt: "Wir brauchen die höchsten Standards", betonte von der Leyen mit Blick auf das Vertrauen der Bürger in die Institutionen der Europäischen Union. "Meiner Meinung nach wäre es richtig, dass wir ein Ethikgremium einrichten." Ein Gremium, das es bei der EU-Kommission bereits gebe, aber nun auf alle anderen europäischen Institutionen erweitert werden könnte. "Mir ist wichtig, dass wir klare Regeln, klare Standards haben, dass wir alle die gleichen Kontrollmechanismen haben", sagte von der Leyen. Die EU-Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová habe bereits begonnen, Gespräche mit dem Europäischen Parlament und den EU-Staaten darüber zu führen.

Die Pläne der EU-Kommission sind allerdings nicht neu: Ein Ethikgremium wird schon seit einiger Zeit diskutiert, bisherige Vorschläge wurden von Experten als zahnlos kritisiert. Das war vor dem Korruptionsskandal.

Das EU-Parlament hat bereits erste Konsequenzen aus der Korruptionsaffäre gezogen: Eine für Dezember geplante Reise von Abgeordneten nach Katar werde "wegen der derzeitigen Umstände" abgesagt, so ein Parlamentssprecher.

Das Thema Visa-Erleichterungen soll jetzt verschoben werden

Und Parlamentspräsidentin Metsola teilte am Montag mit, der Bericht über mögliche Visaerleichterungen für Bürgerinnen und Bürger Katars werde dem Ausschuss zurückgesandt, die Verhandlungen mit dem Rat könnten nicht starten. Zuvor hatte sich bereits der Berichterstatter für diese Verhandlungen, der Grüne Erik Marquardt, entschlossen gezeigt, diese auf Eis zu legen. "Für mich ist es kaum vorstellbar, dass es in den nächsten Jahren für Katar eine Liberalisierung gibt, nach allem, was wir bisher wissen", sagte er. Zu einem solchen Schritt gehöre ein "Grundvertrauen", das nach diesen Vorwürfen erschüttert sei.

Der Innenausschuss des EU-Parlaments hatte vor den Korruptionsvorwürfen signalisiert, einem Vorschlag der EU-Kommission unter bestimmten Voraussetzungen zustimmen zu wollen. An den Abstimmungen hat sich auch Eva Kaili beteiligt, obwohl sie kein reguläres Mitglied des Innenausschusses war. Dies ist nach Parlamentsregeln möglich. Ungewöhnlich sei jedoch gewesen, dass Kaili sich in ihrer Rolle als Vertreterin auffallend stark für eine Liberalisierung für Katar eingesetzt habe, so Marquardt.

Die sozialdemokratische Fraktion hatte Eva Kailis Mitgliedschaft noch am Freitag aufgehoben. Auch in Griechenland hatte der Skandal bereits Folgen für die Beschuldigte: Die Anti-Geldwäsche-Behörde ließ am Montag alle Vermögenswerte der 44-Jährigen in ihrer Heimat einfrieren.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusKorruption im EU-Parlament
:Das Virus des Misstrauens

Nach dem Skandal um Eva Kaili soll im Europaparlament und bei der Kommission alles geprüft werden, was einen Bezug zu Katar hat - Reden, Reisen, Fotos. Selbst Abgeordnete sind überzeugt, dass die Verstrickungen mancher Kollegen noch längst nicht aufgeklärt sind.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: